
Philemon
und Baucis
Eine
kaum zielführende
Untersuchung
von
Bernd Schmidt
© by Bernd Schmidt, Graz 2015.
Ariel:
Horchet! horcht dem Sturm der Horen!
Tönend wird für Geistesohren
Schon der neue Tag geboren.
Felsentore knarren rasselnd,
Phöbus‘ Räder rollen prasselnd,
Welch Getöse bringt das Licht!
Es trommetet, es posaunet,
Auge blinzt und Ohr erstaunet,
Unerhörtes hört es nicht.
Schlüpfet zu den Blumenkronen,
Tiefer, tiefer, still zu wohnen,
In die Felsen, unters Laub;
Trifft es euch, so seid ihr taub.
Johann Wolfgang von Goethe, Faust II.
*
Die beiden
Bald freilich ist man sich gar nicht mehr ganz sicher, ob es uns beide überhaupt gibt …, jemals gegeben hat. Zu verschwommen ist das alles. Und die Leute sind vermutlich auch zu wenig aufmerksam (gewesen), was uns betrifft. Und wir, unsererseits, bieten wohl zu wenig, was ihr Interesse wecken könnte für längere Zeit. Sind kein Futter für ihre Neugier. Ja.
Fremd mögen wir sein und gewesen sein. Immer schon.
Fremd. Und wohl auch alt.
Ein bisschen eigenartig. Eben: Philemon und Baucis – der alte Zausel und seine nicht minder alte komische Alte.
Vielleicht auch für – andere -: irritierend …
Aber sonst – – -?
Uns scheint das alles, wie in Nebel gewickelt. Eingehüllt wie in Blätterteig. Strudelig. Ausgezogen und eingerollt. In Nebel.
Wenig, zu wenig erhellt …
Auch das Umfeld, schon rein akustisch, eher breiig und von wabernder Konsistenz. Unklar. Ungeklärt. Unklärbar. Unerklärbar.
Kein Goethescher Sturm der Horen jedenfalls tobt da; und tönend wirkt da rein gar nichts für Geistesohren – schon gar nicht ist der neue Tag … geboren …! Keine Felsentore knarren rasselnd. Und Phöbus Räder rollen, wenn überhaupt, dann woanders.
Nein. Kein „Faust II“-Szenarium also. Und nichts von wegen Horen: Eunomia, Dike und Eirene, die Töchter des Zeus mit der Thémis. Bei Hesiod stehen sie für gesetzliche Ordnung, gerechte Vergeltung und Frieden; bei Homer, wo sie Thallo, Auxo und Karpo heißen, verkörpern sie Blüte, Wachstum und Frucht und sind von nun an die gern besungenen Göttinnen der Jahreszeiten und der Naturkräfte. Doch sie hüpften, wenn überhaupt, dann wo anders. Wo anders.
Nicht hier.
Gut, es stimmt: Wir sind verzeichnet im „Buch der Rekorde“ von Guinness als sagenhaft altes, ewig schon verheiratetes Ehepaar. Symbol schlechthin der fugenlosen Übereinstimmung und grenzenlosen Harmonie, des umfassenden Seelenfriedens und des geradezu kitschigen Einklangs der Herzen.
Doch in besagtem Buch steht auch genug Originelles über den längsten Apfelstrudel der Welt, über die Menschen mit außergewöhnlich vielen Gliedmaßen auf den Philippinen oder über die nymphomanische Messalina, die bekanntermaßen als dauergeile Gattin des stotternden Römerkaisers Claudius reihenweise die Männer vernascht hat. Oder über die schlauen Hexenjäger Hänsel und Gretel. (Erat olim …)
Übergroße Liebe … Übergroße Liebe löst die Grenzen des Selbst nicht auf. Denn sonst liefe sie Gefahr, gleichsam auszulaufen und überzufließen, zu überschwemmen.
Übergroße Liebe (was immer das auch sein mochte) bedurfte, ganz im Gegenteil, einer besonders starken Begrenzung der eigenen Persönlichkeit. Einer sorgfältigen Konturierung, sozusagen.
Sonst konnte sie erst gar nicht existieren. Und unter den Liebenden ausgetauscht werden. (Harter Emmentaler eignet sich für Tauschgeschäfte besser als auslaufender Camembert.)
Wir, Philemon und Baucis? Wir haben es satt, ständig diversen Leuten als Beispiel – und Gegenbeispiel – dienen zu sollen. Als Beispiel für Sanftmut und Hingabe, Treue und kleinbürgerliche Bescheidenheit. Philemon und Baucis, die braven Biedermeier-Typen von nebenan mit Bausparvertrag und Zusatzrente. Die Händchen halten, fein überzuckerte gebackene Plätzchen und Vanille-Kipferln essen (Baucis‘ feines Rezept!) und dazu auch noch faden, entkoffeinierten Milchkaffee trinken. (Von Philemons Mutter her gewohnt.)
Wir, Philemon und Baucis? Die brav die abgelutschten Fernsehplattitüden in sich aufsaugen – von den fettig-pickigen Telenovelas und den beschissenen Arzt-Dauerserien bis zu den uninteressanten Quizshows, von den (im Wesentlichen ohnehin) entsprechend vor-zensierten Nachrichten bis zu den beknallten volkstümlichen Scheiß-Konzerten, den meist ohnehin inhalts- wie geistlosen Krimis oder den sogenannten Schicksalsromanzen.
Dabei kennen wir in Wahrheit alles. Alle die Spielarten der Grausamkeit:
Wenn böse Weiber ihren Männern nach Jahrzehnten des gemeinsamen Quälens dann eines Tages vorwerfen, so zu sein, wie sie nicht zuletzt durch sie selbst geworden sind …
Wenn idiotische Männer zu spät bemerken, einer Chimäre aufgesessen zu sein, obschon sie dereinst geglaubt hatten, einen ach! so reinen Apfelschimmel bestiegen zu haben …
Wenn sich eine ganz besonders schräge Furie ihren angeblich Liebsten zu einem mickrigen Hormonunculus gekrüppelt hat …
Wenn ein ausgemachter Wüstling seine früher für schön gehaltene Schickse nun am liebsten dazu zwingen möchte, möglichst dem Bild zu entsprechend, das er sich – brechtisch: keunerisch – von ihr gemacht hat all die Zeit hindurch …
Unser Leben? Es war eine einzige Suche. Nämlich eine Suche nach dem kleinsten gemeinsamen Nenner.
Aber – die Leute sahen (und sehen) in uns das Symbol beständiger Liebe.
Beständige Liebe? Dieser Begriff ist ein Paradoxon!
Liebe ist nämlich Vielfalt – nicht Einfalt.
Liebe ist sich verschenken – nicht an einander kleben.
Liebe ist Verzicht – nicht besitzgieriges Umklammern.
Liebe ist Freiheit – nicht Knechtschaft.
Und das alles, vorausgesetzt, dass es sie überhaupt gibt.
Die anderen Menschen haben unser gemeinsames Schweigen für Harmonie gehalten; und unsere verzagten Blicke für Zuneigung. In Wahrheit haben wir einander die meiste Zeit gehasst. In sogenannten guten Zeiten sind wir einander immerhin egal gewesen. Und den Rest der Zeit, waren wir vom Hassen zu erschöpft, um weiterzuhassen …
Wir schauten auf die Uhr – nicht, um festzustellen, wie lange unsere traute Gemeinsamkeit bereits angedauert habe. Nein, wir verfluchten Zeiger und Ziffern dafür, dass sie uns zusätzlich in dieses Korsett gezwungen hatten: in dieses Korsett gemeinsamen Leidens.
Wir Bedauernswerten.
(Und wurden – und werden noch – von allen für Auserwählte des Glücks gehalten …)
Hätten wir wenigstens allein leiden dürfen. Jeder für sich. Aber – nein!
Wir mussten – und müssen immer noch – alles gemeinsam ertragen.
Ach.
Hatten nicht auch wir uns dereinst als etwas Besonderes gefühlt? (Jetzt sind wir es – besonders alt sind wir geworden. Und jeder Superlativ ist etwas wert, egal wie beschämend er auch immer sein mag in Wirklichkeit …)
„Auf dem Baume Zukunft bauen wir unser Nest; Adler sollen uns Einsamen Speise bringen in ihren Schnäbeln!“ (So lässt Friedrich Nietzsche in seinem [hoffentlich zumindest teilweise satirisch gemeinten] Hymnus aufs höhere Leben, „Also sprach Zarathustra“ [1883 ff.], Hoffnung sprießen. Aber: „Wahrlich, ein starker Wind ist Zarathustra allen Niederungen [des Gesindels, Anm.]; und solchen Rat rät er seinen Feinden und allem, was spuckt und speit: ,hütet euch, gegen den Wind zu speien!’“)
Von wegen Baum Zukunft.
Doppelt-Ach.
Nun, ja
„Was hältst du davon?“, fragte Adrian seine Freundin und wies mit der Rechten auf den Monitor des Laptop vor ihm auf dem Schreibtisch. Und forderte sie somit auf, das zu lesen, was er eben eingegeben hatte.
„Hm“, machte Sophie, die gerade erst in sein Arbeitszimmer getreten war, und küsste ihn sanft auf die unrasierte Wange. „Ein bisschen nonkonformistisch, immerhin …“
„,Nonkonformistisch‘?! Ich meine: Klingt es – überzeugend?“, wollte er wissen.
„Ist ,Überzeugend‘ eine Qualität in der heutigen Literatur?!“, fragte sie spitz zurück.
„Also, hör einmal!“ Er runzelte die Stirn, während er vom Schreibtisch aufstand. „Man muss doch merken, dass dieses angebliche Urbild, dieser Mythos von Philemon und Baucis, bloß eine … Illusion ist, ein schönes Idealbild …“
„Hm“, machte Sophie erneut. „Ich weiß nicht … Ich meine, vielleicht könnte es diese beiden alten Leutchen ja auch wirklich geben … Und auch diese so ganz besondere, außerordentliche Zuneigung und diese unendliche Liebe, die man ihnen nachsagt, und dieses unverbrüchliche Für-einander-Da-Sein … Was dann?!“
„Was – was dann?! Und was, bitte schön, soll das mit unverbrüchlich und Für-einander-Da-Sein?! Wenn schon! – Dann sehe ich das eben alles falsch; und bin wieder einmal ein Pessimistenarsch …“ (Wäre ja nicht das erste Mal …)
„Bist du nicht – nicht zwingend“, erwiderte Sophie besänftigend ihrem (ja auch bloß gespielt aufgebrachten) Lebensabschnittspartner; und wirkte beinahe so etwas wie nachsichtig. Während sie ihm liebevoll durch das ohnedies schon leicht wirre braune Haar strich, merkte sie, fast neckisch, an: „Vielleicht sind ja gerade wir beide prädestiniert dazu, Philemon und Baucis zwei zu werden?!“
„Oh!“, entfuhr es dem Überraschten. Doch dann lächelte er breit und zog sie sanft zu sich heran.
Dann: Sex. Den machten (oder vollzogen, gestalteten, bereiteten einander, zelebrierten, wie auch immer – – -) die beiden nach wie vor am liebsten recht konventionell; wenn das Wort nichts Negatives ausdrücken soll, sondern ganz neutral angewandt und keineswegs mit langweilig gleichgesetzt wird.
(Ich, der Autor dieser Geschichte, schalte mich ein: Nach der Lektüre meiner damals noch unveröffentlichten Erzählung „Melkfett“ versuchten Sophie und Adrian dieses alte Bauernmittel [für die Pflege von Stutenzitzen und Kuheuter] auch selbst für ihre Liebeszwecke. Und waren begeistert. Von der Prosa.)
„Vielleicht sind ja gerade wir beide prädestiniert dazu, Philemon und Bauzis zwei zu werden?!“ Sophies Frage klang noch in seinen Ohren nach.
Adrian sah die Geliebte an, immer noch so voller Begehren wie vor sechs oder sieben Jahren, als sie einander kennen lernten.
Und auch Sophie empfand sich immer noch als in eine aus Überraschung und Vertrautheit gemischte Stimmung versetzt, wenn er sie so ansah …
(Ach, bitte, lasst gut sein!, sage ich, der Autor. Wen interessiert schon die Gemengelage eurer Gefühle und Hormone …!)
So wandten sie sich zum roten Sofa mit der blaugrünen Decke darauf. Da liebten sie einander immer noch am liebsten – außer im Bett. Im Bett natürlich auch.
Er warf sie nicht auf die Couch. Aber er trug sie auch nicht hin. (Mit kraftvollen Armen und erigiertem Glied, et cetera.) Es war vielmehr alles – gefühlsmäßig – in der Mitte; in der Mitte zwischen Werfen und Tragen.
Sophie empfand das als seine spezifische Zärtlichkeit.
Sie bumsten.
Und sie fielen kurz (wie üblich) aus der Zeit.
Waren nicht Philemon und Baucis, sondern irgendwer und – irgendwer.
Und irgendwo, irgendwann.
(In einer Passage seines Romans „Verteidigung der Missionarsstellung“ [2012] von Wolf Haas hört der in der Ichform erzählende Held, selbst Student, einen neuen Zimmernachbarn und späteren Freund kennen – hier spätestens werden alle Haas-Hardcore-Fans vielleicht ein wenig frustriert sein: Es handelt sich weder beim Icherzähler noch beim nachmaligen Spezi um den Simon Brenner! -; und der Nachbar bumst, bevor der Narrator ihn überhaupt von Angesicht kennenlernen kann, tage- und nächtelang seine [von einer Englandreise mitgebrachte] Freundin. Der Icherzähler, ein angehender Sprachwissenschaftler, schreibt an einer Arbeit über den historischen Wandel temporaler zu kausalen Konjunktionen. [Es geht also um weil und nachdem et cetera.] Also hört er ihn kennen. Haas: „Weil ich versuchte, den Wandel von temporalen zu kausalen Konjunktionen zu analysieren – man denke auch an die interessante österreichische Eigenart, weil durch nachdem zu ersetzen -, bumste Benjamin Lee Baumgartner munter die Frau, die er aus England mitgebracht hatte.“ Nochmals Haas: „Nachdem sie stundenlang bumsten, enthält die Frage, wie sich temporale Satzverbindungen mit der Zeit in kausale wandeln, für mich heute eine starke erotische Komponente.“ So viel zu Notationen und Konnotationen, zu koitierenden Studenten-Nachbarn sowie zu Weils und zu Nachdems …)
Die alten Nachbarn …
Grautz. So stand es auf dem alten Türschild aus Messing. Tiefparterre. Und die Grautz, die lebten hier schon seit jeher … (Als wäre das eine ernstzunehmende Zeitangabe.) Doch, in der Tat, auch wenn man – was indes ohnedies kaum vorkam – andere ältere Mitbewohner in diesem Gründerzeitbau, einem typischen Altbau, gefragt hätte, so wäre vermutlich von fast jedem die Antwort gekommen: „Ja, das Ehepaar Grautz, das gibt es schon seit jeher …“
Auch wenn man Herrn und Frau Grautz kaum je sah – weder im Stiegenhaus noch auf der Straße, beim Billa, beim Bäcker oder in der Apotheke -, sie gehörten hier her, und sie waren so etwas wie Urgestein. Übrigens war der Umstand, dass man ihrer nur sehr selten ansichtig wurde, allein schon dadurch gerechtfertigt, dass die beiden Leute eben alt waren. (Wahrscheinlich gingen sie auch nicht mehr so flott wie früher einmal.)
Unser Schriftsteller, Adrian O. Forchner – wofür dieses, sein O., eigentlich stehen sollte, bleibt übrigens unbekannt -, und seine Lebensgefährtin, die freie Grafik-Designerin Sophie Rollkraut (Spezialgebiet: Computergrafik), waren so ziemlich die an Jahren Jüngsten im betreffenden Altbau in diesem sympathischen, ruhigen Viertel, das hauptsächlich aus solchen Gebäuden bestand. (Sogar dort, wo gegen Kriegsende Bombentreffer Löcher in die alten Häuserzeilen gerissen hatten, war man später vergleichsweise vorsichtig gewesen beim Ergänzen und Neubauen, sodass die Architektur insgesamt immer noch etwas vom ausgehenden 19. Jahrhundert ausstrahlte. Überhaupt lag über dem ganzen Grätzel ein eigenartiger Hauch von Gestern …
Der hatte es Sophie gleich angetan gehabt; und Adrian, weil der Hauch Sophie so gut gefiel. Und weil ihm Sophie so gut gefiel … Ja.
Sie waren beinahe die jüngsten Mieter. Nur die drei Studenten, oben, im ausgebauten Dachboden, dürften vermutlich noch um ein paar Jahre jünger gewesen sein. Der Jochen, die Billie und der Clemens. (Wenn sie sich die Namen richtig gemerkt hatten. „Auf dem Baume Zukunft bauen wir unser Nest …“ Jochen, Billie und Clemens, oben, unter dem Dach.)
Sie lebten, also Adrian und Sophie, jetzt auch schon seit drei Jahren hier. Doch Kontakt, Kontakt im Haus, hatten sie kaum welchen. Ja, wenn einmal jemandem etwas ausging – die Milch, die Butter, der Kakao -, so half man einander selbstredend aus. (Für Kakao, zum Beispiel, war Dr. Fürnschuss, der eine Etage höher als sie wohnte, der optimale Ansprechpartner. Ein ehemaliger Arzt, der pünktlich in der Früh, zu Mittag und am Abend mit Flocki, dem kleinen weißen, schwarzgefleckten Foxterrier, auf die Straße ging. Und auch seine Frau hatte stets das Gewünschte parat, wenn sie etwas brauchten, was aber ohnedies nur selten der Fall war. Ordentliche Leute.)
Aber sonst.
Es gab auch kein Lokal in der unmittelbaren Nähe, dessen Besuch ihnen irgendwie zwingend erschienen wäre. Nein. (Außerdem hatten sie jetzt, mit Mitte und Ende dreißig, das Veröden in irgendwelchen verqualmten Kneipen oder auswechselbaren sogenannten In-Lokalen längst abgehakt. (Gequalmt wurde zudem nicht mehr, höchsten in Raucher-Gettos, vor den Wirtshäusern und Cafés oder neben Mülltonnen.) Und die eine, wirklich gute Konditorei, vis à vis der Straßenbahnendstation, die stellte einerseits eine zu große zuckrige Versuchung dar, als dass man sie zu oft hätte besuchen wollen; anderseits empfanden sie das Sitzen in einem verschlafenen Kaffeehaus auf Dauer auch als etwas zu wenig unterhaltsam.
Da waren die Spaziergänge schon wesentlich animierender. Das Hügelige, Angenehme, irgendwie Ländliche mitten in der Stadt, es gefiel ihnen. (Und die Luft war gut. Zudem gab es im näheren Umfeld allein drei Friedhöfe … Und Adrian wie Sophie mochten Friedhöfe.)
Kontakt mit anderen Hausbewohnern hatten sie, wie schon angedeutet, kaum. Man kannte vier, fünf Mitbewohner, dann den Briefträger. Und man hörte immer noch die Männer von der Müllabfuhr, wenn sie frühmorgens besonders laut waren. Man goss vielleicht eine Woche oder zwei Wochen lang die Blumen beim Nachbarn Kronstätter (wenn der wieder einmal bei seiner [ebenfalls verwitweten] Schwester Ursula am Land urlaubte oder sich einem Spitalsaufenthalt unterziehen musste); oder man sah auf seinen alten Kater Fridolin. Der hörte schon schlecht. Eigentlich hörten sie beide schon schlecht, der Nachbar Kronstätter und sein Kater Fridolin. Aber sie ergänzten einander.
Die Grautz also. Sie lebten zwar quasi Tür an Tür, nur sah man einander so gut wie nie. (Hatte der alte Grautz jetzt einen weißen Spitzbart? Oder -? – Einen Vollbart! Oder -?! – Egal. Sie trug jedenfalls Brillen. [Oder – doch er?!])
Hin und wieder erwarteten die alten Grautz anscheinend Besuch. Dann kam wer, läutete – und die Tür wurde geöffnet. Freundliche, aber gedämpfte Begrüßungslaute. Das war es dann auch schon.
Sonst hörte man nicht viel. Keine Radiomusik, keine Schallplatten oder CDs, kein überlautes Fernsehen.
Stille. Bei Grautz herrschte Stille. Vielleicht einmal ein elektrischen Gerät, eine Säge, ein Bohrer? – Ja …, vielleicht … (Doch das hätte auch von wo anders kommen können. Warum gerade aus der Grautz-Wohnung?)
Nicht dass Kronstätter laut gewesen wäre, aber ein paar Takte klassische Musik, ein kurzer TV-Trailer, das war immerhin zu hören.
Stille. Bei Grautz – Stille.
Man hätte annehmen können, Sie seien womöglich gar nicht vorhanden; wenn sie, wie angedeutet, nicht doch hin und wieder einen Besucher empfangen hätten.
Doch das waren Ausnahmen.
Sonst schienen sie einander völlig zu genügen. (Waren die anderen am Ende Gesindel in ihren Augen? „Das Leben ist ein Born der Lust“, heißt es in Nietzsches „Also sprach Zarathustra“, „aber wo das Gesindel mittrinkt, da sind die Brunnen vergiftet.“ Schätzten Babette und Widukind Grautz die anderen Menschen vielleicht minder ein?)
… als eingespieltes Team
Ja, das waren sie: ein eingespieltes Team. Babette und Widukind Grautz waren in der Tat ein eingespieltes Team. Nämlich: Wenn es um das Um-die-Ecke-Bringen, um das Beiseite-Schaffen und überhaupt um das gezielte Ermorden ihrer Mitmenschen ging, waren sie, sozusagen, unschlagbar. Ordentlich bis zur Pingeligkeit, präzise und verlässlich.
Babette und Widukind hatten auch durchwegs den richtigen Riecher, wenn es galt, die am besten geeigneten Opfer für ihre Unternehmungen zu finden.
Dabei ging es dem vor Zeiten schon pensionierten Volksschuldirektor, der über Jahrzehnte als verlässlicher Sanitäter und freiwilliger Mitarbeiter beim Roten Kreuz tätig gewesen war, und der gewesenen, nicht minder stets belobigten Operationsschwester am Sanatorium der Barmherzigen Schwestern nicht so sehr um materielle Werte, die mitunter bei ihren Morden anfielen. Die waren ihnen mehr oder weniger egal.
Ihr Morden, ihre gemeinsame unwiderstehliche Mordlust, hatte in Wahrheit mit einer Art inneren Auftrags zu tun. Mit einem Zwang fast, wie einem Befehl von ganz oben, den entweder Babette oder Widukind in sich spürten. Das war – wie Rheumatismus oder eine extreme Form der Wetterfühligkeit.
Von ganz oben? Nun, beide waren an religiösen Dingen eher uninteressiert, also: Mit Glauben hatte ihre Lust wenig oder gar nichts zu tun. (Glauben hat ja ganz allgemein wenig oder gar nichts mit Lust zu tun.) Nein, es war ein – Impuls. Und dieser weitgehend physiologische Impuls sprang dann von einem Ehepartner wie automatisch auf den anderen über. Das hatte fast etwas von Magnetismus an sich … oder von Elektrizität, von Physik jedenfalls … Und außerdem, da mussten sie sich erst gar nicht in viel komplizierter Konversation üben. Denn, seien wir ehrlich: das meiste wird im Leben doch eher zerredet. (Tun setzt Denken oder sonst irgendwelche Impulse voraus. Gequatsche ist da nur störend. Deshalb war ihr Geschäft auch immer ein ruhiges. [Sah man vom Geräusch der diversen elektrischen Geräte, die sie notgedrungen benutzen mussten, um die anfallenden Leichen in möglichst handliche Stücke zu zerteilen, einmal ab.])
Kurz: Wenn er oder sie den Impuls verspürt und der sich auf den Partner übertragen hatte, hob die gemeinsame Suche nach der geeigneten Person an, die als Opfer würde dienen können. Und auch die ging in aller Ruhe und ohne jede äußere Aufgeregtheit vor sich. Innerlich, da glühten die alten Leutchen natürlich voll Vorfreude und Unternehmungsgeist.
Sie ließen sich, obwohl innerlich schon lechzend nach Blut, also durchaus Zeit; wogen alles ab, schätzten die Lage ein und hatten zuletzt immer (fast) alles fest im Griff. Intellektuell, handwerklich und logistisch. Denn die Tötung und – vor allem – das spätere Zerlegen und das gekühlte Lagern sowie das abschließende Beseitigen der betreffenden Leichen wollte in einer normalen Altbauwohnung mit zwei Zimmern, Küche, Bad, WC und Vor- wie Abstellraum selbstredend sorgsam überlegt sein.
Außerdem: Man hatte natürlich keinen Original-Operationssaal zur Verfügung und musste, trotz entsprechend tauglicher Einrichtung auf erstaunlich hohem Niveau, immer auch ein wenig improvisieren.
Immerhin hatten sie dabei das optimale Werkzeug zur Hand.
Auf sein chirurgisches Besteck war das alte Ehepaar nämlich besonders stolz.
Jahrelang hatten sowohl Babette als auch Widukind Grautz Stück für Stück mitgehen lassen – von ihrem Arbeitsplatz bei den Barmherzigen Schwestern, von seinen Ausfahrten mit dem Roten Kreuz. Und mitunter besorgten sie sich sogar rare Stücke aus dem Internet.
Da lagen sie und funkelten, wenn es denn zur Sache ging, wenn sie dann (unter beträchtlicher körperlicher Anstrengung mit der kleinen hydraulischen Winde) die Holzplatte vom großen Wohnzimmertisch hoben und darunter der typische, in Edelstahl gehaltene Sektionstisch zum Vorschein kam. (Leider verfügte ihr Exemplar über keine integrierte Luftabsaugung. Doch es war ein von Cousin Benno, einem ehemaligen Schlosser [und begnadetem Bastler!] hergestellter, durchaus passabler Seziertisch. Benno und seine Frau Ottilie waren denn auch die ersten Opfer des Ehepaares Grautz gewesen, vor gut zehn Jahren.)
Es war ein sauberer Edelstahltisch. Hygienisch. Sauber. Mit den so wichtigen Rinnen und Abflüssen für Blut und Säfte. Da waren auch eine Handbrause und ein langer Brauseschlauch, ausziehbar bis zum Badezimmer hin. Natürlich: Nacken und Körperstützen.
Ihr Equipment konnte sich sehen lassen. Da lagen sie und funkelten im Licht, die so wichtigen Instrumente, vom Skalpell über ein Bohrgerät bis zur Autopsiesäge und zum Trennschleifer. (Letztere Geräte verursachten den beiden Perfektionisten mitunter Sorgen – wegen der unausbleiblichen Geräusche, die sie verursachten. Denn Widukind und Babette waren auch akustisch Perfektionisten. Sie hatten nicht vor, aufzufallen. Deshalb verließen die Rest-menschlichen Teile auch sehr dezent, in relativ handliche Pakete eingepackt, in entsprechend kleinen Tranchen also und per Restmüll möglichst unauffällig das Haus.)
Von der Logistik wieder zurück zur Arbeit auf dem stählernen Tisch.
Ja, sie verfügten über ein tadelloses Equipment. Da waren anatomische Pinzetten, Dental- und Splitter-Pinzetten, Skalpelle, solche mit feststehender Klinge und Wechselklingen-Skalpelle, auch OP-Scheren, Muskelhaken und mehrere Doppelknopfsonden. Dann lagen da: Knochenschaber, ein handlicher Metallhammer und mehrere Flachmeißel, eine Jochbogensäge (die liebte die alte Babette Grautz besonders und nannte sie, in Anspielung an die Komponistin Fanny Hensel, die ältere Schwester Felix Mendelssohn Bartholdys, Fanny) und noch eine Reihe anderer Apparaturen aus Anatomie, Pathologie und Forensik. Wie gesagt, es handelte sich um ein Eins-A-Equipment.
Und: Das war alles professionell. (Ja, wer sich einmal in den Händen des alten Ehepaares Grautz befand, um den musste man sich nicht mehr sorgen.)
Ihre Opfer suchten sich Babette und Widukind Grautz nicht so sehr aus, als dass die ihnen vielmehr zuliefen, zuliefen wie herrenlose kleine Hunde oder junge Kätzchen; oder zuflogen wie ein verwaister Kanarienvogel … Wenn er oder sie in den alten Knochen gespürt hatten, es wäre wieder so weit, meldete sich quasi auch schon das entsprechend Opfer. Einmal eine ehemalige Arbeitskollegin (oder ein Kollege) Babettes, dann wieder ein Schüler, eine Schülerin oder ein Bekannter vom Roten Kreuz, die sich des alten Widukind entsannen.
Nie mussten die beiden Mörder erst lange im Trüben fischen, und nie hatten sie es mit gänzlich unbekannten Partnern zu tun.
Als Opfer durchaus tauglich
Jaja, die heutige Jugend! Dieser, vermutlich seit Anbeginn der Menschheitsgeschichte in Permanenz augenrollend losgesandte Seufzer wäre im Fall der drei jungen Leute – Jochen, Billie und Clemens – sogleich und für immer unterblieben. Im Gegenteil: Die drei Studenten waren freundlich, keineswegs grell oder laut, nahmen keine Drogen, rauchten und tranken eher mäßig und waren hilfsbereit zu kleinen Kindern und alten Nachbarn.
Jochen studierte zwar Betriebswirtschaft, war indes leidenschaftlicher Hobby-Biologe. Und als Tierschutzaktivist fleißig für Vier Pfoten im Einsatz. Und er war ein glühender Tierfreund, dem nicht nur das Wohl der attraktiven Exemplare aus der reichgefüllten Schatzkiste der Natur am Herzen lag – wie Hund, Katze, Pferd und Wellensittich -, sondern einer, dem auch die weniger beliebten Gattungen und Arten schützenswert erschienen: etwa die Läuse, Flöhe und Asseln, auch die nicht so farbenfrohen und buntleuchtenden unter den Schmetterlingen und die Gelsen … So arbeitete Jochen seit Monaten mit Hingabe an einem Leitsystem für Nachtfalter und Motten, um die Tiere vor dem unweigerlich letal endenden Flug in die Flamme einer Kerze oder gegen das brennheiße Glas einer Glühbirne zu hindern.
Billie war ebenfalls eher den Sanften unter uns Erdenbewohnern zuzurechnen, auch wenn sie mitunter durchaus energisch ihre Rechte – als Frau und Mensch – einzufordern imstand war. Als Frau und Mensch, akkurat in dieser Reihenfolge.
Und Clemens? Der war zwar auch alles andere als ein Krakeeler oder Revoluzzer. Im Gegenteil. Doch er wirkte einigermaßen in sich gekehrt, und (da er Jung-Germanist war, schien das nicht so ganz unverständlich …) dem Buch, dem Wort, dem Ausdruck und dessen Bedeutung verpflichtet – samt dem möglichem Vorrat an Missverständnissen. Ein Spinner halt. Aber kein unangenehmer Spinner. (Wie nicht nur Billie fand.)
Allein, warum das alte Ehepaar Gautz auf die jungen Nachbarn, ganz oben (auf dem Baume Zukunft …, also: in der obersten Etage) verfallen hatte müssen, als es sich seine neuesten Opfer suchte (oder, besser: sich gleichsam von ihnen finden lassen wollte), war weitgehend irrational und unerklärlich. Ja: Warum waren sie gerade auf Jochen Brocks, Billie Schnurlinger und Clemens Kudernjak gekommen? Widukind und Babette Grautz hatten doch nichts weiter mit dem studentischen Trio zu schaffen?! Man grüßte einander, wenn man alle heiligen Zeiten einmal im Stiegenhaus zusammentraf. Und manchmal halfen die drei jungen Leute dem Seniorenpaar sogar bei Einkäufen, die schwieriger zu transportieren waren. Außerdem waren Jochen, Billie und Clemens weder schrill noch besonders laut (sie feierten keine wilden Partys und empfingen auch sonst überhaupt kaum Gäste). Seltsam.
Und gleich drei Menschen. Auf ein Mal?! (Also, ich, als Autor der Geschichte, hatte da sogleich meine Bedenken. Doch wer hört schon auf den Autor?! Und dann erst zwei halsstarrige Alte, Greisin und Greis … Philemon und Baucis …?! Da hätte man auch gleich Michel Houellebecqs Roman „Unterwerfung“ [2015] erwähnen können, dessen Ich-Erzähler seinerseits auf Joris-Karl Huysmans Buch „Trugbilder“ [„En ménage“, 1881; deutsch: München 2007] hinweist, worin es um ein altes Ehepaar geht; und dessen [immer noch vorhandene] zärtliche Reminiszenzen …)
Finale Schnapsidee
Die drei jungen Leute zu sich in die Wohnung zu locken, gestaltete sich für Widukind und Babette Grautz überhaupt nicht schwierig: Jochen, Billie und Clemens hatten, wie weiter oben kurz angedeutet, den alten Nachbarn schon ein paar Mal einige Kisten Mineralwasser und größere Mengen an Blumenerde (für den Balkon), aber auch Erdäpfel und Zwiebel, die Babette seit vielen Jahren gewohnt war, im Keller einzulagern, und ähnliche schwere Sachen von der nahen Billa-Filiale nach Haus getragen. Also war ein kleines Dankeschön durchaus angebracht. Und auch die jungen Menschen aus ihrer Dach-Wohngemeinschaft fanden es nicht eigenartig, von den alten Nachbarn aus dem Hochparterre eingeladen zu werden.
Es ging alles nach Plan.
Auch die Sache mit dem präparierten Schnaps stellte – wie bisher übrigens – keine Hürde dar, zumal Billie, die strebsame Romanistin, vom Land kam und für sie Selbst-Gebrannter folglich kein Exotikum war. Auch der aus Baden-Württemberg stammende Student der Betriebswirtschaft, Jochen, galt als Genießer, egal, was er gerade genießen sollte. Und Clemens? Der trank ohnedies alles, worin sich Alkohol verbarg oder drin war … (Auch wenn der angehende Sprachwissenschaftler kein Alkoholiker war.)
Also saß man quasi an Ort und Stelle, nämlich um den großen Tisch im Wohnzimmer des Ehepaares Grautz. Und Widukind schenkte fleißig nach, während Babette das – ebenfalls vergiftete – Kleingebäck offerierte: wohlschmeckende Anisbögen, gute Vanillekipferln, „sehr lecker“ wie Jochen anmerkte, und irgendwelche köstliche Sterne mit Brombeermarmelade. Man war in Stimmung. Und als Widukind etwa eine halbe Stunde später auf die Armbanduhr sah, entsprach die allgemeine Müdigkeit ihrer Gäste dem Normwert bei solchen Anlässen. Es müsste bald so weit sein, und das Pflanzengift – eine sehr effektive, weitgehend nebenwirkungsfreie und geschmacksneutrale Mischung – würde seine ganze Wirkung tun.
Und wirklich: bald schon waren die drei jungen Leute von diesem in ein anderes Leben (oder ins Nichts, wie auch immer) hinübergeglitten.
(Anmerkung: Ich, der Autor dieser Geschichte, war nicht für diesen Schluss. Aber bitte …)
Dann kam das große Hacken und Schneiden, das Sägen, Bohren und Aufbrechen. Blut rann und diverse Säfte quollen, Hautfetzen wurden abgezogen, Gefäße freigelegt. Doch trotz der Erregung, die sich der alten Leute bemächtigt hatte schon von Beginn des Nachmittags an, taten sie, was getan werden mussten. Ernst und mit Sorgfalt.
Doch mit einem Mal übermannte nunmehr sie eine bisher unbekannte Müdigkeit. Und mitten in der heiklen Arbeit brachen sie, ziemlich synchron, über den drei halbsezierten Leichen zusammen. Jetzt waren es fünf Tote in der kleinen charmanten Wohnung.
Nach einiger Zeit kamen die Fliegen, Tausende von Fliegen! Wenig später waren dann auch schon die Maden da. Unmengen an Maden.
Und es begann zu stinken. Fürchterlich zu stinken.
Adrian und Sophie hatten zwar den kontinuierlich anwachsenden Haufen an Zeitungen vor der Tür der Nachbarn Grautz bemerkt, doch zunächst gedacht, die beiden seien weggefahren (was zwar ungewöhnlich zu sein schien, aber immerhin keineswegs ausgeschlossen). Dann freilich stieg ihnen der penetrante Geruch in die Nase.
Auch das Wegbleiben der drei Studiosi war inzwischen aufgefallen, wobei Jochen, Billie und Clemens in erster Linie ihren diversen Freunden auf Facebook und in den Blogs abzugehen anfingen.
Schließlich holte man die Polizei. Und alles nahm seinen amtlichen Lauf.
Nach einiger Zeit freilich musste auch das Leben, wie es so schön heißt, wieder weitergehen.
„Und den Herrschenden wandt ich den Rücken, als ich sah, was sie jetzt Herrschen nennen: Schachern und Markten und Macht – mit dem Gesindel!“ So hackte Adrian eine weitere Nietzsche-Sentenz in seinen Laptop. Doch die Geschichte von Philemon und Baucis war ihm irgendwie vergällt.
Also legte er sie bald beiseite und tippte (auch eher lustlos, zugegeben) an einem alten Roman-Sujet weiter, das ihm lange schon an die Nieren gegangen war.
Doch auch diese literarische Sache erwies sich als ziemlich zäh. (Irgendetwas über die Horen. [Und wie das auszugehen pflegt, wissen die Eingeweihten nur zu gut, nicht wahr?!])
Ach ja: Sophie suchte bald darauf Entspannung mit und bei Mike, einem Kollegen aus einer Agentur, in der sie vor Jahren kurz ein Praktikum gemacht hatte. Sie zog bei Adrian aus mit Mike gemeinsam in ein anderes Viertel der Stadt. Mit Neubauten.
Adrian jedoch verfiel zunächst in eine Phase dumpfer Trauer, dann auf eine Ex-Freundin namens Susanne, die er kürzlich zufällig in einem Innenstadt-Café wiedergetroffen hatte. Sie war ihm noch immer recht attraktiv und weniger überschminkt vorgekommen als damals. Allerdings eignete ihr nach wie vor die olfaktorische Impertinenz eines Duftbäumchens an, wie es besonders oststeirische Landwirte in den 1980er Jahren gern in ihren Automobilen vor der Panoramascheibe baumeln hatten lassen.
Jetzt lebten Adrian und die duftende Susanne (und das auch schon seit einigen Monaten) in der hübschen Wohnung im Gründerzeithaus.
Wo das alte Ehepaar Babette und Widukind Grautz gewohnt hatte, lebte jetzt abermals ein schon etwas angejahrtes Paar. Sie hießen Fritz und Helga Fliederborg und hatten keinerlei anatomische, patholgische oder forensische Ambitionen. Die Fliederborgs hörten nur – vielleicht mitunter etwas zu laut – Musik von George Gershwin, Cole Porter und Konsorten auf CDs. Aber sie störten nicht weiter. (Außerdem gibt es wesentlich Störenderes als just Gershwin, Porter und Konsorten.)
(Eine weitere Anmerkung in Klammern:
Ich war – als Autor -, wie schon erwähnt, gegen diesen Schluss. Aber was soll man tun?! Noch dazu – quasi gefangen in Klammern?! [Wobei ich ohnedies noch froh sein konnte, nicht gleich doppelte Klammern um mich zu haben. Oder dreifache {}…, wie schon einmal!])
E N D E
Literatur und Quellen (Auswahl):
Bertolt Brecht, Geschichten vom Herrn Keuner. Text und Kommentar. Berlin 2012.
Richard Ellmann, Oscar Wilde. München 1991.
Wolf Haas, Verteidigung der Missionarsstellung. Leipzig 2012.
Michel Houellebecq, Unterwerfung. 5. Aufl. Köln 2015.
Joris-Karl Huysmans, Trugbilder. München 2007.
Internet.
Karl Kerényi, Die Mythologie der Griechen. 2 Bde. 9. Aufl. München 1987.
Stefan Link, Wörterbuch der Antike. Mit Berücksichtigung ihres Fortwirkens. 11. Aufl. Stuttgart 2002.
Manfred Lurker, Lexikon der Götter und Dämonen. Namen. Funktionen. Symbole/Attribute. 2. Aufl. Stuttgart 1989.
Ludwig Marcuse, Obszön. Geschichte einer Entrüstung. Zürich 1984.
Friedrich Nietzsche, Also sprach Zarathustra. Ein Buch für Alle und Keinen. Köln 2012.
Heinz Rölleke (Hg.), Brüder Grimm: Kinder- und Hausmärchen. Ausgabe letzter Hand. Stuttgart 2009.
Erich Trunz (Hg.), Goethe: Faust. Der Tragödie erster und zweiter Teil. Urfaust. München 1999.