Doppelt,

einfach doppelt

Eine im Grund genommen

eher simple Story von

Bernd Schmidt

© by Bernd Schmidt, Graz 2015.

Così fan tutte

Lorenzo Da Ponte

*

Ciascuno a suo modo

Luigi Pirandello

*

1

Mit einem Mal wurde Olga klar, dass sie sich von ihrer jüngeren Schwester Alice trennen würde müssen. Ja, dieser Schritt war unvermeidbar.

Auch wenn der Einschnitt schmerzlich sein würde.

Sie fand, hier auf der Terrasse des Berghotels „Alpenblick“ im bequemen Liegestuhl ruhend, Bruno habe ein klassisches Profil. Außerdem: für seine (geschätzten) 70 Jahre immer noch erstaunlich viel Haar, das ihm in leichter, duftig-weißer Welle auf den Kragen des Jacketts fiel. Und auch seine (verbliebenen) Zähne waren noch überdurchschnittlich intakt; obwohl da und dort ein wenig Gold oder Amalgam hervorblitzte, wenn Bruno sein verführerisches Lächeln einschaltete.

Die langen schmalen Finger („Ihr müsst wissen, meine Schönen, dass ich dereinst ein berüchtigter Langfinger gewesen bin …“), die Linie, die sein anscheinend immer noch straffer Bauch zum Gürtel hin beschrieb … O er stellte noch was dar!

Freilich galt es, dachte Olga, besser keine Zeit zu verlieren.

1a

Bruno: Er war als Hochstapler, Heiratsschwindler, falscher Konsul und geschmückt mit Ordens-Talmi jeglicher Art, zwar einerseits nie noch in seinem Leben zu echtem Reichtum gelangt; allzu großen Aufwands hatte es für ihn anderseits auch nicht bedurft, auch so einigermaßen erquicklich über die Runden zu kommen.

2

O er hatte schon einige Damen nach allen Regeln der Kunst flachgelegt.

Doch im vorliegenden Fall tat er sich allein schon bei der Entscheidung schwer, welche er denn nun ausnehmen sollte: die forschere, um ein Weniges nur ältere Olga, oder ihre noch ein bisschen naivere, jüngere Schwester Alice?

Die Frage war nicht leicht zu beantworten.

Bruno sah sich die beiden eigenartigen Wesen, die so augenfällig Teile eines familiären Ganzen waren, wie sie so – fast malerisch (vorausgesetzt, man liebte das Bizarre, das Skurrile …) – im Liegestuhl hingegossen seine alten Augen dann doch eher beleidigten als beglückten, Bruno sah sie sich noch etwas genauer an. Nein, so besonders ansehnlich waren sie wohl beide nicht mehr. (Doch Ansehnlichkeit war in seinem Job kein Kriterium. Im Gegenteil: Die Hübschen, Jungen, Knackigen kamen zumeist ohnehin nicht in Frage.)

Alice schien ihm – nach einigem Hin-und-her-Überlegen – dann der einfacher aus dem Rohr zu holende Braten zu sein, ja. Diese Gans war vermutlich relativ leicht zu rupfen.

Wenn er erst seinen vollen Charme spielen ließe …

Die Sache hatte indes einen Pferdefuß: Das ganze Manöver könnte sich nämlich dadurch über Gebühr schwierig gestalten, als er, um erfolgreich sein und bei Alice landen zu können, die dauernde Anwesenheit Olgas irgendwie unterbinden musste.

Ja, er musste Alice – in gewisser Weise – um die Schwester herum erobern.

Leichter gesagt, als getan.

3

Dass da etwas im Busch war, blieb Olga indes nicht lange verborgen.

Dieser charmante Bruno scharwenzelte aber auch zu offensichtlich um sie und um ihre Schwester Alice herum. Gockel, der! (Aber – er hatte was! Ja, durchaus …)

Klar, es schmeichelte den Damen, dass sich dieser gepflegte alte Herr mit der weißen Künstlermähne so sehr um sie zu bemühen schien (ganz Kavalier der alten Schule; der sehr alten Schule sogar).

Olga spürte, dass er es auf eine von ihnen beiden abgesehen hatte; entweder auf sie oder auf ihre Schwester. Oder womöglich: auf beide?! (So ein Filou!)

Ihr bis in Versessenheit hinein steigerbares Wohlwollen Bruno gegenüber hätte sich abrupt in Zorn und Abscheu verwandelt, hätte Olga auch nur geahnt, welch miserables Subjekt dieser alte Mann in Wahrheit war. Ein Heiratsschwindler, Hochstapler und Kleinkrimineller!

Ausgestattet allerdings mit der Attitüde des gealterten Liebhabers an einem Provinz-Theater.

O ja, sie hätte ihn verflucht, bei Gott! Ja! Und sie hätte mit allen Mitteln versucht, ihn auch ihrer Schwester, dieser dummen Pute, auszureden! (Doch was hätte Alice, die blöde Kuh, dann wohl ihrerseits vermutet? Klar, dass ihr die ältere Schwester – wieder einmal – das Spielzeug wegnehmen wollte …)

4

Bruno überraschte die Schwestern fast jeden Tag aufs Neu mit einer weiteren Volte seiner (zugegeben: dann doch mehr plumpen als ausgefeilten) Überrumpelungs-Taktiken und glänzte mit seinen bestens antrainierten hochstaplerischen Fähigkeiten. Kurz: Er zauberte immer wieder eine neue Schmeichelei sowie manches zuckersüße Kompliment aus seinem imaginären Zauberhut und log, dass sich die nicht-vorhandenen Balken bogen.

Mal parlierte er unter permanentem Einstreuen französischer Wort-Brocken, die er in die Bouillon seiner schmeichlerischen Menü-Folge einstreute als wären es Stückchen eines reschen Baguettes; dann wiederum wand er Sprach-melodiöse Lautgirlanden, die jeden echten Italiener erröten hätten lassen, in seine geschwollene Rede; oder er gab sich, total fashionabel, als old English Gentleman („… isn’t it?!“).

Aber, wie lautet Lorenzo Da Pontes Titel der Mozart-Oper, für die er das großartige Libretto geliefert hat, doch so schön? – Richtig: Così fan tutte! (Oder, um es mit dem eines Theaterstücks seines Landsmanns Luigi Pirandello zu sagen: Ciascuno a suo modo).

Ja, so machen’s alle – jeder auf seine Weise …

5

Die Annäherung war dennoch nicht einfach; obgleich weder Olga, die ein wenig ältere Schwester, noch Alice, die jüngere, längst (noch) keinen Anlass sahen, an der Ehrlichkeit von Brunos Absichten zu zweifeln. Und zum Zweifeln gab es ja in der Tat (noch [und überhaupt]) keinen Grund: Er hegte vielmehr die ehrliche Absicht, die beiden (oder zumindest eine von ihnen) um ihr ehrlich Erspartes zu bringen.

Ehrlich, wie gesagt.

Die Sache gestaltete sich indes schwieriger, als Bruno eigentlich vermutet hatte.

6

… noch mutiger aber (als das, was ich sage) ist, was ich denke und verschweige.“

Dieser Satz hat einiges für sich. Er passt bloß absolut nicht hier her.

7

Es zog sich hin. Und die – an sich schon eher karg bemessenen – finanziellen Ressourcen, über die Bruno verfügte, sein Spielkapital also, neigten sich beängstigend rasch schon dem Ende zu. Und noch immer war ihm außer dem Anbringen von ein paar seifigen Artigkeiten nichts Wesentliches gelungen. Das Unternehmen Olga & Alice schien, noch bevor es so richtig hatte in die Gänge kommen können, gehörig ins Stocken geraten zu sein. (Oder besser: ungehörig.)

Nach drei Wochen Süßholzraspeln gab der alte Gauner klein bei – und auf. Ein Anruf, so entschuldigte er sich eines Tages telefonisch, rufe ihn stante pede in seine Heimat zurück. (War das nun die Normandie, die Toskana, Cornwall, das Tessin oder gar Kuba? – Egal.)

Er wünsche den Damen weiterhin einen schönen Aufenthalt.

Doch eines schwor sich Bruno (quasi als Gelübte), wenn er aus dieser Nummer einigermaßen heil herauskäme: Nie mehr etwas anzufangen mit Siamesischen Zwillingen.

Egal, handle es sich, wie übrigens recht leicht zu er-googeln ist, bei der Dizephalie um den Typus Ischiopagus [Hüftbereich] oder Pygopagus [Steißbereich].

Denn das ist, sozusagen, gehüpft wie gesprungen.

E N D E

 

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