
Tante
Medusa
oder
Was ist schon perfekt?!
Eine Räuberpistole von
Bernd Schmidt
© by Bernd Schmidt, Graz 2014.
Also lass niemals die gedruckte Seite
Herr über dich werden.
Doris Lessing, Das goldene Notizbuch
(Vorwort, 1971)
*
1
Natürlich muss man später dann nicht, quasi automatisch, ein Vergewaltiger, ein Sexualattentäter, ein Massenmörder oder ein Amokläufer werden, nur weil man als Kind ständig eine exaltierte Tante, direkt und unmittelbar im Familienverband und dauernd vor Augen, gehabt hat. Nein, da besteht mit Sicherheit keine Folgerichtigkeit. (Ein Zusammenhang vielleicht schon …)
Doch dass der damals, in den späten 1950er Jahren, noch kleine, gerade erst heranwachsende Thaddäus Rosenschenkel, dass er also ganz unbeeinflusst von den Eskapaden seiner zu dieser Zeit schon halbwegs altjungferlichen Tante Mathilde gewesen sei, wäre wohl eine Illusion zu nennen. Sie galt nun einmal als verrückt. Und das war es.
Zu stark wurde das Leben, dort, am idyllisch wirkenden Stadtrand, von dieser Schreckschraube mit ihren diversen Phobien und Spleens permanent negativ beeinflusst. Und da Tante Medusa (wie man sie insgeheim nannte), nicht eben typisch für ihre Schizophrenie, auf Gerüche übersensibel reagierte, behauptete sie sogar, es röche in Haus und Keller, auf dem Dachboden und im Garten fürchterlich; ja, es stänke ihr schlichtweg! – Was? Alles!
So wurde das gesamte Familienleben alle die Jahre hindurch, die nun einmal Kindheit und Jugend Thaddäus Rosenschenkels dauerten, weitgehend überschattet von Tante Medusas Zicken; überschattet, wie der schöne Garten hinter dem durchaus herrschaftlichen Haus von den drei hohen Föhren, die im Nachbargrundstück wurzelten.
O selig, o selig ein Kind noch zu sein?!
Als er da im rot-blau-weiß gepunkteten Spielhöschen durch das Gras im gepflegten Rasen stolperte, der zur großelterlichen Villa gehörte; oder sich, in der riesigen weißen Badewanne sitzend, am Gas-Geblubber erfreute, das von seinen Kinderfurzen steißaufwärts strich; als alles noch verhältnismäßig überschaubar zu verlaufen schien, was bald schon, als Lebensbahn bezeichnet, allerdings einiges an Strenge würde bedeuten: Da schien die Welt, wie es so schön heißt: noch in Ordnung zu sein. Besonders für Teddy, wie man ihn allgemein rief.
Doch die Bedrohungen des Idylls nahmen, unmerklich erst, dann massiver, ständig zu; sie wuchsen analog zum Krankheitsverlauf der Tante – und zum Umfang ihrer Bosheit; wie zuvor die Triebe an den zwei Apfelbäumen, dem alten, mäßig ertragreichen Weichselbaum oder den Stachelbeer- und Ribisel-Sträuchern im so sauber eingeteilten Garten (parzelliert gleichsam in penibel ausgemessene Gemüsebeete, Obsthecken und Ecken für die in Maßen sogar üppigen Blumenarrangements); bekrönt von den drei hohen Nachbarföhren. Diese Bäume wurden später übrigens einem fragwürdigen Mehr an Sonne auf dem Nebengrundstück geopfert; wie auch die vormalige Sorglosigkeit hinzugeben war für eine Handvoll Träume; von Karriere, Erfolg auf diversen Gebieten und – am fragwürdigsten: Glück.
Bis dahin war indes noch ein wenig Zeit.
In der verstand es der Bub, sich bei den Eltern, bei Willi und Helma, sowie bei Oma Liselotte und Opa Hofrat Alfons nachdrücklich einzuschleimen. Ja, sogar die zu recht als schwierig eingestufte Tante Mathilde (Medusa), besagte Verrückte, vermochte sich seines kindlichen Charmes nicht völlig zu entziehen; obschon in ihrem System für gewöhnlich ausschließlich sie regierte, um die gefälligst alles andere seine Kreise oder Ellipsen, seine Bahnen, zu verfolgen hatte. Bei Teddy machte die krankhaft gestrenge, unter vorgeblich penetranten Gerüchen leidende, launenhafte Schwester der Mutter eine Ausnahme; da fuhr Medusa die Schlangen nicht aus, die ihr ansonsten vom Haupt züngelten.
Nun liebte sie den Buben zwar nicht, warum auch? Aber sie fand ihn – interessant. Sie gab sich mit ihm ab; und spendete ihm dabei auch gleich ein bisschen was von ihrer Verrücktheit.
Er konnte zwar mit ihren diversen Phobien und Einbildungen (noch) nicht allzu viel anfangen; dort, wo es ihm – da war er ziemlich hell – indes genehm schien, dockte er alsbald an. So übernahm er manche Ängste, weil es ihm bequem erschien und reizvoll, von der widerborstigen Tante. Aber auch diverse (eher negative) Charakterzüge eignete er sich, sozusagen: spielerisch, an. Und da sich – wenn schon nicht alles, so doch – vieles in der Großfamilie um die malade Verwandte drehte, schien sein Verhalten auch nicht weiter aufzufallen. (Vielleicht herrschte im häuslichen Verband ja allgemein ein Hang zur Absonderlichkeit vor: Der Opa, also Mutters Vater, der Herr Hofrat, war immerhin langjähriger Direktor an einem Gymnasium gewesen, und Vater Willi, ging dem Beruf eines Beamten nach und galt allein als solcher schon als einigermaßen sonderlich. Nun, ja. Die Oma, dereinst hauptsächlich von der Hoffnung getragen, eine berühmte Ballett-Tänzerin zu werden, hatte ebenfalls ihren merkbaren Knacks weg. Lediglich Mutter Helma, die vor Zeiten kurz einmal als Sekretärin gearbeitet hatte, jedoch längst schon ausschließlich interfamiliär als Hausfrau sowie als Pflegerin wirkte, durfte als weitgehend geerdet und normal gelten.)
Fest stand immerhin, dass Teddy seine Zukunft vor sich habe. Darüber herrschte Einigkeit. (Selten genug, denn meist frönte jeder seiner eigenen Auffassung von den Dingen, und man hing eher divergierenden Meinungen an. Im Allgemeinen war zudem alles andere abhängig von der jeweiligen Disposition, in der sich Tante Mathilde befand. Und Tante Medusas Schlangen züngelten in kaum vorhersehbarer Weise von ihrem verwirrten Haupt.)
Freilich, Teddy scherte sich, dumm genug war er dazu, kaum darum, was da kommen würde. Man werde sehen, hätte er gedacht, wenn er denn gedacht hätte. Und in der Tat: Er schaffte (mit Ach und Krach) die Matura, und bald darauf machte sich ein Onkel namens Gustl erbötig, ihn – über einen CV-Freund und Bundesbruder – in die Redaktion eines örtlichen Blattes, des Stadtspiegels, zu bringen. Wenn er nur Lust habe am Journalismus?!
Es geht im Leben zum einen, wie man weiß (und zumindest gefühlter Maßen), weit öfter krumm und schief als gerade und flott steil nach oben; wie ja auch die Zahl derer, die plötzlich zu lahmen beginnen, weit höher zu beziffern ist als die derjenigen, die da auf Geheiß eines famosen Wundertäters ihr Bett nehmen und von dannen wandeln … Anderseits: Nicht aus jedem Minderbegabten muss automatisch ein Lokal-Journalist werden.
Thaddäus Rosenschenkel indes wandte sich mit dem sicheren Instinkt der ihrem Fatum folgenden Blindschleiche stur dieser Profession zu. Vielleicht hätte es auch der Protektion durch den Oheim Gustl gar nicht bedurft; freilich, leichter fiel es ihm auf diese Weise schon. Also wurde er nach Ableisten des wenig animierenden Dienstes beim Bundesheer eben Schreiberling; nicht zuletzt wirklich, weil er das auch wollte! Denn da würde er es schließlich mit Gott und der Welt, mit Schicki und Micki, vielleicht sogar mit Zar und Zimmermann zu tun haben (o selig, o selig ein Kind noch zu sein!). Und nicht wie die Kolleginnen oder Kollegen vom Tratsch und Klatsch, billig in Glamour und Flitter-Tand, sondern mit interessanteren Exemplaren, nämlich den unter mysteriösen Umständen umgekommen Promis, denen, die an einer Überdosis Kokain oder, im teuren Sportwagen, im Suff und mit 250 Stundenkilometern krepiert waren. Aber auch dem kleinen Mann und der kleinen Frau von der Straße würde er begegnen, die da, geschlitzt, vergiftet oder sonst gemeuchelt, nunmehr nur noch darauf warteten, einer auf Sensationen konditionierten Öffentlichkeit nach allen Regeln der journalistischen Kunst zum Objekt des Staunens aufbereitet zu werden. Möglichst mediengerecht und geil.
Ja, Teddy, wie er auch redaktionsintern bald genannt wurde,Teddy hatte die Bluthund-Nase und den Sinn fürs Sensationelle im Urin, sozusagen.
Und wenn sich eine Sache einmal wirklich nicht als abendfüllend herausstellen sollte, so musste man sie eben ein bisschen aufbauschen; so wie ein gewiefter Leichen-Restaurator seine Schutzbefohlenen für den letzten Weg entsprechend verschönte und herrichtete.
Dafür hatte Thaddäus Rosenschenkel ein Händchen. Durchaus.
2
Jetzt war Thaddäus eine gut 60-jährige, zum körperlichen Wrack hin tendierende Figur. Korpulent, kurzatmig und mit diversen Folgeerscheinungen des über zu lange Zeit geübten Saufens und Kettenrauchens gesegnet, glich Teddy in Wahrheit bei weitem nicht mehr einem einigermaßen seetüchtigen Kreuzer; er war längst zum Schrottkahn mutiert, ob er das nun akzeptieren wollte oder nicht. In gewisser Weise – ausgemustert. Abgeschrieben. Weg.
Doch nichts desto weniger: ein nach wie vor unangenehm lauter Kotzbrocken, von sich überzeugt, egomanisch und uneinsichtig. Ein Arsch schlechthin.
Klar, bei Chefredakteur Erich Hartbein hatte er immer noch einen Stein im Brett; auch wenn seinen Mentor, den CV-Onkel Gustl, der ihn als alter Herr dem um einiges jüngeren Bundesbruder damals aufgeschwatzt hatte, lange schon der grüne Rasen deckte.
Und Thaddäus Rosenschenkel wusste auch genau, wie man optimal nach oben buckelte und nach unten trat. Alles paletti, so weit.
Obschon –
Es gab inzwischen ein paar Junge in der Redaktion des Stadtspiegels, die ihre Aufgabe unleugbar effizienter, schwungvoller und mit mehr Elan angingen. Die auch vom Internet-Blattmachen etwas verstanden und die Sozialen Netzwerke in ihr segensreiches journalistisches Tun einzubinden wussten. Und so bastelte man mancherorts insgeheim durchaus schon an Rosenschenkels Demontage. (Auch wenn der Chefredakteur nicht müde wurde, den Kollegen bei internen Festen hochleben zu lassen und seine Medien-Arbeit über den grünen Klee zu loben … Außerdem befand sich auch Hartbein schon längst auf der Zielgeraden und war in Richtung Pension unterwegs, auch wenn er das, klar doch!, nicht so recht wahr haben wollte. Doch, der Chef war überreif. Fast schon journalistisches Fallobst.)
Und dann noch das beschissene Sommerloch! Diesmal schien es besonders dunkel zu dräuen. Oder waren die alten Hasen eben schon senile alte Hasen, denen partout nichts mehr einfallen wollte? War ihre schreiberische Potenz schon so ausgetrocknet wie ihre übrige? Wo waren sie im wahrsten Sinn des Wortes blendenden Ideen von früher, bitte sehr?!
Doch auch die Jungen, so alert und munter sie taten, kochten nicht gerade vor Inspiration über. Konnte man wirklich nicht sagen. Nein.
Endlich! Teddy fiel es ein – und wie Schuppen von den Augen.
Ja, die Tante musste dran glauben.
Einerseits, weil in diesem Sommer nun tatsächlich die immer wieder (und dennoch oft genug zu Unrecht) zitierte Saure-Gurken-Zeit voll hereingebrochen zu sein schien; zum anderen, weil er mit einem Mal und unter Aufbietung aller möglichen Selbsterforschung spürte, wie seine Kräfte tatsächlich schon merkbar nachgelassen hatten. Ja, da ging alles ziemlich rasch den Bach ‚runter, ehrlich! Und wenn er nicht schnell etwas unternähme, dann würde es ein für alle Mal zu spät sein.
Zudem, wie gesagt, das beschissene Sommerloch; die idiotische Saure-Gurken-Zeit.
Und die sekkante Tante, Tante Medusa.
Also verfiel er auf die Idee mit dem perfekten Tantenmord. Optimal verbindbar zudem mit der Beseitigung seiner eher ungeliebten dritten Frau, Bernadette. Dieser Klette.
Denn da schon sonst nichts Schön-Schauriges zu passieren schien (von sich aus, quasi), worüber dann Medien-technisch ausgiebig zu berichten gewesen wäre, musste eben er selbst etwas zur Verbesserung der ereignislosen Situation beisteuern! Er hatte somit folgerichtig die verdammte Pflicht und Schuldigkeit, selber eine möglichst sensationelle Untat (Mord, Verstümmelung, Raubmord et cetera) zu begehen! Nach allen Regeln der Kunst!
Zudem würde er es so anstellen (und seine langjährige Berufserfahrung könnte ihm da doch nur nützlich sein), dass seine Zeitung ihm noch dazu als Alibi-Geber dienen sollte; ja, und, nicht zu vergessen, sein alter Spezi, der Polizeioberst Friedrich Krummbiegel. Dieser eitle Geck mit dem lächerlichen schwarzen Schlapphut!
Das war eine bombensichere Sache! Denn zumindest theoretisch wusste er genug darüber. Mein Gott, was hatte er nicht alles gesehen in seinem Beruf! Lokalreporter, aufstrebender Rechercheur zunächst, Journalist mit Verve und Animo! Chef des Chronik-Ressorts zuletzt und stellvertretender Chefredakteur des Stadtspiegels …
Allein schon die vielen Verbrechen, an deren Aufklärung er immerhin – wenn auch nur medial – beteiligt gewesen war, machten ihn peu à peu zum Profi in diesem harten Gewerbe.
Zudem: Die Morde, Vergewaltigungen, Attentate oder die als Unfälle getarnten Untaten – sie hatten nun einmal allesamt nicht perfekt funktioniert; weil der Mörder (oder die Mörderin, so viel Zeit muss sein!) oder die Banden, ging es um Fälle organisierten Verbrechens, am Ende halt doch zu blöd gewesen waren! Oder sie hatten etwas Wesentliches übersehen; und Kommissar Zufall oder Assistent DNA vermochten es, ihnen letztlich auf die Schliche zu kommen; oder ausgefuchste Kriminaler wie sein alter eitler Kumpel Fritz Krummbiegel. Jetzt war der auch schon Oberst, und stand knapp vor der Pensionierung … Ja, mit dem Fritz hatte er früher manche Nacht durchgesoffen, oder sie waren im einen oder anderen Puff der Stadt versumpft. Immer jedoch war am Ende einiges an neuen wertvollen Erfahrungen dabei abgefallen – kriminalistisches Material der Empirie, sozusagen.
Doch, doch, diese beiden alten Haudegen konnten gut miteinander. Auch wenn Krummbiegel felsenfest davon überzeugt war, dass es das perfekte Verbrechen nicht gäbe. Und er, Thaddäus, immer wieder stur dagegen hielt. Da mochte der alte Kriminalbeamte seinen schwarzen Schlapphut noch so dämonisch ins Gesichts ziehen.
Jetzt konnte er es auch dem Freund beweisen. (Auch wenn er, sozusagen, still genießen würde müssen; denn offenbaren durfte er seinen Triumph aus gutem Grund nicht … Nun, vielleicht: testamentarisch?! )
3
Die Tante war jetzt auch schon Anfang der Neunzig. Und sie beherrschte immer noch die obere Etage der Jugendstilvilla am Rand der Stadt. Zuletzt, vor einem guten Jahrzehnt, hatte er sie, die Hälftebesitzerin der Villa, quasi auf Leibrente und Wohnrecht, mit übernehmen müssen, als er den unteren Teil des Gebäudes nach dem Tod seiner Mutter geerbt hatte. Zwei Ehen hatte ihn der Erhalt des schönen Objekts (der Villa, nicht der Tante) gekostet, und nur die dritte, die mit Bernadette, würde wohl oder übel bestehen bleiben. Auf ewig. Nun ja …
In Wahrheit war natürlich nicht die Tante (ob mit oder ohne Wohnrecht) allein schuld an der häuslichen Misere. In Wahrheit war es den Rosenschenkel-Ehefrauen ganz einfach zu viel geworden, mit Thaddäus verheiratet zu sein. Mit einem Mann zusammen leben zu müssen, der die meiste Zeit (angeblich) beruflich unterwegs war. Mit einem, der soff und hurte, was das Zeug hielt – und das war in der Tat nicht eben wenig! Mit einem, der zudem mit seinem Scheißblatt, diesem Stadtspiegel, verheiratet war, wie es schien.
Auch die Kinder, zwei Söhne aus der ersten Ehe und eine Tochter aus der zweiten, waren liebend gern mit ihren Müttern gemeinsam weggezogen. Tauschten ohne weiters die ehrwürdige Jugendstilvilla mit dem nichtsnutzigen Vater gegen ein neues Domizil in der City.
Dass die Scheidungen und die darauf folgenden Unterhaltszahlungen eine schöne Stange Gelds kosteten, sei nebenbei erwähnt. Doch Teddy verdiente, dank einiger gleich lukrativer wie dubioser Nebengeschäfte, so gut, dass er finanzielle Probleme nicht wirklich kannte.
Ja, anfangs hatte er den Damen durchaus imponiert.
Der Teddy war ein guter Typ. War charmant, gerierte sich auffällig als Gourmet und schuf sich als geübter Weinkenner und sogar als Freund der Künste (insbesondere des Musicals) eine beachtliche Position. Bald freilich stellte sich dann heraus: Rosenschenkel war in erster Linie ein glänzender Bluffer.
Auch als Journalist war er, wie sich zeigte, weniger geachtet als gefürchtet.
Ein Abszess, Ein Furunkel. Ein Mitesser, bestenfalls. Und ein Arschloch, das sich letztlich bloß selbst für einen tollen Burschen hielt. Zu allem Überfluss: kein Gebildeter, sondern ein Halbgebildeter. Ein Prolet mit Größenwahn. Eine Drecksau. (Pardon!)
Also, die Tante, diese Medusa aus dem ersten Stock, sie musste weg! Aber – wie?
Rosenschenkel benötigte bloß ein Zeitfenster; dann würde alles (fast) ein Kinderspiel sein. Kaum mehr als zwanzig Minuten müssten genügen, denn das Gasthaus „Zur Schnepfe“ lag ganz in der Nähe der Villa am Stadtrand. Da kannte man ihn, den generösen Nachbarn und wohlbestallten Redakteur Rosenschenkel vom Stadtspiegel.
Und auch seinen Zech-Kumpanen, den Polizeioberst Krummbiegel mit dem schwarzen Schlapphut, kannte man natürlich.
Zum Tathergang: Er musste also nur den Oberst ordentlich abfüllen, damit der Teddys kurze Abwesenheit erst gar nicht bemerkte. Zwanzig Minuten, die sollten weiters wirklich kein Problem bedeuten, da der alte Kripo-Mann seit einer Magenoperation vor zwei Jahren nicht mehr allzu viel vertrug und nicht selten am Tisch einnickte. Eigentlich jedes Mal …
Dann musste sich Rosenschenkel – gerade so auffällig, dass es zumindest die Kellnerin Anni mitbekam, doch so leise, dass Krummbiegel nicht gleich aufwachte – angeblich zu den Klosettanlagen begeben, wo sich auch der Hinterausgang befand. (Man kannte den Stammgast in der „Schnepfe“ seit Jahren als oftmaligen und ausgiebigen Benutzer des Hygienebereichs. Seine Gänge zum WC würden also auch nicht weiter auffallen.)
Die Dienstwaffe des Zechgenossen hatte er zuvor geschickt an sich genommen (Handschuhe, immer Handschuhe verwenden!); der alte Krummbiegel trug seine – üblicherweise: geladene – Klock wie gewöhnlich im Schulterhalfter unter dem Jackett. Ein Kinderspiel.
Rasch, geschützt durch die Dunkelheit, die nur durch ein paar eher funzelige Straßenlichter unterbrochen wurde, hin zur Villa.
Unterwegs noch einen kurzen Anruf (von seinem Mobiltelefon aus) zu dem Kollegen in der Zeitung, der Nachtdienst hatte.
Ja, er sei es, Teddy. Und er habe da was aufgeschnappt: Also, beim Juwelier Emmeran Ziesel in der City, da würde angeblich heute in der Nacht eingebrochen werden. Man habe doch, bitte sehr, ein Aug‘ darauf … – Ja?! O. K.!
Dann den schwarzen Schlapphut – für alle Fälle – aus dem Versteck im Busch vor der Villa geholt. (Später würde er ihn in den nahen Bach werfen.)
Leise aufgesperrt. Leise über die Stufen in den ersten Stock. In Tante Mathildes Wohnbereich. Die ohnedies schlafende Tante Medusa in ihrem Rollstuhl vom Fernsehapparat weg und ganz sacht zum Stiegenhaus hin geschoben. Und dann weniger sacht die Treppen hinunter gestoßen. Ausgerochen! Ja, Tantchen. Und – für alle Zeiten.
Seine Frau, Bernadette also, die vom Krach aufgeschreckt, aus dem Wohnzimmer gestürzt gekommen war, mit der Dienstwaffe Fritz Krummbiegels (von den Stiegen aus) erschossen. Sicherheitshalber drei Schüsse. (Ja. So ist es gut!)
Die Villa rasch verlassen. Den Hut in den Bach geworfen. Zurück in die „Schnepfe“.
Als Rosenschenkel dem Saufkumpanen die Pistole wieder ins Halfter gesteckt und sich selbst hingesetzt hatte, den Kopf in die gekreuzt auf der Tischplatte liegenden Arme vor sich gestützt und so den leicht Illuminierten imitierend, erwachte der Oberst. Da läutete es auch schon, und der Nachtdienst aus dem Stadtspiegel war an Teddys Mobiltelefon, meldend, dass die Sache beim Juwelier Ziesel in der City wohl falscher Alarm gewesen sein musste.
Und Rosenschenkel grunzte kurz, um die Meldung zu quittieren.
Bei der eben hinzutretenden Kellnerin Anni orderte er, das Veto Krummbiegels wie so oft ignorierend, einen weiteren halben Liter vom Rotwein.
E N D E