
Die traurige
Soubrette
oder
„Üb‘ immer Treu‘ und
Redlichkeit …“
Eine märchenhafte Novelle
von
Bernd Schmidt
© by Bernd Schmidt, Graz 2014.
(ENDFASSUNG: 2016.)
Üb‘ immer Treu‘ und Redlichkeit
Bis an dein kühles Grab.
Ludwig Heinrich Christoph Höltys (1775)
*
Heissa, ich bin ein entsprungener Sträfling,
Entfloh’n aus dem Lande der Bourgeois!
Jetzt bin ich unter den Ersten: ein Höfling
Im strahlenden Reich der Bohème. Hurrah!
Fritz Grünbaum, Gauklerheimweh
*
Es war die Liebe (…), als eine unteilbare
Größe, eine Primzahl des Lebens, nicht
anders anzusehen wie die Massenträgheit
eines Weltkörpers (…).
Heimito von Doderer, Ein
Mord den jeder begeht
*
Und Pippa singt!
Ihre Stimme verfüge über die Reinheit einer Glocke.
Darüber war man sich ausnahmsweise einmal einig in der weitverzweigten Familie Plotz-Dinckelthal. „Ja, Irenchen quiekt wirklich ganz vorzüglich!“, meinte sogar ihr greiser Großonkel Anastasius Taubengrau, ein Oheim von Mutter Aglaia. (Was Irene freilich noch gar nicht so recht mitbekommen konnte, Kleinkind, das sie war, damals, um 1918 herum.) Der alte Herr stammte, wie der Großteil der Familie, aus Breslau, wo einige aus der nicht unvermögenden Sippschaft auch weiterhin mehrere Bürgerhäuser am Ring und in nächster Nähe der evangelischen Christophorikirche bewohnten, zu deren Kirchengemeinde sich die Familien Plotz-Dinckelthal und Taubengrau wie auch die enger wie weiter verwandten Cousinen und Vettern, Onkeln und Tanten, also die Geerke, die von Klohrmann, dann die Osterstaudte, die Kronberger und die Bauernfeldt sowie die Dircks die längste Zeit schon gezählt hatten.
Reformatorenblut – vor allem aus diversen geographischen Bezirken Preußens, Pommerns und Alt-Schlesiens – ja, sogar angereichert mit echt hugenottischen Einsprengseln aus Frankreich! – pulsierte da gehörig in den Adern; auch wenn man sich die letztvergangenen Dezennien des 19. Jahrhunderts hindurch als eher liberal empfunden hatte …
Durch all die Zeit – und parallel zur wechselvollen Geschichte des immer wieder und wenig zimperlich zwischen Polen, Habsburg und den Hohenzollern aufgeteilten Gebietes – waren früher schon viele Mitglieder der weitverzweigten Familien sowohl in andere deutsche Lande (vor allem nach Berlin, München, Hamburg und Frankfurt am Main) als auch nach Österreich, und da: hauptsächlich nach Wien, ausgewandert. Frei nach dem Motto: Man kann ja nie wissen, was noch so alles kömmt …
Nur das mit der glockenhellen Stimme Irenchens, also das wusste man. Sicher, sicher.
Sie quiekt wirklich ganz vorzüglich. So lautete das längst schon innerfamiliär geflügelte Wort.
Und was der alte Anastasius Taubengrau da knapp nach dem Ersten Weltkrieg (den man damals einfach den Großen Krieg nannte, weil ein Zweiter noch nicht in Sicht war …) sagte, durfte durchaus unkorrigiert so stehen gelassen werden, weil es quasi per se feststand und daher anerkannt bleiben würde. Ehern. Für immer. (In Stein gemeißelt.)
Na, und fast hundert Jahre später wollen wir schon gar nicht daran rütteln.
Noch dazu ist auch die glockenhelle Stimme Irenchens längst verstummt.
Also mögen alle in Frieden ruhen. Und in Ruhe ihren Frieden haben.
Nun, das originelle Wort des (an sich ja eher) schwerhörigen schlesischen Patriarchen, betreffend das ganz vorzügliche Quieken Klein-Irenes, verfügte innerhalb des weitverzweigten Familienverbandes zur Zeit, da sich Anastasius Taubengrau über die Stimmqualität seiner putzigen Großnichte äußerte, tatsächlich immer noch über einiges Gewicht; meldete sich der weißhaarige alte Herr doch, besonders in musikalischen Fragen, sonst kaum jemals zu Wort. Nur auf seinem Fachgebiet, dem gehobenen Altwarenhandel, redete der Greis immer noch entschieden und ziemlich uneinsichtig mit; halbblind wie er inzwischen zu allem Überfluss auch schon war. Zudem konnte man sich nicht so recht entscheiden, ob man just einem Sehbehinderten seine Uneinsichtigkeit nachsehen sollte oder besser nicht. Indes, jeder Protest prallte an diesem akkuraten Alten ohnehin ab wie Regen an geteerter Dachpappe.
Doch auf dem Sektor Antiquitäten hatte Anastasius Taubengrau früher tatsächlich einiges drauf gehabt, wovon sich die verbliebene Reputation des weißhäuptigen, gebückten Herrn jetzt noch nährte; jetzt noch, als es dann auch bei ihm, gegen Ende des zweiten Jahrzehnts dieses erstaunlichen 20. Jahrhunderts, ans Sterben ging. Und sein Ruf in Sachen Altwaren war dereinst weit über die Grenzen Breslaus und sogar Schlesiens hinausgegangen. Früher.
Innerhalb der Familie hatte Taubengrau also über Dezennien als unbestrittener Patriarch gegolten. Und er spielte diese an den alttestamentarischen Abraham gemahnende Rolle so selbstverständlich, wie ein gewisser Raoul (aus der Bauernfeldt-Abteilung) die des schwarzen Schafs in Person, indem er den Part des missratenen Cousins, der mit Ach und Krach bei einer schwindligen Versicherungsgesellschaft untergekommen war, auf seine Weise konsequent abspulte; oder wie eine Dame mit Namen Albine aus dem schier überbordenden Verband der Familie (eine Dircks) als partout kinderlos gebliebene schrullige Tante besetzt war in der Tragikomödie dieser bizarren Mischpoche, und alles daransetzte, darin bestmöglich zu überzeugen. Oder die kleine Thusnelda, eine Nichte zu irgendeiner linken Hand (aus dem von-Klohrmann-Zweig), die kuriose dickbrillige Leseratte mit den Karotten-roten Wuschelhaaren; oder der blasse Großneffe Florian (ein Kronberger), dieser windige Beutelschneider; oder auch die schöne Olga (vermutlich eine Osterstaudte), die angeblich sogar nymphomanisch veranlagt gewesen sein soll, in Wahrheit jedoch nur eine leicht psychotische, weil unbefriedigte Cousine war, verheiratet mit einem der vielen Schwippschwager …
Ansonsten gehörten die Familien Plotz-Dinckelthal, Taubengrau, aber natürlich auch der Geerke-Clan, die von Klohrmann, die Osterstaudte, Kronberger, die Bauernfeldt und die Dircks (um hier nur die wichtigsten Zweige zu nennen) zu den durchaus angesehenen in Breslau.
Man pflegte (in bürgerlichen Kreisen), wie es damals allgemein üblich war, gesellschaftlichen Verkehr mit anderen sogenannten Honoratioren und war gut oder zumindest oberflächlich bekannt mit den einigermaßen wichtigen Exponenten der eigenen Schicht in der Provinzhauptstadt. So zählte etwa der spätere Nobelpreisträger für Chemie (von 1918), Fritz Haber, der dann als Vater des Gaskriegs eher fragwürdige Berühmtheit erlangen sollte, sogar zu den intimeren Jugendfreunden von Taubengraus Bruder, dem späteren Juristen und höheren Beamten Theobald, der sich ansonsten auch durch eine Reihe hübscher Spleens auszeichnete.
Die Frau des Wissenschaftlers Dr. Haber, Clara, eine geborene Immerwahr, die selbst eine hochbegabte Naturwissenschaftlerin war und daneben auch als Frauenrechtlerin wirkte, nahm sich anno 1915 aus Verzweiflung über eben den von ihrem Mann koordinierten Einsatz von Giftgas – und des Heranziehens der Wissenschaft zu kriegerischen Zwecken ganz allgemein – das Leben. Clara Haber-Immerwahr, deren Mutter aus Wien stammte, hatte übrigens im Jahr 1899 als erste Doktorandin der Chemie an der Universität von Breslau promoviert.
Das Metier von Theobalds Freund Haber sagte Anastasius Taubengrau wenig und auch dem Phänomen Giftgas stand er, später dann und als völliger Laie, eher ratlos gegenüber. Wie er, im Unterschied sowohl zu Haber als auch zu seinem Bruder Theobald, dem Militärischen nichts abgewinnen konnte. Mit einer Ausnahme, wenn man denn ein Gesellschaftsspiel als strategische Übung gelten lassen wollte: Anastasius Taubengrau galt zeitlebens als ausgesprochener Liebhaber des Schachs. Zum königlichen Spiel war er über seinen Paten-Onkel, den geheimen Kammerrat Eusebius Krafft gekommen, der wiederum ein Studienkollege des berühmten Schachexperten und Journalisten Jean Dufresne war, der zwar aus Berlin stammte, jedoch eine Zeit lang an der Breslauer Universität die Rechte studiert hatte.
Doch in erster Linie widmete sich Anastasius Taubengrau – neben Literatur und ein wenig Musik (bloß als gern gepflegtem Hobby) – ganz seiner Leidenschaft, dem Antiquitätenhandel; den er, es hatte sich glücklich so gefügt, sogar rasch schon und in jungen Jahren zu seinem einträglichen Beruf hatte machen können. Und er war nicht nur geschäftstüchtig, sondern auch überaus sachkundig auf seinem Gebiet; das musste sogar sein späterer Kompagnon (und oftmaliger Widerpart) anerkennen; ob neidlos oder nicht, sei dahingestellt. Ja, auch, dass Taubengrau der unbestritten kompetentere der beiden Geschäftsleute war, gestand ihm sein Teilhaber, ein rotgesichtiger, kleingewachsener und rundlicher Mensch namens Gundolf Dann, trotz all der Streitigkeiten, die zwischen ihnen durch Jahrzehnte geherrscht hatten und immer noch, zumindest bis zum Tod Gundolfs im Jahr 1905, herrschten, resignierend zu.
Außerdem galt Anastasius Taubengrau als distinguiert und repräsentabel; im Geschäftsleben damals noch durchaus wichtige Eigenschaften, die seinen eher nachlässigen Geschäftspartner nicht unbedingt auszeichneten. Nein, da neigte Gundolf Dann schon weitgehend zum Weniger-Seriösen. Ja, er kehrte, wenn es ihm opportun schien, immer wieder eindeutig den Altwaren-Tandler hervor. Wohl nicht zuletzt deshalb hatte er auch den Kompagnon anno 1873 anstandslos zur Weltausstellung in den sogenannten Prater in die österreichisch-ungarische Metropole Wien reisen lassen. Anstandslos (wie Dann an sich war) und ohne Widerrede. Sollte doch Anastasius das angesehene Breslauer Antiquitätenhaus Dann & Taubengrau in der habsburgischen Kaiserstadt vertreten, wohin sich zudem schon in den späten 1850er Jahren eine weitschichtige Verwandte des vielverzweigten Familienverbands Taubengrau/Plotz-Dinckelthal & so weiter begeben hatte: Die lustige Elvira, die immer noch in Mischpoche-internen Anekdoten eine Rolle spielte, war damals an die Donau abgewandert, weil sie kurz davor in Breslau die Bekanntschaft des jungen Konditormeisters Anton Pribil aus Wien gemacht hatte, der sich anlässlich einer internationalen Backwaren-Musterschau in Schlesien aufhielt.
Anton Pribil gründete in der Folge in Wien-Hernals eine rasch renommierte Konditorei mit Kaffeehaus, die bald schon weit und breit für ihre geradezu phantastischen Mohnkipferln, Nussbeugerln und Krapfen bekannt war. „Genieße doch vom Glück ein Zipferl – und iss sogleich ein Pribil-Kipferl!“, so lautete der Wahlspruch des einfallsreichen Konditormeisters, der sogar im Inneren des Geschäfts als unübersehbares Spruchband über den Vitrinen prangte. Nach dem Tod des innovativen Süßbäckers und Café-Inhabers zog es Tante Elvira, zur Witwe geworden, dann vor, mit den Kindern lieber weiterhin in Wien zu bleiben. Was hätte sie wohl auch, zurück in Breslau, tun sollen? Nein, dorthin lockte sie so gut wie nichts. Ohne Anton, ohne Mohnkipferln, ohne Krapfen und ohne Nussbeugerln war es so schon traurig genug …
Später heiratete die immer noch recht appetitliche Elvira dann den ebenfalls verwitweten Bäckermeister Eduard Wegrostek, war seinen in die Ehe mitgebrachten zwei Töchtern sowie den eigenen, den Pribil-Kindern, eine tüchtige und liebevolle Mutter und wurde sukzessive zur rundlichen Matrone, die sogar so etwas wie einen Salon führte. Der war allerdings weniger ein literarisch ausgerichteter. Nein, der geriet in erster Linie zu einer Art von süßem Kalorien-Wellnesszentrum, lange bevor der Begriff Wellness überhaupt geprägt worden war.
Immerhin verirrten sich auch aufstrebende Literaten und abgefeimte Journalisten, ein paar selbsternannte Künstler diverser Sparten, Sängerinnen und Sänger und andere Bühnenstützen in die Gesellschaft der voluminösen Ex-Breslauerin; waren doch die zuckrigen Produkte, die hier – sowohl im Geiste Anton Pribils auch auch nach den Rezepten des wackeren Eduard Wegrostek – mit Liebe und Sorgfalt hergestellt wurden, den Besuch allemal wert.
Im Jahr 1873 dann, als Wien zur Weltausstellung rief, kam also, wie oben schon angedeutet, auch Anastasius Taubengrau an die Donau, nicht ohne der längst innerfamiliär zur Legende gewordenen Verwandten aus gemeinsamen Breslauer Jugendtagen seine Aufwartung zu machen. Und Taubengrau dufte sich anschließend auch bei der glamourösen internationalen Schau der Superlative durchaus geehrt fühlen, unter den 53.000 Ausstellern zu sein, von denen immerhin 8000 deutsche Unternehmer waren.
Er würde zwar nicht mit dem Titel eines k. u. k.-Hoflieferanten ausgezeichnet werden wie etwa Kollege Franz Stollwerk, der bekannte Schokoladen- und Zuckerwarenproduzent aus Köln, aber immerhin – er genoss es, in Wien zu sein; in der Stadt, die sich aus Anlass dieser Weltausstellung, übrigens der fünften ihrer Art, nach Kräften abmühte, Österreich und Habsburg nach den verlorenen Kriegen gegen Piemont/Frankreich von 1859 und vor allem gegen Preußen, 1866, und der staatspolitischen Schwächung durch den sogenannten Ausgleich mit Ungarn von 1867 in neuer Strahlkraft erscheinen zu lassen. Freilich, nach dem Motto: Mehr Schein als Sein, wie es dem kritischen Antiquitätenhändler vorkam. (Und er verstand immerhin etwas von Firnis, Politur, Kaschieren und Auffrischen …)
Gut, der Bruder des Kaisers, Erzherzog Karl Ludwig (der Vater des späteren, Thronfolgers Franz Ferdinand von Habsburg-Este, der im Jahr 1914 dann in Sarajevo ermordet werden sollte), hielt eine Ansprache, und Franz Joseph I. eröffnete höchstselbst. Und Anastasius Taubengrau, obschon bloß einer von circa 7,3 Millionen Besuchern, die zwischen 1. Mai und 2. November 1873 zur imposanten Rotunde und zum eindrucksvollen Industriepalast sowie zu den verschiedenen durchwegs architektonisch erstaunlichen Pavillons von Industrie, Wirtschaft und Kultur auf dem Areal des Wiener Praters pilgerten, durfte sich quasi persönlich angesprochen fühlen von so viel imperialem Gepränge.
Ja, Taubengrau ließ vieles vom Flair der neu erstarkenden Weltstadt in sich einwirken, bewunderte die alten und die zum Teil eben jetzt erst entstehenden Bauwerke der insgesamt kolossalen Ringstraße, genoss die appetitlichen Mehlspeisen (besonders die von Pribil und Wegrostek!), den Wein und die Musik. Mit besonderem Stolz erfüllte es ihn, den prominenten Musikus Johann Strauß Sohn in persona erleben zu können!
Knapp zehn Jahre, nachdem der Wien-Freund Taubengrau – er war vor besagter Beurteilung von Pippas Stimmglanz (anno 1915 anlässlich einer Familienzusammenkunft) nochmals schon, nämlich anno 1897, geschäftlich in der Donaumetropole gewesen (wo er auch ausgiebig das eben errichtete Riesenrad bewundert hatte) -, kaum zehn Jahre also, nachdem er über Irene so positiv geurteilt hatte, starb der ehemalige Antiquar dann hochbetagt in Berlin, wohin ihn zum Schluss seines langen und ereignisreichen Lebens eine Enkelin gemeint hatte, hin verpflanzen zu sollen … Obwohl: So schlecht hätte auch die pulsierende Weltstadt an der Spree dem alten Herrn gar nicht gefallen; nur ein bisschen jünger müsste man halt sein, dachte er des öfteren und haderte in solchen Phasen kurz mit dem Schicksal. Schwamm drüber.
Übrigens: Berlin und Breslau. Der bedeutende deutsche Satiriker Kurt Tucholsky merkte zur Spree-Metropole unter anderem an: „Der Berliner hat keine Zeit. Der Berliner ist meist aus Posen oder Breslau und hat keine Zeit. Er hat immer etwas vor, er telefoniert und verabredet sich […]“ („Berlin! Berlin!“,1919/20.) Das hätte für Anastasius Taubengrau, den Patriarchen, auch bei etwas mehr verbliebener Beweglichkeit nicht gegolten. Nein.
Für den übrigen ehemals schlesischen Teil der Verwandtschaft und für die neuere Berliner Linie, mit all deren Verästelungen Irene (allein schon aus geographischen Gründen) in Zukunft eher selten konfrontiert sein würde, galt das Mädchen – wenn man überhaupt einmal von ihr sprach – als an die ferne Donau entrückte kleine Prinzessin, die Pippa eben. (Den Kosenamen hatte man ihr in Verehrung des Dichters Gerhart Hauptmann und seines vieraktigen Glashüttenmärchens „Und Pippa tanzt!“ von 1906 verliehen … Ja, ihre Wiener Pippa …!)
Diejenigen, die anno 1914, knapp vor Kriegsbeginn noch, wie die Familie Plotz-Dinckelthal Breslau verlassen hatten, standen ohnedies von Anfang an begeistert im Bann des außergewöhnlichen Stimmschmelzes, den man innerfamiliär hoffnungsvoll aus dem Singsang des ein Jahr später, 1915, in Wien geborenen blond-lockigen Mädchens herausfiltern zu sollen glaubte. Und auch der schon vorher in Wien geborene, österreichische Zweig, der Nachwuchs der lustigen Tante Elvira, die Pribil-Kinder und ihre Wegrostek-Halbgeschwister mit Anhang und erneutem Nachwuchs, er hatte den Breslauer Zuzüglern quasi schon das Nest bereitet: Eine entsprechende Villa in Hietzing war von Pippas Eltern, Georg Martin und Aglaia Plotz-Dinckelthal, bereits ein knappen Jahr vor der Geburt des Mädchens bezogen worden.
Man lebte sich schon bald ganz passabel ein, und auch geschäftlich war es Pippas Vater gelungen, in Wien schnell Fuß zu fassen. Auch wenn die Zeit alles andere als leicht war – für die Wienerinnen und Wiener wie auch für die Zugereisten. Besonders, da die anfängliche Kriegs-Euphorie sukzessive zu Skepsis mutierte, die ihrerseits wiederum – noch später – in schiere nackte Angst und noch weiter dann in pure Resignation kippen würde. Wie sich insgesamt die militärischen Ereignisse, geschuldet diversen Falscheinschätzungen und sträflichem Dilettantismus, zu einem Ausgang hin entwickelten, der bald schon Schreckliches verhieß. Politisch mündete alles schließlich in die Misere nach 1918: die strengen Friedensverträge und die alles andere denn leichte Zeit nach dem Untergang der Donaumonarchie.
Ja, auch die als Angehörige des Deutschen Reiches aus dem schlesischen Breslau an die Donau gelangte Familie Plotz-Dinckelthal hatte durchaus am Untergang der Habsburger Monarchie mitzutragen; naturgemäß auch an den stringenten Friedensverträgen – die immerhin für Deutschland wie für Österreich-Ungarn überaus negative Folgen zeitigten und in beiden Fällen das Ende des Kaisertums bedeuteten. Und eine äußerst ungewisse politische Zukunft.
Kaum Erfreulicheres, als es die Familie Plotz-Dinckelthal in Wien erlebte, erfuhr sie aus Breslau selbst und aus anderen deutschen Städten, wohin sich ebenfalls näher und ferner Verwandte begeben hatten. Familie Taubengrau zum Beispiel mit dem Patriarchen Anastasius als Zentrum, hatte wenig Grund zu Freudenbriefen. Im Gegenteil. Überall herrschte Not …
Doch auch den längst eingebürgerten Wiener Verwandten, den Pribils und Wegrosteks, ging es alles andere als zuckrig; auch wenn die Produktion der vormals so fomidablen Mohnkipferln, Nussbeugerln und Krapfen bald wieder entsprechend anzulaufen versprach, was für die kommende Zeit immerhin einiges an Süßem bedeutete …
Immer freilich frohlockte zwischendurch Frau Musica! Übertönte erst das ferne Kriegsgetöse, dann die politischen Misstöne und auch das nahe Magenknurren in gleicher Weise …
Irene singe in der Tat beachtenswert, lautete schon ein paar Jahre später das allgemeine Urteil, und das bedeutete für das blonde Mädchen mit den blauen Augen und schlesischer Provenienz, dessen Wiege indes an der Donau gestanden war, naturgemäß auch eine Verpflichtung, nämlich – zielgerichtet weiterzumachen und das vorhandene Talent wohl zu nützen und gezielt einzusetzen. (So wäre zumindest die gute Nachrede in der Familie gesichert …)
Sie singe schön, beachtenswert und sogar außergewöhnlich. Dazu tonrein und ausdrucksstark, wie sich der hinzugezogene Freund des Hauses in Wien, der Arzt und überaus aktive Amateurmusiker Dr. Romuald Becke, der Primarius des doch immerhin recht bekannten Becke-Quartetts, wohlwollend äußerte. Ja, Herrschaften, da wächst wohl etwas heran …
Also, da wuchs in der Tat etwas heran, nämlich Irene alias Pippa. Und mit ihr ein Gesangstalent von einiger Qualität. (Dass sie sich später einmal und auf Anraten ihres ersten Intendanten Irène Grelot nennen würde, hätte damals vermutlich niemand für möglich gehalten …)
Seltsam eigentlich dieses musikalische Talent, galten doch beide Eltern als eher bloß wenig künstlerisch und von den Musen weitgehend beim Kusse ausgespart. Mutter Aglaia war über ein paar durchaus vergessenswerte Tanzschritte im obligaten Ballettunterricht, erduldet in einem der ersten Institute in Breslau, nicht hinausgekommen. Und der Vater, Georg Martin Plotz-Dinckelthal? Der konnte das Pfeifen eines alten Wasserkessels kaum von einer durchschnittlichen Interpretation der Arie der Königin der Nacht aus Mozarts „Zauberflöte“ unterscheiden. Höchstens nach der Länge. Doch besagte das nicht viel. Er hatte früher noch, in der alten Heimat, rein äußerlich auch kaum zwischen dem sogenannten eisernen Kanzler, Otto Fürst von Bismarck-Schönhausen, und dem brandenburgischen Dichter Theodor Fontane zu differenzieren vermocht: Verfügten doch beide über diesen seltsam struppigen Schnauzer im großflächigen Gesicht … (Dass sie auch beide im selben Jahr, nämlich: 1898 starben, soll hier nur der Vollständigkeit wegen erwähnt werden. Und dass in nämlichem Jahr, 1898, Bertolt Brecht geboren wurde, hat mit alledem vermutlich überhaupt nichts zu tun!)
Übrigens: Vater Plotz-Dinckelthal schämte sich für das vermeintliche Unvermögen gewisser feiner Unterscheidungen in eher wenig wichtigen Angelegenheiten auch keineswegs (und Politiker- oder Dichterbärte waren seiner Meinung nach nun einmal unwichtig); dazu wäre der Spross einer vor gut hundertfünfzig Jahren aus Pommern nach Breslau zugewanderten Familie denn doch zu stolz gewesen! Und in seiner nunmehrigen Position, hier in Wien, als Teilhaber einer florierenden Fabrik für technische Geräte aus Gusseisen in Schwechat, in die er sich nach dem Abgang aus Breslau noch Ende 1914 hatte einkaufen können, musste er auch kaum jemals auf musische Talente oder gar künstlerisch kreatives Potential (und schon gar nicht auf Identität stiftende Bärte) zurückgreifen. Nein, für Hawelka & Plotz, wie die Firma sich nun nannte, die in großem Stil hauptsächlich Haushaltswaren herstellte, reichten eigentlich Geschäftssinn und merkantiles Gespür. Und darüber verfügte Georg Martin Plotz-Dinckelthal in Fülle; in wesentlich reichlicherem Ausmaß zumindest als sein neuer, leider ziemlich versoffener (und weitgehend liederlicher) Kompagnon Matthias Hawelka auf alle Fälle …
Auch sonst waren ausgesprochene künstlerische Talente in der weitverzweigten Großfamilie eher dünn gesät. Und eine Cousine, Eva-Maria Geercke in Berlin, wie Pippa im Jahr 1915 geboren, war wohl auch eine Ausnahme; sie wandte sich schon in jungen Jahren dem Theater zu, und zwar der (besonders in den sogenannten schlechten Zeiten) so beliebten Sparte Revue, lernte in der Folge einen stinkreichen jungen Amerikaner kennen und wurde von Henry W. Nicholson II. anno 1936 tatsächlich vom Fleck weg geheiratet! Der smarte Jung-Millionär und Erbe eines Autowerks sowie mehrerer Fabriken, in denen Glühbirnen, Leuchtstoffröhren und ähnliche hochaktuelle elektrische Gerätschaften erzeugt wurden, nahm seine Angetraute mit über den Großen Teich – nach Denver, wo er ihr ein mehr als bloß luxuriöses Zuhause sowie überhaupt ein Leben in Saus und Braus bot.
Jahre später, längst von Henry geschieden, erbte Eva-Maria noch ein stattliches Vermögen nach dem frühen Unfalltod (bei einem Flugzeugabsturz) des unternehmungslustigen Ex-Mannes, sodass sich in der Familie kaum jemals ernsthaft die Frage stellte, wer von den beiden Basen nun die Gold- und wer die Pech-Marie gewesen sei. Da wirkte der mittelschwere Hautgout, den die Berufsbezeichnung Revue-Künstlerin ein paar Jahre zuvor noch verbreitet hatte, seltsamer Weise längst wie weggeblasen. (Nun, besonders im olfaktorischen Bereich verfügt unser Gedächtnis ganz allgemein oft über eine eher nur geringe Dauer; und am längsten hält sich da noch der unaufdringliche Geruch von Gold, Geld, Aktien und Immobilien …)
Doch, noch ein Künstler: Ein – allerdings: angeheirateter – Cousin, Maximilian von Klohrmann (zu einer Münchener Seitenlinie gehörend), lebte offiziell zwar als Maler in der Isar-Metropole; aber eigentlich doch mehr von der Hand in den Mund. Bis er schließlich seine Neigung zum gewesenen Malerkollegen und nunmehrigen Jungpolitiker Adolf Hitler und dessen aufstrebenden braunen Horden entdeckte und immerhin eine beachtliche Karriere in der Partei machte, die sich gerade in Gründung befand. Unrühmlich, aber effektiv.
Sonst, wie gesagt, verharrte die weitverästelte Großfamilie zwar in einer gewissen Hochachtung vor den Künsten, sah sich indes kaum zu eigen-kreativem Tun geneigt und imstande.
Somit war Irene, die fast alle zumindest zwischendurch immer wieder Pippa nannten, alsbald der einzige künstlerische Mensch im von Mal zu Mal lockerer werdenden Familienverband. Denn für große Zusammenkünfte fehlte es sowohl an Geld als auch an Animo. Und die allenthalben in Wien, Berlin und München sowie im alten schlesischen Stammland, in Breslau und Umgebung, aus ihren Wiegen heraus quäkenden Neuankömmlinge der diversen Familienzweige – bei Plotz-Dinckelthal, Taubengrau, Geercke, von Klohrmann, Osterstaudte, Bauernfeldt und Dircks, um nur einige der Familien zu nennen – würden a priori schon weit weniger Zusammenhalt kennen, als er bei ihren Altvorderen noch gang und gäbe gewesen war.
Dazu kam, dass auch die Politik begann, sukzessive eine immer stärkere Rolle zu spielen, was sich sogar innerhalb der einzelnen Familien bemerkbar machte. Da gab es naturgemäß Konservative in den eigenen Reihen, einige Rote dazu und immerhin: ein paar ziemlich radikale Kommunisten. Und, die Zeit war nun einmal danach, immer mehr Nationalsozialisten … Kurz: Man war einander auch weltanschaulich nicht unbedingt immer grün.
Zwar korrespondierte man zu Festen und hielt einigermaßen lockeren Kontakt; doch eigentlich waren alle viel zu sehr mit ihren eigenen Sorgen und Nöten beschäftigt, als dass sie sich um die weitere Verwandtschaft, deren Exponenten man ohnedies kaum kannte, auch noch groß Gedanken machen wollte. Und ob da ein Mädchen namens Irene (oder Pippa), das langsam zur jungen Frau heranreifte, in Wien sang oder nicht, das war innerhalb der Mischpoche auf Dauer kaum mehr von Bedeutung. Immerhin gab es genug andere Probleme, die sich, im sogenannten Großen wurzelnd, oft genug ins Kleine hinein elementar auswirkten; seien es die Weltwirtschaft, die Frage der fehlenden Arbeitsplätze oder, wie schon erwähnt, die immer extremer werdende Politik; womöglich gar die erneut schon wieder dräuende Kriegsgefahr …
Und Pippa singt!
Ihre Lehrer am Konservatorium in Wien prophezeiten ihr nach wie vor eine schöne Karriere. Wenn vielleicht auch keine ganz große. Gemessen nämlich an den quasi epochalen Sängerinnen, den Wagner-Heroinen oder den vorbildhaften Gestalterinnen der wichtigsten Mozart- und Verdi-Partien; aber auch verglichen mit den angebeteten Sternen, die droben am Operettenhimmel prangten und prunkten. Doch – es würde schon werden!
Auch machte sie sich im Dramatischen sehr gut. Ja, Irene verfügte über durchaus überraschend viel Begabung, ihre Gefühle in Töne, erahnten Schmerz in schiere Schreie des Wahnsinns, freilich auch ihre Freude in anmutigstes, frisches Jauchzen umzumünzen, sodass sich also das frühe Urteil Dr. Romuald Beckes (der Primgeiger des Becke-Quartetts war 1926 verschieden) jetzt, im Nachhinein, durchaus bestätigte. Nur dass sich zu den Begriffen tonrein und ausdrucksstark langsam aber sicher jetzt eben auch lebendig und dramatisch mischten.
Großen Anteil daran hatte Mizzi Langenohr, eine – zugegeben: ein wenig – abgehalfterte Operettensängerin mit einem nicht übersehbaren Hang zu harten Getränken, die Irene Plotz-Dinckelthal von einer ihrer Lehrerinnen als spezielle Instruktorin für das Fach der Soubrette empfohlen worden war. Und Mizzi Langenohr empfand sogleich jede Menge Sympathie für Pippa; nicht zuletzt, weil sie glaubte, über das Mädchen mit der glockenhellen Stimme all das (oder zumindest manches von dem) verwirklichen zu können, was ihr selbst letzten Endes gut fünfzig Berufsjahre hindurch (und allem heißen Bemühen zum Trotz) versagt geblieben war.
Man kennt das Phänomen, dass zum Beispiel für den Tanz weitestgehend unbegabte und allein schon aufgrund ihrer Kurzbeinigkeit ohnedies fürs Ballett ungeeignete Mütter ihre eigenen Karrieresehnsüchte auf ihre Töchter projizieren; und die armen Mäuse müssen dann quasi die Zeche für die Talentlosigkeit der vorherigen Generation bezahlen – in mühsamen Trainingseinheiten, unter Ausstoß von Schweiß und Tränen …
Doch Mizzi Langenohr, die amüsante Schnapsdrossel, war wenigstens tatsächlich vom Fach. Und sie wusste daher, was in Irene steckte und was man ergo aus ihre herausholen konnte.
Zwischendurch machten allerdings sogar der (sonst durchaus souveränen) Lehrerin Mizzi Langenohr beinahe selbst Anflüge von Neid zu schaffen – angesichts der prächtigen Lernerfolge der gleich stimm- wie ausdrucksstarken Pippa; die zudem früh schon über unerhört viel Intensität und Präsenz verfügte. Darüber vermochten der überaus bemühten Mentorin auch, weiß Gott!, Unmengen von Eierlikör, Wodka und Whisky letztlich nicht hinwegzuhelfen. Nein, der ganze Fusel, so elementar er auch im Moment wirken mochte, ersetzte nun einmal à la longue nicht die physischen wie psychischen Lustgefühle, die sie letzten Endes ja selber empfunden hatte, als sie noch (zugegeben: in wenig attraktiven Provinz-Theatern und auf eher abgetakelten Revue-Bühnen) im Scheinwerferlicht gestanden war. Daran wurde die abgehalfterte, gealterte Soubrette durch die junge Kollegin jetzt so schmerzlich erinnert …
Ja! Dort zu brillieren (noch dazu an einem großen Theater!), die großartigen Operettenlieder zu singen und in schmucken Kleidern und Kostümen, in hübscher Schminke und in tollen Frisuren zu gefallen, verführerisch und exquisit, das war ihr Lebenswunsch gewesen … Und wenn er sich an ihr auch nicht erfüllt hatte, in Irene, so fand sie, würde jetzt schon ein ähnliches Flämmchen glühen. Ihre kleine Neid-Flamme brachte Mizzi Langenohr solcherart immer rasch zum Verlöschen. Und überbordende Empathie stellte sich aufs Neue ein.
Denn es galt doch, dieses fast noch keusche Flackern da in Irene Plotz-Dinckelthal zum Vollbrand zu bringen! Frl. Langenohr wollte jedenfalls ihren Beitrag dazu leisten. (Prost!)
So kam es – besonders ab dem Zeitpunkt, da Irene sich (gegen manchen Widerstand) entschied, tatsächlich die Karriere einer Soubrette und nicht die einer Liedsängerin, Operetten- oder gar Operndiva einzuschlagen -, dass zumindest ihre Stimme und ihr theatralischer Auftritt weiterhin außer jedem künstlerischen Zweifel standen. Kein Vergleich mit der Berliner Cousine Eva-Maria Geercke, die sich letztlich ja selbst zum Revue-Girl degradiert und gar eines US-amerikanischen Ehemanns für ihr späteres monitäres Auskommen bedurft hatte!
Dass sich Pippa schließlich, sozusagen als Ganzes: französisierte, und dass sie als Künstlernamen Irène Grelot wählte, verursachte nur mehr mattes Kopfschütteln in der Verwandtschaft. (Sogar die in Fragen der Berufswahl stets so sanftmütigen und bereitwilligen Eltern, die der Tochter bisher immer alles, was Pippa sich gewünscht hatte, soweit es ging, gern ermöglicht hatten, waren, zugegeben, einigermaßen überrascht … Freilich, warum sollte sich die glockenreine Stimme nicht auch Grelot, also: das Glöckchen, nennen?!)
Man resignierte. Aber die Stimme …
Diese Verwandlung geschah übrigens schon unter dem Einfluss des Intendanten Dr. Felix Mandelbaum von Wiener Operettentheater, dessen Bekanntschaft Pippa als blutjunge, eben erst maturierte Abgängerin des überaus streng und züchtig geführten Gymnasiums der Schwestern vom Sacré Coeur gemacht hatte, also mit eben einmal achtzehn Jahren. (Freilich, ihre Klavier- und Gesangsausbildung hatte damals schon beträchtliche Fortschritte gemacht; man konnte sie gut und gern als jungen Profi bezeichnen.)
Mandelbaum. Dr. Mandelbaum. (Intendant Dr. Mandelbaum.)
Dieser fesche, um knapp zwei Jahrzehnte ältere Dr. Felix Mandelbaum faszinierte die nun doch ein wenig schüchterne Pippa beim ersten Hinsehen (und ohne, dass sie etwa schon gewusst hätte, dass er von Beruf Intendant war). Ja, auf den ersten Blick, den das Mädchen auf den jungen Theatermann bei einer größeren Redoute warf, war da ein Schalter umgeschaltet worden, sozusagen. Kurz war ihr, als befänden sich ausschließlich sie und dieser unbekannte fesche Mann mit den schwarzen Haaren (und ein paar weißen darin) im riesigen Saal … Alleanderen – weggeblendet. Ausgeschaltet. Auch die Geräusche der Musik – wie gefiltert. Hintergrund, alles Hintergrund. Nur er und sie … Noch dazu begab sich das alles beim beliebten Ball der Zuckerbäcker und Konditoren, zu der sie die Eltern mitgenommen hatten.
Zwar wusste Irene Plotz-Dinckelthal noch gar nicht, wer sie da so verwirrte; nur, dass sie verwirrt war, fiel sogar ihren Kolleginnen und Freunden auf, ehemaligen Mitschülerinnen und Tanzschulgefährten. Nicht freilich ihren Eltern, die Irenes Sprachlosigkeit auf den festlichen Rahmen zurückführten und auf das Ungewohnte des Raumes wie den Glanz der insgesamt so stimmungsvollen Festivität. (An der Organisation wirkten übrigens späte Pribil- und Wegrostek-Nachfahren der früher bereits ausführlich behandelten Tante Elvira aus Breslau mit!)
Man stellte das Fräulein (und somit das aufstrebende Gesangstalent) schließlich – es ergab sich so – dem Herrn Intendanten vor. Und auch Dr. Felix Mandelbaum gegenüber gab sich die sonst von Leben und Laune nur so Sprühende zunächst, was ihr selbst seltsam erschien, eher einsilbig und nachdenklich. Doch ließ sie das in den Augen des fast Vierzigjährigen womöglich noch aparter erscheinen. Und: irgendwie – erwachsen, bei aller fühlbaren Jugendfrische und Anmut … Ja, Pippa war sogar hold errötet, als der darin durchaus geübte Blick des Herrn Intendanten just einmal auf sie gefallen war, als er ihn über all die schönen Ballsirenen hatte schweifen lassen. (Ein Glück, dass seine Gattin Dorothea nicht anwesend war. Doch die oblag, wie gewöhnlich, anderen gesellschaftlichen Verpflichtungen.)
Dann tanzten sie. Irene Plotz-Dinckelthal lag in den Armen des Dr. Felix Mandelbaum.
Sie schwebten dahin. Federleicht. Traumverloren (zumindest Irenchen). Himmlisch!
O ja! Irene alias Pippa fühlte sich wie im siebten Himmel! Von dem mochte man ihr wohl erzählt haben, als sie noch ein Kind gewesen war, als einem metaphorischen Zustandsort, vermutlich, einem kaum je erreichbaren; denn bei Plotz-Dinckelthal ging es eher prosaisch zu. (Bis sie später dann selbst davon gelesen hatte in irgendeinem trivialen Roman und mit vor Staunen offenem Mund.)
Doch jetzt merkte sie ihn, diesen Zustand, der doch auch allenthalben besungen wurde: in den Operetten und Singspielen, die sie nunmehr aufs Eifrigste studierte, Klavierauszug um Klavierauszug. So zuckrig und pastellig-bunt schilderten ihn die locker-flockigen Meister der sogenannten leichten Muse und ihre bereitwilligen Librettisten. So, als ob alles eine große Gaude sei (wie man hier in Wien sagte), und es nach dem siebten Himmel kein Morgen gäbe!
Egal, die Sache schien ihr mit einem Mal noch viel wunderbarer, als vermutet! Denn ab jetzt, ab diesem so unwirklich schönen Ballabend (einschließlich dem Walzer mit dem Herrn Intendanten!), hing der siebte Himmel ursächlich mit Felix Mandelbaum zusammen! Dem heiß-verehrten, in über-süße Zuckerwatte verpackten, von mindestens Schweizer Vollmilch-Schokolade umflossenen Felix! (Diese Gloriole sollte übrigens bleiben, die Irenchen da nun einmal um den feschen Theatermann, Charmeur und Weiberhelden Dr. Mandelbaum im Nu gewickelt hatte. Diese Schleife, mit der sie freilich auch ihrerseits den attraktiven Chef, das unerreichbare Ideal, an sich zu binden versuchte – zumindest im Geist –, sie verfügte durchaus über Ewigkeits-Charakter und Halt… Bis zu ihrem Tod, später, viel später dann, nämlich im Jahr 2008 in der fernen Toskana, bis zu ihrem Tod würde sie bestehen, diese Gloriole … Als ein – sozusagen – unverbrüchliches Band! Ja! – Doch wollen wir besser nicht abschweifen [und schon gar nicht vorgreifen].)
Was sie mache, fragte der stattliche, dunkelhaarige Mandelbaum, nachdem sie gegenseitig brav und ordentlich, wie es sich gehörte, ihren Namen genannt hatten. Und was sie jetzt, nach der Matura anzufangen vorhabe? – Ah?! So, also eine Kollegin …
Und beim zweiten Glas Champagner (oder war es schon das dritte?) war der Name Grelot geboren, Irène Grelot.
Ein paar Wochen später gehörte Pippa, erst einmal probeweise, schon bald jedoch fix dem Ensemble des Wiener Operettentheaters an. Als Soubrette (als zweite, nein: dritte Soubrette, genauer gesagt).
FORTSETZUNG:
Unerreichbarer Dr. Mandelbaum
Die einen kommen von Schlesien, die anderen aus der Bukowina. Und egal, ob sie sich nach Berlin, Wien oder München hinbewegen, wichtig ist nur die kaum beschreibbare, vielleicht sogar: diffuse Angst, das große Befürchten, das sie treibt. Weg von daheim.
Bei manchen, vor allem bei solchen, in deren Familien mehr politisches Gespür oder auch nur eine gewisse Vorsicht in den Genen eingelagert war, mochte wohl auch eine Art (vielleicht sogar etwas selbstgefälliger) Da-habt-Ihrs!-Bestätigung mitschwingen; was ihre Flucht freilich auch nicht gerade angenehmer machte. Was ihnen jedoch half, sogar mit wenig erfreulichen Überraschungen in der neuen Heimat leichter fertig zu werden, kurz: sich besser zu arrangieren mit dem Missliebigen, das hier oft und oft plötzlich und unvermutet auftauchte.
Dass ein gerüttelt Maß an Befürchtungen just manchen jüdischen Emigranten innewohnte, muss nicht erst besonders hervorgehoben werden – bedenkt man die Geschichte.
Die zu ahnenden Veränderungen, die dieser große Krieg, den man später Weltkrieg, noch später dann den Ersten Weltkrieg nennen wird, bringen würde, treiben sie also dazu an, die Heimat zu verlassen; egal übrigens, wie kritisch ihrem engeren oder weiteren Umfeld gegenüber sie zuvor auch immer eingestellt gewesen sind. Oder wie wohl sie sich gefühlt haben. (Und wie kritisch sie ihrerseits von ihrem Umfeld betrachtet worden waren …)
Dies gilt sowohl für die Familien Plotz-Dinckelthal, Taubengrau, Geercke und von Klohrmann et cetera aus Breslau, dem deutschen Schlesien also, als auch zum Beispiel für die Familie Mandelbaum aus Czernowitz, der Hauptstadt des österreichisch-ungarischen Kronlands Bukowina, von deren Ausreise nach Wien wir im Folgenden dann berichten wollen.
Geschuldet waren dieses und ähnliches Ab- oder Auswandern vermutlich zu einem bedeutenden Teil der allgemeinen inneren Unruhe – in Schlesien genauso wie im Buchenland -, die schon Jahre vor Ausbruch des Krieges die Menschen beschlichen hatte. Wie ein Wandertrieb erfasste er manche, und das Jahre oder Monate, bevor eine zunächst aufflammende Kriegsbegeisterung das Fassen klarer Gedanken ohnedies unmöglich machen würde. Wie auch die bald folgende Ernüchterung zwar die Nebel der falschen Ideale zum Verziehen brachte, ein vormaliges Auf- und Davongehen indes als vertane Chance demaskierte, war man geblieben …
Die Schrecknisse des Krieges, die Karl Kraus in seiner Tragödie „Die letzten Tage der Menschheit“ (1915 – 1917) so wahr und stimmig wie grell karikierend und satirisch überhöhend schildert und abmalt, sie mögen allen, die sie miterleben mussten, wie auch immer noch schrecklicher (oder durch welche Gründe womöglich auch abgemildert) erschienen sein. Der Drang, davor und ganz allgemein vor ähnlich furchtbarem Geschehen wegzulaufen und so schnell wie nur möglich davonzurennen, ist immerhin verständlich. Und was Kraus in den Vorbemerkungen zu seinem theatralischen Pandämonium darüber schreibt, galt in gleicher Weise auch für das tatsächlich sich Eriegnende, auch und gerade in seiner grässlichen realen Gestaltwerdung: „Die Aufführung (des Dramas […]) ist einem Marstheater zugedacht.“
Ja, einem Theater des Kriegsgottes Mars. Und keinem anderen eines anderen Gottes.
So gesehen konnten die Familien, die vorher, knapp vor der Katastrophe, im letzten Abdruck, wie es so bildhaft heißt, gegangen waren, noch vom Glück im Unglück sagen; egal, ob sie Plotz-Dinckelthal hießen und 1914 aus Breslau kamen oder sich Mandelbaum nannten und einige Jahre früher schon, von schlimmen Ahnungen erfüllt, Czernowitz verlassen hatten. Und: Ihre Nachkommen würden sich längst nicht mehr als Entwurzelte fühlen müssen wie vielleicht sie selbst (zumindest eine Zeit lang). Nein, die Jungen hatten sich bloß mit den neuen Gegebenheiten und mit den Eigenarten der neugewonnenen Heimat zu arrangieren …
Doch was, bitte, was bedeutete Heimat überhaupt? War das nicht bloß ein etwas zu großes, ein aufgeblasenes Wort? War für alle, die das Glück hatten, im sogenannten Schoß einer Familie aufzuwachsen, nicht eigentlich das ihre (wahre) Heimat?! Und noch etwas: Vermochten die Nachgeborenen, später dann, in den davor von ihren Eltern womöglich noch als fremd und abweisend empfundenen Gegenden und Räumen des Sentiments nicht schon ein recht ordentliches Gefühl von Wohlbefinden und Dazugehörigkeit zu entwickeln? Na, also!
Übrigens ist hier in erster Linie von zwei Menschen die Rede, nämlich vom nachmaligen Theatermann und erfolgreichen Wiener Intendanten Felix Mandelbaum aus Czernowitz und von der Soubrette Irene Plotz-Dinckelthal, genannt Irène Grelot, die wir als sangesfreudige Pippa mit Breslauer Wurzeln ja schon kennengelernt haben.
Jenem ist, so viel sei schon hier einmal verraten, nach einer durchaus angenehmen, zu diversen charmanten Tendeleien anregenden Jugend- und Studienphase dann sogar großer künstlerisch-organisatorischer Erfolg beschieden; dann folgen jedoch ein überaus schweres Los und sogar der gewaltsame Tod. Traurig, ja. Nachträglich allerdings schließt sich immerhin eine Art Apotheose als große posthume Ehre an, die Felix sogar zu einer Berühmtheit macht.
Diese, unsere entzückende Pippa, die sukzessive zu Irène Grelot heranreift? Sie wird, zunächst auch immer wieder aufs Strengste vom Schicksal geprüft, zuletzt ihr spätes und unverhofftes Glück erfahren; zwar nicht als bedeutende Sängerin, was sie sich doch immer gewünscht hatte, indes als überaus glückliche Wahl-Oma in der Toskana …
Mandelbaum und Wien. Plotz-Dinckelthal und Wien. Warum eigentlich ausgerechnet – Wien? Vielleicht, weil das Überleben in der bekanntermaßen ziemlich morbiden Donaumetropole (besonders nach 1900 dann) so viel sicherer sein würde und bequemer als anderswo? Weil es also leichter wäre, hier Fuß zu fassen und Halt zu spüren?
Immerhin dräute in Czernowitz, wie sich die Dinge schon gegen Ende des 19. Jahrhunderts abzuzeichnen begonnen hatten, einiges an Umwälzungen, sollte – und damit musste man immerhin rechnen – Habsburg, aus welchen Gründen auch immer, des Buchenlands womöglich wieder verlustig werden. Da waren die Rumänen, die sich die Bukowina ganz gern unter den Nagel gerissen hätten; da waren die Ruthenen (Ukrainer), die auch nicht abgeneigt gewesen wären; und da war schließlich das – noch zaristische – Russland, dem man im Grund genommen auch nicht über den Weg traute. Zumal eine jüdische Familie, wie die Mandelbaums es waren, die beunruhigende und später dann beängstigende Entwicklung sozusagen: seismographisch vorherspürte. Zudem lag beim großen Nachbarn schon die Revolution in der Luft …
Nein, in der Hoffnung auf die gleichsam unumstößliche Sicherheit oder die endgültige Geborgenheit würde man nicht nach Wien gehen. Doch: Immerhin, ein wenig sicherer würde es in der Donaumetropole vermutlich allemal sein. Zumindest eine Zeit lang.
Also packte man im Jahr 1908 eben die Koffer, und auf ging es nach Wien.
Auch Plotz-Dinckelthal fühlten sich in Breslau nicht mehr so ganz wohl. Hier mochten es zwar in erster Linie geschäftliche Veränderungen gewesen sein, doch ein Neuanfang möglichst weit weg, das hatte schon etwas für sich, fand man. Da entschloss man sich denn, knapp vor Ausbruch des Großen Krieges, den Schritt zu wagen: nach Wien.
Und in Wien gab es immerhin schon die Personen-reiche Nachkommenschaft der legendäre Tante Elvira, die es um die Mitte des 19. Jahrhunderts an die Donau verschlagen hatte, wo dann die Konditormeister Pribil beziehungsweise Wegrostek die flotte Verwandte sukzessive zur Wienerin gemacht hatten … Ein wenig Unterstützung war da schon zu erwarten – an Know How; denn an Geld mangelte es im Hause Plotz-Dinckelthal ohnedies nicht.
So hatten also sowohl seine als auch ihre Eltern (unabhängig von einander) geglaubt, berechtigterweise hoffen zu dürfen, just hier würde es anders sein. Und besser. Und leichter. Aber besonders – anders. Denn: Aller Neuanfang muss anders sein.
Die Familien Plotz-Dinckelthal, Taubengrau, Geercke und von Klohrmann, samt den genealogischen Verzweigungen Osterstaudte, Bauernfeldt und Dircks, wandten sich also endgültig, wie es schien, ab von Schlesien; bereit, die Dortgebliebenen in Zukunft (wenn überhaupt, dann) vermutlich nur mehr per Telegramm, Brief und Postkarte zu kontaktieren und solcherart von Geburt, Taufe, Eheschließung, Trennung und Tod zu erfahren beziehungsweise ihrerseits Kunde zu tun von solchen und ähnlichen Ereignissen. Sie gehen also nach Frankfurt, nach Hamburg, Berlin oder München. Aber auch nach Wien, beispielsweise.
Andere kamen aus Gründen, die sich womöglich nicht allzu sehr von denen der Ex-Schlesier unterschieden, eben aus Czernowitz – oder Brünn, aus Lemberg oder Siebenbürgen – an die Donau und an die Mur, an die Spree oder an die Isar.
So auch die Familie Mandelbaum.
Moritz Mandelbaum, der Urgroßvater des in der Folge dann so erfolgreichen Intendanten des Wiener Operettentheaters, dem noch später allerdings ein sehr schweres Los beschieden sein sollte, Uropa Mandelbaum hatte sich in Czernowitz noch als anerkannter und beliebter Kantor betätigt, was vermutlich zumindest mit den Grundstein zum musikalischen Talent des 1895 geborenen jungen Mannes gelegt haben könnte. Einer der Nachfolger des Sangesfreudigen in diesem Amt war übrigens (und schon in jungen Jahren) der Ausnahme-Tenor Joseph Schmidt. (In Deutschland erst zum gefeierten Star emporgehoben, sollte Schmidt zuletzt ein prominentes Opfer des Nazi-Regimes werden; der kleingewachsene, doch stimmlich so große, begnadete Sänger kam im Jahr 1942 in einem Internierungslager in der Schweiz um.)
Die Familie Mandelbaum hatte allerdings in Czernowitz wenig später die Assimilation vollzogen; was keinesfalls unüblich gewesen war für Mitglieder der sogenannten gehobenen jüdischen Kreise an diesem Ort des – meist friedlichen – Zusammentreffens diverser Völker und Rassen unter der Oberhoheit von Habsburgs Thron. Oberhoheit, nicht Obhut; denn da verstand der gestrenge Hof des Erzhauses durchaus zu differenzieren. (So hieß die 1875 eröffnete Francisco-Rudolphina folgerichtig auch deutsche Nationalitäten-Universität.)
Der Vater des späteren Wiener Theatermachers Dr. Felix Mandelbaum, Friedrich, der Enkelsohn des oben genannten Kantors Moritz also, galt als überaus kunstsinnig und gebildet. Zudem war er, der von seinem Vater Leo eine gut eingeführte Buchhandlung geerbt hatte, nicht nur äußerst belesen, sondern war darüber hinaus ein durchaus profunder Literaturkenner. Als solcher verfügte Mandelbaum in der Hauptstadt des Buchenlandes (oder der Bukowina, wie das östlichste der habsburgischen Kronländer dort, hart an den Karpaten, genannt wurde) diesbezüglich durchaus über Renommee. Und wenn Fritz, wie man ihn in der Familie rief, anders als seine Vorfahren, auch längst keine besondere Rolle im Leben der jüdischen Glaubensgemeinschaft von Czernowitz mehr spielte, so war seine Meinung doch immerhin von vielen Seiten her gefragt. Denn Friedrich Mandelbaum war geschätzt als stets mit Augenmaß um Ausgleich bemühter Mitbürger sowie als gebildeter Mensch mit Lebenserfahrung. Und er verstand es – zuzuhören. Juden wie Nichtjuden. Egal, worum es sich gerade drehte.
In der jüdischen Gemeinde war in den 1870er Jahren ein offener Streit zwischen den Reformjuden unter Rabbi Eliezer Elija Igel und den Orthodoxen unter Rabbi Benjamin Arie Weiss entflammt. Erst die Gründung der neuen Synagoge, die im Jahr 1877 eingeweiht wurde, befriedete die verfeindeten Gruppen wieder einigermaßen.
Und auf das Koordinieren verschiedener Interessen sowie auf das Beilegen von Konflikten verstand sich, wie angedeutet, der renommierte Buchhändler Fritz Mandelbaum durchaus. So pflegte man im Haus des toleranten und weltoffenen Geschäftsmannes sowohl Kontakte zum bekannten Zionisten Mayer Ebner, zum Schriftsteller Itzig Menger (der hauptsächlich jiddisch schrieb) wie zu assimilierten Kreisen unter den Intellektuellen, denen man sich selbst ohnedies zugehörig fühlen durfte. Fritz Mandelbaum kannte Karl Emil Franzos gut, und fraglos hätte er sich auch mit den später geborenen Schriftstellerinnen und Schriftstellern wie Ninon Hesse, Rose Ausländer oder Alfred Magul-Sperber, mit dem geistreichen Weltenbummler Gregor von Rezzori und dem Ausnahmelyriker Paul Celan gut verstanden.
Mit dem – nicht nur als Trinker – intensiven, originellen Schriftsteller und weltgewandten Journalisten Jospeh Roth, der aus Galizien stammte, war Fritz Mandelbaum später, schon von Wien aus, in recht intensiver Korrespondenz verbunden; auch mit so unterschiedlichen Geistern wie dem – übrigens oft recht makaber-witzigen, dann wieder hypochondrisch-überängstlichen – Franz Kafka und dem gleich abenteuerlustigen wie tiefsinnigen, stilistisch gewandten Egon Erwin Kisch bestanden lose, doch über Jahre dauernde Bekanntschaften; denn auch zu den Prager Kreisen fühlte sich Mandelbaum stark hingezogen. Überdies pflegte er mit einigen ausgewählten Exponenten der (untereinander meist eifersüchtig konkurrierenden) Wiener Schriftsteller-Runden, zumal der Wende des 19. zum 20. Jahrhundert, mehr oder weniger intensive Kontakte. Als Buchhändler wie quasi pro domo: als leidenschaftlicher, beinahe schon manischer Leser, bibliophiler Wissbegieriger und ausgeprägter Büchernarr.
Selbstverständlich waren in seiner Buchhandlung die Ausgaben der von Karl Kraus herausgegebenen „Fackel“ (ab der Nummer 1 von Anfang April 1899 an) stets zu beziehen. Viele Jahre später, längst in Wien also, würde den leidenschaftliche Buchhändler dann besonders Krausens wackeres Eintreten für einen Patienten des Czernowitzer Irrenhauses amüsieren, über dessen Existenz der streitbare „Fackel“-Träger von einem Mittelsmann erfahren hatte. Immerhin erklärte Kraus, der pointensichere Satiriker, aufbrausende Moralist und stets höchst erregbare Journalisten-Feind, den gewesenen Schlosser und Mörder Karl Piehowicz bona fide, frank und frei zum zeitgenössischen Edel-Poeten: „Der größte heute in deutscher Sprache denkende, vielleicht der einzige große Dichter, und einer der größten, die je gelebt haben, ist ein Schlosser, der in der Irrenanstalt von Czernowitz lebt.“ Nun, später stellte sich heraus, das der Bedauernswerte weder ein literarisches Genie noch eine Reinkarnation von Goethe, Schiller oder Hölderlin gewesen sei, sondern als Fremdenlegionär in Nord-Afrika Gedichte mitbekommen und sich bruchstückhaft gemerkt habe, die seine Gefängnis-Kollegen aus Langeweile (oder wohl auch aus Heimweh), sie aus fernen Schultagen reminiszierend, ihrerseits einander aufgesagt hätten. Egal, ob man darin (wie der „Fackel“-Herausgeber selbst titelte:) „Eine Riesenblamage des Karl Kraus“ oder ein leidiges Missverständnis sehen wollte – es blieb immerhin ein reizvoller Monolog des bissigen Autors Kraus zum Stand der Dichtung sowie der geistigen Urheberschaft – und zum Stand der Menschlichkeit.
Übrigens, auch was etwa die Dichter in und um Hermann Bahrs literarische Vereinigung Jung-Wien so schrieben, konnte man, lag es einmal gedruckt vor, ebenfalls bei Mandelbaum einsehen und erwerben. Schade, dass der belesene und von Literatur faszinierte Buchhändler nicht Bahrs persönliche Bekanntschaft gemacht hatte, damals, als der sich zu Studienzwecken in Czernowitz aufgehalten hatte. (Allerdings war sein Abgang von der Francisco Rudolphina, laut eigener Angabe, ein wenig ruhmvoller, eher schon ein skandalöser gewesen …)
Doch Friedrich Mandelbaum pflegte in Czernowitz selbstredend auch Kontakte zu Kreisen des (gemäßigt) großdeutschen Bürgertums, das ebenfalls zu seinen Kunden zählte. Hier waren es vor allem Abkömmlinge der Zugewanderten, Bayern und Franken zumeist, die das Gros der Schicht der Bildungsbürger bildeten. Doch Fritz Mandelbaum verstand sich ebenso gut mit literarisch interessierten Polen, Ruthenen (wie damals die Ukrainer genannt wurden) und Rumänen; zudem pflegte er engen Kontakt zur deutschen Nationalitäten-Universität und vielen ihrer akademischen Lehrer wie auch zu den Studierenden. Kurz: Den adretten, leicht verstaubt wirkenden und doch durchaus funktionstüchtigen Buchladen, recht prominent platziert in der prächtigen Herrengasse, schräg gegenüber vom Café Europa, konnte man durchaus als Treffpunkt der an Literatur interessierten und überhaupt der aufgeschlossenen Bürgerschaft bezeichnen. Und nicht nur in der geräumigen Wohnung über der Buchhandlung, sondern mitten in ihr wuchs auch Sohn Felix heran. Übrigens, dass der 1895 geborene, spätere Herr Intendant des Wiener Operettentheaters das Talent der Diplomatie von seinem Vater Friedrich geerbt habe, durfte mit Fug und Recht angenommen werden … Wie die Liebe zur Musik nun einmal ohne Frage von Uropa Moritz herrührte.
Erster kleiner Einschub: Ein Jahr nachdem die Familie Mandelbaum anno 1908 der Stadt an der Pruth dann – ob schon im Vorgefühl des nahenden Ausbruchs des Weltkriegs und der danach zu erwartenden Veränderungen, darüber wollen wir hier nicht spekulieren – den Rücken kehrte, erregte übrigens der prominente Rechtsstreit des Czernowitzer Anwalts Max Diamant großes Aufsehen. Der eloquente, auch als Literat tätige Diamant, zog im Jahr 1909 sogar vor das Reichsgericht Wien (den Verfassungsgerichtshof der Habsburger Monarchie) – mit dem Antrag auf (ost-)jüdische Nationalität! Zwar wurde das Ansinnen abgewiesen, doch zeigte der Prozess allein schon die Brüchigkeit des gesamten politischen Systems gegen Ende des längst lädierten Vielvölkerstaates Österreich-Ungarn. Übrigens auch, dass – nach Phasen starker Assimilation der Juden, wie sie noch die vergangenen Jahrzehnte geprägt hatten – nunmehr eine Hinwendung zum Zionismus und, damit verbunden, zur Dissimilation bevorstand.
Zweiter kleiner Einschub: Schauen wir kurz zurück. In Czernowitz am Pruth, der aufstrebenden Hauptstadt des Herzogtums Bukowina, dieses östlichsten der Kronländer, in Czernowitz also, das 1880 an die 46.000 Einwohner zählte, lebten 30 Jahre später, im Jahr 1910, fast 15.000 und somit 31,7 Prozent Juden. Im Vergleich dazu war der Anteil der ukrainischen (oder ruthenischen) Bevölkerung mit 38,4 und der der Rumänen im Süden mit 34,4 Prozent um einiges höher. Der Prozentsatz der deutschsprachigen Oberschicht freilich betrug – nicht außergewöhnlich für ursprünglich okkupierte beziehungsweise annektierte Gebiete – nur neun Prozent. Dennoch schienen die Deutschen das ausgleichende und verbindende Element zwischen denn nicht selten rivalisierenden Nationalitäten gewesen zu sein. Sie hüteten sich, wie Zeitzeugen später glaubhaft schildern würden, indes vor nationalem Hochmut; auch wenn sie ihre Kultur – von ihrem Standpunkt aus – verständlicherweise höher bewerteten als die im Vergleich dazu einfachen Volkskulturen der ursprünglichen Gebietsbewohner, etwa der Huzulen, eines Bauern- und Hirtenvolks, das als überaus kunstsinnig und handwerklich sehr begabt geschildert wird; außerdem als mit schier zirzensischen Fähigkeiten im Reiten – und das sowohl bei den Männern als auch bei den Frauen!
Jedenfalls war man um ein friedliches Zusammenleben unter der Krone Habsburgs bemüht. Doch war diese Verständigung zwischen den einzelnen Volks-, Sprach- und Kulturgruppen in der Bukowina, die deshalb auch gern (und wohl einigermaßen euphemistisch) als Vielvölkerstaat im Kleinen bezeichnet wurde, möglicherweise auch bloß ein süßer Traum naiver Optimisten. Und in der spürbar spannungsreicher, ja: explosiver werdenden Zeit schon in den Jahren vor dem Ausbruch des Weltkriegs wandten sich letztlich viele der deutschsprachigen Bewohner zur Flucht – bevorzugt in Richtung Wien …
Um ein möglichst friedliches Miteinander bemühten sich die einsichtigen und gemäßigten Kräfte auf allen Seiten indes immerhin in ehrlichem Bestreben. Und als höchster Ausdruck dieses Ringens um geistige Toleranz kann die oben erwähnte Gründung der Francisco Josephina, der deutschen Nationalitäten-Universität, anno 1875 in Czernowitz gelten. (Später würde sie nach einem gewissen Jurji Fedkovič unbenannt werden, wie auch Cernowitz/Černivci selbst zwischen Russen, Rumänen und Ukrainern hin- und hergereicht wurde wie ein allmählich als lästig empfundenes Stück Geschichtsinventar. Grosso modo erfüllten sich die bösen Ahnungen der Mandelbaums …)
Und ähnlich vielfältig, wie die Bewohner in nationaler Hinsicht waren, glichen wohl auch ihre religiösen Zugehörigkeiten nachgerade einem west-östlichen Flickenteppich; gab es doch neben den urbanen Katholiken und (wenigen) Protestanten auch noch zahlreiche islamische und rege (griechisch-)orthodoxe Gemeinden; und nicht von ungefähr prägten die pompösen Kirchen, die Moschee und die Synagoge das Stadtbild entscheidend mit.
Nach dem Ersten Weltkrieg fiel (was übrigens schon abzusehen und zu befürchten gewesen war) die Bukowina dann an Rumänien. Später wurde das ehemalige Habsburger Kronland ukrainisch, schließlich, unter Stalin, gemeinsam mit der Ukraine sowjetisch und, nachdem dann Ende der 1980er Jahre der Kommunismus in Glasnost und Perestrojka mündete, bevor er endgültig in der Ablage der Geschichte landen sollte, abermals ukrainisch. Vom ehemaligen Glanz war kaum noch etwas zu spüren, auch wenn allenthalben ein besonderer Geist vom unbeirrbar dahinfließenden Pruth herüber zu wehen schien … Doch wie hatte schon Joseph Victor von Scheffel aus Anlass der Universitätseröffnung in der Manier des routinierten spätromantischen Butzenscheiben-Poeten (und nicht ganz unholprig) reimend der Muse in den Mund gelegt:
Glückauf, mein bergschön Buchenland,
O Cäcina, wie glühst du!
Ich komme mit dem Morgenroth,
Hauptstadt am Pruth, nun blühst du!
Ich bring Euch, wie Aurora Licht,
Denn Finsterniß thut Schaden:
Ich bringe Licht und fürchte nicht
Die Wölfe der Karpathen.
Das Lobgedicht auf die Francisco-Rudolphina endet:
Nun blühe, jüngster Musensitz,
Francisco-Josephina!
Frau Muse lehrt in Czernowitz
Und schirmt die Bukowina!
Ach ja: Was von der Synagoge nach der weitgehenden Zerstörung durch Hitler-deutsche und rumänische Truppen im Zweiten Weltkrieg noch übrig war, wurde – ein ziemlich skurriler Witz der Weltgeschichte – schließlich unter den Sowjets in ein Filmtheater umgewandelt …
FORTSETZUNG:
In Wien angekommen!
Vater Fritz, Mutter Esther, der nunmehr dreizehnjährige Sohn Felix Mandelbaum und seine kleine Schwester Judith, Jahrgang 1900, kamen also im Frühjahr 1908 aus Czernowitz in Wien an; freilich, unter etwas anderen Gegebenheiten, als sie Pippa und ihre Eltern sechs Jahre später vorfinden würden. Außerdem: in einem ganz anders strukturierten Bezirk. Aber: im antisemitischen Wien, wohlgemerkt.
Was den durchaus assimilierten Juden Mandelbaum freilich ziemlich bald als äußerst bedrohlich auffallen sollte; obwohl sie sich nicht in einem der traditionell von Juden bewohnten Bezirke, etwa dem neunten, niedergelassen hatten.
Während der Umstand, nämlich in einer hochgradig judenfeindlichen Stadt zu leben, die liberal-protestantischen Plotz-Dinckelthals, die aus Schlesien gekommen waren, verständlicherweise weitaus weniger tangierte. Er fiel ihnen überhaupt entsprechend weniger stark auf; wenngleich er ihnen als etwas sonderbarer Schlag des angeblich so goldenen Wiener Herzens dann doch eher unsympathisch erschien … Allerdings hatten sie, die selbst durchaus tolerant erzogen aufgewachsen waren, auch in Breslau kaum Kontakt zu jüdischen Mitbürgern gehabt. Doch auch sie bemerkten ihn, den eigenartigen Geruch der Intoleranz; doch hielten sie sich, als Zugereiste, lieber aus diesen politischen Dingen heraus. (Immerhin kamen auch die Plotz-Dinckelthals nicht umhin, zum Exempel die schon ziemlich skurrile Verehrung festzustellen, die dem 1910 verstorbenen christlich-sozialen Wiener Bürgermeister Karl Lueger immer noch gezollt wurde; galt der charismatische Volkstribun doch zu Recht als ausgesprochener Antisemit … Doch war just diese Haltung, also ein vorwiegendes Ablehnen des Judentums und des Jüdischen bis hin zu blindwütigem Hass, quer durch alle Stände und Schichten spürbar; von den Habsburgern selbst und anderen sogenannten hohen und höchsten Familien – nur Kaiser Franz Jospeh I. bilde da, wie man hörte, eine löbliche Ausnahme – über den übrigen Adel, das erzkatholische Bürgertum bis zum Pöbel hinunter. Indes: Lueger war zwar ein prominentes, aber keineswegs ein seltenes Beispiel dieser arroganten und dummen antisemitischen Einstellung, die in der Folge noch einer ganz anderen Strömung ein überaus fruchtbares Feld bereiten half, nämlich dem Nationalsozialismus …)
Ja, in der auch schon ein bisschen ramponiert wirkenden Donau-Metropole, der moribunden Kaiserstaat der Weinseligkeit, des abgedunkelten Humors und der Todessehnsucht, des Nörgelns, Grantelns und Schöntuns, des goldenen Wienerherzens und seiner nicht selten tödlich endenden Umgarnungen und Umarmungen, wehte wohl ein besonderes Lüfterl; auch politisch. Und die Wiener Juden eigneten sich immer wieder vorzüglich als Reibebaum und Ventil für das angeblich gesunde deutsche Volksempfinden: Die reichen Juden, denen man ihr Geld neidete, waren deshalb verhasst, und die armen, weil sie keines hatten … Doch immerhin, man konnte als echter Wiener seinen Frust natürlich auch noch an den zugereisten Deutschen oder, noch besser, an den Tschechen (und anderen Vertretern der Kronländer) auslassen. Ja, die Behm‘ eigneten sich extrem gut zum Dampfablassen; über die konnte der echte, rechte Weana nach Herzenslust schimpfen, auch wenn er selber Swoboda oder Hrlička hieß …
Hier also, in Wien. An der Donau. In der Stadt, die auch für den schlesischen Familienverband, aus dem Irene Plotz-Dinckelthal stammte, von so großer existenzieller Bedeutung war; hatte es doch Jahrzehnte zuvor schon die legendäre Tante (Großtante, Urgroß-Cousine, wie auch immer …) Elvira hierher verschlagen, die dann, wie ausgeführt, nach einander, die Konditormeister und Mahlspeisenbäcker Pribil und Wegrostek geehelicht hatte. Wien, das dem alten Anastasius Taubengrau so gut gefallen hatte, dass er gern immer wieder hierher gekommen war. Wie hätte es den aktuellen Plotz-Dinckelthals, dem erfolgreichen Unternehmer Georg Martin und seiner Frau Aglaia, nicht gefallen sollen?! Und erst – der kleinen Pippa?!
Man musste sich allerdings erst einmal hineinfinden und einfügen in das Getriebe und Leben einer zwar immer noch aufgeblähten, doch schon merkbar maroden Kapitale, der es nicht nur – sozusagen: schon aus Gewohnheit – an Toleranz allem Fremden gegenüber fehlte, sondern in einer, die sich alsbald (wenn erst, in ein paar Jahren, der wenig glorreiche Krieg vorbei sein würde) in die Rolle der kaum mehr besonders bedeutenden Hauptstadt eines Zwergstaates einüben würde müssen. Eines von neuen Zwergen regierten Zwergstaats zudem. Wien – das plötzlich viel zu große Haupt eines auf traurige, auf bizarre Weise abgespeckten politischen Gebildes, das nun von Wichten beherrscht wurde, die sich zwar – ihrem eingebildeten Wichtigsein entsprechend – überaus wichtig (sic!) nahmen und die nun an die Stelle der alten, habsburgischen Zwerge getreten waren. Die Nachfolgezwerge benahmen sich indes womöglich noch grantiger und verbohrter als ihre engstirnigen Vorgängergnome. Zudem waren sie ausgesprochen beleidigt angesichts der greifbaren (sogar von ihnen selbst und trotz allen Schönredens kaum zu leugnenden) Bedeutungslosigkeit im Vergleich zur nun endgültig verspielten und auf immer verlorenen Hybris früherer Jahrzehnte und Jahrhunderte … O diese Wiener Zwerge – ein Fall für Sigmund Freud und seine später legendär gewordene Couch!
Zugegeben, man war angekommen. Aber wo? In einer parallel dazu von mehr und immer mehr Hungerleidern, Abgewirtschaftete, von Sandlern, Unglücksrittern und (von Haus aus oder durch die aktuellen Um- und Zustände dazu gemachten) Armen, von Geflüchteten und sich nicht nur heimatlos Fühlenden, sondern heimatlos Gewordenen bewohnten wirtschaftlich kaputten Kapitale. (Egal, was dieses Wort Heimat auch immer bedeuten mochte …)
Obschon die meisten Wiener – wie übrigens auch die übrigen Österreicher – kaum verstanden haben dürften, dass sie eben erst mitgewirkt hatten an den „Letzten Tagen der Menschheit“ (wie sie auch die Tragödie von Karl Kraus selbst noch kaum kannten oder kennen konnten), so widerte sie die neue Rolle auch schon an. Und sogar das Bühnenbild wollte da nicht mitmachen: Wien selbst weigerte sich entschieden, ihn zu übernehmen, den neuen, den ungeliebten, weil inferioren Part in der weltpolitischen Real-Tragödie, quasi: in der Fortsetzung des eben erst mit Bomben und Granaten (sic!) durchgefallenen Stücks, betitelt Weltkrieg.
Der Weltkrieg! Der Große Krieg! Schon dessen eigentliche Eingangsszene war übrigens gar nicht so sehr dem blutigen Attentat auf den Habsburger Thronfolger Franz Ferdinand von Österreich-Este und seine Frau, die böhmische Gräfin Sophie Chotek, spätere Herzogin von Hohenberg, am 28. Juni 1914 in Sarajevo gewidmet. Nein, es ging eigentlich immer pauschal um den Untergang der Habsburger-Monarchie. Und darum, wie und wie lange er sich womöglich schon abgezeichnet habe. (Man sah nun einmal mit Vorliebe in die Vergangenheit, larmoyant im konjunktivisch-irrationalen Gedankenkonstrukt des Hätt‘ i, War‘ i, Tat‘ i verstrickt.)
Ob nun die beinahe schon als penetrant empfundene (oder aber tagtäglich vom Himmel herabbedankte) Zählebigkeit des alten Kaisers Franz Jospeh I. oder die frühen Tode der potenziellen Thronfolger – erst der Selbstmord Rudolfs (1889) und dann der Hingang der zweiten Wahl, das Attentat nämlich auf Franz Ferdinand (1914) – mehr Schuld trüge am Ende der Monarchie? Oder ob womöglich gar die diversen Spleens der anno 1898 an den Gestaden des Genfer Sees einem feigen Mordanschlag zum Opfer gefallenen, in Summe eher unglücklichen Kaiserin Elisabeth die fragile Balance in diesem kuriosen Machtkonglomerat so belastet hätten? Vielleicht jedoch auch die immer unüberwindbarer scheinenden Gräben zwischen den vielen einzelnen Völkern, allen voran die Konkurrenz mit den (besonders seit dem Ausgleich von 1867) immer mächtiger werdenden Ungarn, und die – meist noch uneingestandene – Neigung mancher der im Reichsrat vertretenen Königreiche und Länder, selbst zu eigenständigen Nationen zu werden? Oder die kriegslüsternen Militärs rund um Franz Freiherr (später Graf) Conrad von Hötzendorf, der von 1906 – mit einer Unterbrechung, 1911 – bis 1917 Chef des Generalstabes war? Nota bene, wo dieser so wichtige Militär just die Schlagkraft der eben erst modern aufgerüsteten serbischen Truppen zu unterschätzen beliebte? Oder –
Nun, was den kriegswilligen Generalstabschef anbelangte (der vom letzten Kaiser, von Karl I., schließlich seines Amtes enthoben und zum Feldmarschall befördert werden wird) und seine Lust am Martialischen, so traf der sich gar trefflich mit seinem deutschen Pendant, mit Kaiser Wilhelms Generalstabschef Generaloberst Helmuth Graf von Moltke (aus dem berühmten mecklenburgischen Uradelsgeschlecht und Neffe des Siegers von Königgrätz gleichen Namens). Zwei Männer, ganz vom Geist des Kriegsgottes Mars erfüllt!
Hatte Conrad schon dem stets misstrauischen, glücklosen und rundum schwierigen Thronfolger Franz Ferdinand dringend den Krieg just gegen Italien (das zwar mit den Mittelmächten Österreich-Ungarn und dem Deutschen Reich im Dreibund assoziiert war, jedoch tatsächlich alsbald zur gegnerischen Entente überwechseln würde) empfohlen, so konnte auch Moltke recht direkt werden: „Wenn erst der Aufmarsch geglückt ist, dann kann der Kampf beginnen, der für das nächste Jahrhundert den Gang der Weltgeschichte entscheiden wird. Versammeln Sie Ihre ganze Kraft gegen Russland.“ (Conrad hatte nämlich bisher, dem ausdrücklichen Befehl Franz Josephs entsprechend, sein Augenmerk in erster Linie auf den Kampf mit Serbien gelegt.) Und weiter, Moltke im Originalton: „So hündisch gemein kann doch selbst Italien nicht sein, dass es Ihnen in den Rücken fällt. Lassen Sie doch die Bulgaren gegen Serbien los und lassen Sie das Pack sich untereinander totschlagen. Jetzt darf es nur ein Ziel geben: Russland! Werfen Sie die Knutenträger in die Pripjet-Sümpfe und ersäufen Sie sie!“ (Zitiert nach: Manfried Rauchensteiner, „Der Erste Weltkrieg und das Ende der Habsburgermonarchie 1914 – 1918“, Wien – Köln – Weimar 2013.)
Auf ähnlich unappetitliche Art ereiferte sich, anscheinend noch voll befangen im Hurra-Patriotismus der ersten Zeit des Großen Krieges, der Schriftsteller Franz Karl Ginzkey in seiner platten „Ballade von den masurischen Seen“, die dem Oberbefehlshaber der deutschen 8. Armee, Paul von Hindenburg, zugeeignet war und worin es heißt: „Hunderttausend verschwanden im Sumpf! / Der Sumpf ist Trumpf, der Sumpf ist Trumpf, / Verschluckt sind die Russen mit Rumpf und Stumpf.“ (Zitiert nach: Hans Veigl/Iris Fink, „Galgenhumor. Kleine Kunst im Großen Krieg“, Graz 2014. Die beiden Autoren arbeiten übrigens auch den verhängnisvollen Einfluss der persönlichen, amourösen Verwicklungen des alternden Franz Conrad von Hötzendorf auf seine Kriegsführung heraus: Der hochdekorierte, doch völlig uneinsichtig und zudem grosso modo wenig glücklich agierende Militär war nämlich in eine ziemlich aufreibende Liebesbeziehung mit der Grazer Industriellen-Gattin und sechsfachen Mutter Virginia „Gina“ von Reininghaus verstrickt und stellte quasi ein irrationales Junktim zwischen seinem Liebesglück und den notwendig zu erringenden strategischen Erfolgen her …
Immerhin kam es 1915 zur Scheidung der geborenen Italienerin von ihrem Mann, Johann Edler von Reininghaus, sowie, nach der Adoption durch einen ungarischen hochrangigen Offizier und dem Übertritt Ginas zum Protestantismus zur ersehnten Hochzeit mit dem um 27 Jahre älteren Witwer.)
Somit kann im Nachhinein der ganze Große Krieg durchaus auch als Schmierenkomödie gesehen werden; auch wenn diese saloppe Aburteilung dem millionenfachen Tod und dem unsagbaren Leid auf den europäischen Schlachtfeldern und der Not auch im Hinterland keineswegs Hohn sprechen soll; egal, wo immer das Unglück sich vollzog oder wie es spürbar wurde.
Immerhin, das abgeschmackte Wort des Heraklit vom Krieg als Vater aller Dinge bewies erstmals in einem völlig neuen, ganz großen (auch numerisch niederschmetternden) Rahmen seine menschenverachtende Tendenz. Eben im Großen Krieg, der längst keiner mehr der gegen einander antretenden Kontrahenten war, sondern zu großem Teil auch einer der Maschinen – und des Giftgases. Letzteres setzten übrigens erstmals die Deutschen in Bolinów ein, während Großbritannien seinen jüngst erfundenen Panzerwagen in der Somme-Schlacht erprobten. Bald wurden Erkundungsflieger eingesetzt, später Jagd-, Bomben- und Aufklärungsflugzeuge bis hin zum ersten deutschen Langstreckenbomber Gotha. Der Krieg also auch als Spiegel der Innovation. Bis hin zum Flugzeug und zum Unterseeboot. Schon der Große Krieg sprengte alle Dimensionen. Übrigens: Anders als noch im Dreißigjährigen Krieg hielten diesmal nicht konkurrierende Glaubensvarianten als Grund zur Massenvernichtung her.
Doch egal, ob Aug in Aug mit dem Feind oder in der Anonymität des hochgezüchteten technischen Equipments: Es ging um die frei-werdenden Kräfte den Unmenschlichen. In Bosnien und Serbien, in Verdun und am Isonzo, schließlich – nach Eintritt der Vereinigten Staaten ins Kriegsgeschehen – weltweit.
Das also war der Krieg, der Schöpfer des Fortschritts, der Vater aller Dinge?!
Wann würde wohl endlich die Liebe als Mutter aller Dinge bezeichnet werden?! Darauf hinzuarbeiten wiese immerhin einigen Charme auf!
Doch bleiben wir kurz bei der sozusagen: theatralen Beurteilung des großen Schlachtens und seiner Folgen. So brachte der Krieg für die realen Theaterunternehmungen und Vergnügungsetablissements beispielsweise in Wien tatsächlich so etwas wie eine Entgrenzung der vormals eng abgezirkelten Gattungen. Dies machte sich zum Exempel auch beim Kabarett bemerkbar, das sich zwar immer noch „als relativ eigenständige kulturelle Formation“ sah, jedoch „inhaltliche Rationalisierungen vornahm, eine an den Programmen ablesbare Durchdringung und tendenzielle Aufhebung der Genregrenzen Operette, Singspiel, Revue oder Kabarettrevue betrieb und unbeirrt von allen herrschenden amtlichen Obrigkeiten und Geschehnissen, wie verlorenen Schlachten und Provinzen, ermordeten Thronfolgern oder verstorbenen Kaisern niemals den Weg privatkapitalistischen Kalküls und eigenen Vorteils bei der Leitung der Etablissements verlassen sollte.“ (H. Veigl/I. Fink, a. a. O.)
Die hanebüchene Szenenfolge dieses (in der Tat wenig würdevollen) Untergangs, sie hatte sich längst vorher schon und quasi gleichzeitig im Foyer, im Zuschauerraum und sogar in der Theaterkantine abgespielt. Eine Tragödie war es also gewesen, eine auf mehreren Ebenen. Und diesen undankbaren weltgeschichtlichen Mini-Part, dieses Kleinsein danach, nach der Gigantomanie, konnte und wollte die so blühende, eitle, von sich geradezu divenartig eingenommene Stadt an der Donau nie und nimmer spielen! Zu billig schienen dafür das Bühnen-Abbild und die scheußlichen Kostüme, die desolate Ausstattung also; doch auch die Besetzung – und vor allem: die Regie.
Ach ja: Von wem wurde der wenig dezente und insgesamt schon eher faule Zauber da eigentlich und überhaupt inszeniert, den die (glücklichen) Nachgeborenen später dann lässig als Zwischenkriegszeit bezeichnen würden?! Vielleicht von den sogenannten Siegermächten und ihrer überheblichen Stringenz den sogenannten Verlierern gegenüber? Oder von den traurigen alten österreichisch-ungarischen Resten mit ihrer typischen Restl-Ideologie? Von Slawen und Russen und Italienern? Oder, am Ende: von neuen radikalen Mit-dem-Strom-Schwimmern?
Der frühere Glanz Wiens, dieser schon geraume Zeit hindurch sukzessive in die Agonie fallenden, ehedem – wann war ehedem gewesen?! – angeblich so strahlenden Kaiserstadt, kurz: der prachtvoll-dekadenten Donaumetropole, mochte zwar im Nachhinein an den eines etwas zu groß geratenen stolzen Dreckkäfers erinnern.
Immerhin …, ja, da hatte noch etwas geglänzt …
Doch dann, nach 1918, blieb anscheinend nur der Dreck übrig.
Nun, nicht einmal die Mandelbaums sahen das zunächst ganz so schwarz.
Zum Vergleich: Die Familie Plotz-Dinckelthal verfiel ohnedies alsbald in ablenkende Regsamkeit, wie es sich für den nötigen Erwerb merkantilistischer Erfahrungen auf immerhin neuem Gebiet nun einmal gehörte. (Vorausgesetzt, man war Deutscher!) Und die Aufgaben, die besonders auf Irenes Papa in seiner nunmehrigen Position als einer der Chefs von Hawelka & Plotz, Gießerei und Geräte-Großhandel, warteten, wollten entsprechend sorgfältig erledigt werden.
Also, auch wenn der Start bei Friedrich Mandelbaum vielleicht nicht so klaglos vonstatten ging, immerhin beherrschte Vater Fritz neben dem Buchhandel (in exzellent wohlsortierter Weise!) auch noch das Quasi-Handwerk des Vermittlers und ausgleichenden Mediators; auch wenn dieser Begriff noch längst nicht üblich war. Dementsprechend gerüstet war man auch hier für die zu erwartende schwer Zeit und die fraglos schwierige Zukunft.
Übrigens, Felix Mandelbaum fand am recht vornehmen Schotten-Gymnasium rasch neue Mitschüler und eine Umgebung, in der sich der begabte Bub auch einigermaßen wohl fühlte. Wohl, doch nicht sehr wohl. Denn dass er Jude war, verhinderte letzten Endes manche Freundschaft. (Überhaupt: Mit der ihnen nicht geläufigen, mit der österreichischen, ja: wienerischen Art des Antisemitismus mussten sich die Mitglieder der Familie Mandelbaum erst arrangieren; wenn so etwas überhaupt möglich war.) Und auch, dass er recht begabt war, hatte schon dem Buben Felix, noch in Czernowitz, manch Ungemach beschert und in der Folge leider mehr Neider als Freunde eingebracht. Sein Charme allerdings machte wieder manches wett, dort wie da. Und, nicht zu vergessen, seine positive Grundhaltung: Denn auch Mandelbaum junior war ein Ausgleichender – wie sein ein Leben lang in Affinität zur Kunst wirkender und besonders der Literatur gegenüber so aufgeschlossener Vater Friedrich. Und, ebenfalls nicht zu vergessen, Felix trug den Keim zum Künstler in sich – wie ihn sein Urgroßvater Moritz aus Czernowitzer Synagogen-Zeiten stets in sich gespürt hatte.
Die hübsche blonde Dorothea, seine spätere Frau, lernte Dr. Felix Mandelbaum Mitte der 1920er Jahre kennen; und anno 1928 heiratete das Paar. Doch vorher hatten ihn die fürsorglichen Eltern noch studieren lassen, und zwar die Rechtswissenschaften; denn ein Anwalt, so lautete ihre Überlegung (besonders die von Vater Fritz Mandelbaum), würde ohne Zweifel immer gefragt sein. Und überall. Denn: Wo es Unrecht gäbe, brauche man Juristen …
Doch vermochte die Jurisprudenz aus verständlichem Grund nicht, den Wissensdrang, die intellektuelle Begeisterung des jungen Mannes und sein Faible – besonders für Sprache, Musik, Bühne und Theaterbetrieb insgesamt – auch nur ansatzweise zu befriedigen. Also belegte Felix (als Gasthörer) germanistische Vorlesungen, besonders bei Walther Brecht, der wenig später als erster Hofmannsthal-Forscher hervortreten sollte, und bei Max Hermann Jellinek.
Doch interessierte sich Felix Mandelbaum daneben sogar für Philosophie. Und so kam er wie selbstverständlich auch mit dem in Berührung, was von Martin Heideggers düsteren Gedankengängen nach Österreich herüberschwappte, dessen Wälzer „Sein und Zeit“ (1927) in Fachkreisen gerade Furore machte. Als sich dann just der Seins-Forscher Heidegger nach Hitlers Machtergreifung 1933 als strammer Nazi gerierte, schrillten bei Mandelbaum (wieder einmal) die Alarmglocken. Und ihn, den ausgewiesenen Freund der deutschen Romantik, versetzte zu allem Überfluss noch Joseph Goebbels Flammenrede zum Beginn des Völkischen Zeitalters, das sich abermals (wenn auch in völlig irriger Interpretation) des Romantischen im Kampf gegen das Individuelle bediente, in angstvollen Aufruhr: Vor der vom klumpfüßigen Rhetor des Teufels formulierten Gemeinschaft des Volkes schauderte es Felix in der Tat! Und vor der romantisch angehauchten, also von der den Ur-Romantikern wichtigen Besinnung auf Volkssage und Mär inspirierten Deutschtümelei – eben zum Zweck der anzustrebenden Volksgemeinschaft – nicht minder. (Hätte Mandelbaum den schleimigen Versuch des entnazifizierten Heidegger nach 1945 miterlebt, er wäre vermutlich höchst amüsiert gewesen: Da versuchte sich der Alt-Nazi, dem Leitstern der französischen Existenzphilosophie, Jean-Paul Sartre, freundschaftlich anzunähern. Um gemeinsam über Sein und Nichts zu diskutieren …)
Seine Liebe für das Theater jedoch stillte der Student Felix nicht nur als eifriger Stehplatz-Besucher der großen Wiener Häuser und als Gast der kleinen Bühnen, literarischen Kabaretts, natürlich auch der Cabarets und Varietés in Kellern und Nacht-Cafés, wo es nicht selten um einiges weniger vornehm zuging, sondern auch dadurch, dass er (zunächst heimlich!) Unterricht bei einem alten Burg-Mimen namens Anton Wonka nahm. (Das berühmte Max Reinhardt Seminar im Schlosstheater Schönbrunn wurde erst im Jahr 1928 gegründet; außerdem – wer weiß im Nachhinein, ob man den zwar auch darstellerisch durchaus begabten Felix Mandelbaum dort schließlich aufgenommen hätte?!)
Jedenfalls: Auf seine Studien zwischen Rechtswissenschaften, Germanistik und angewandtem Theater angesprochen, pflegte Felix später meist lächelnd zu äußern, er habe erstere aus Notwendigkeit, letztere aus Interesse heraus betrieben. Und das mag wohl so stimmen.
Was sich auf den großen wie den kleinen Bühnen in Wien so tat, es war in der Tat des Interesses wert. Und Felix Mandelbaum saugte alles, dessen er habhaft werden konnte an Eindrücken, in sich auf. Felix war ein Theaternarr!
Wie hat der Regisseur das gemacht? Oder: Wie legt die Schauspielerin ihre Rolle an? Das waren die Fragen, die sich der fleißige Studiosus und wissbegierige Theaterbesucher stellte. Egal, ob in der Oper und im Burgtheater oder in den bodenständigen Etablissements der Vorstadt, ob in Cabarets oder Wirtshaus-Theatern: Alles, was mit Schauspielerei und Gesang, mit Vortrag, zu tun hatte, faszinierte Mandelbaum und regte ihn an. Vielleicht ahnte er auch, dass dies bald schon, offiziell und mit ganzer Hingabe der Person, seine Profession sein würde?
War das Angebot – abgesehen davon, dass er ohnedies zu jung dafür gewesen wäre, die betreffenden Etablissements zu besuchen – in Czernowitz vergleichsweise schwach, besonders was Operette und Kleinkunst betraf, so eröffnete ihm just die wirtschaftlich miserable Nachkriegszeit in Wien ein Riesenangebot, eine Fülle an Kellertheatern, Cabarets und literarischen Nachtcafés. Hatte es daheim am Pruth gerade einmal das Czernowitzer Colosseum und das Orpheum gegeben, so tat man sich jetzt, hier in Wien, allein bei der Auswahl schon schwer, wohin man sich nun also zuerst wenden sollte.
Ach ja! In Wien, da gab es Theater pur. Auf, neben und hinter der Bühne.
Je intensiver Felix Mandelbaums Verbindung mit dem buntschillernden Metier wurde, je mehr er auch an delikaten Interna mitbekam (und richtig einzuordnen lernte), um so konturierter gestaltete sich ihm das Bild. Skandale und Skandälchen wirkten wir Girlanden um das grell-farbige Gemälde der Wiener Theaternächte. Und ob es galt, die Balletteusen der Oper sowie der Volksoper zu bewundern, die Damen an Burg- und Volkstheater oder die Chansonnieren der Cabarets (und Kabaretts): Alles schien sich um das Weib zu drehen.
Und auch Kurioses gab es am Rande zu beobachten, Menschliches und Allzu-Menschliches.
Da prügelte sich der aus Paris stammende Prinzipal des Nachtlichts, Marc Henry, immerhin vor Zeiten Mitglied der Elf Scharfrichter aus München, wegen seiner Gefährtin, Marya Delvard, auf die Karl Kraus ein begieriges Auge geworfen hatte, mit dem Fackel-Träger; da hatte bis zu seinem Tod im Jahr 1919 Peter Altenberg, der pointillistische Dichter (und zweifelhafte Verehrer ganz kleiner Mädchen) diesmal in seiner Funktion als Rezensent, Hof gehalten und – zumindest für die kurze Zeit, die Druckerschwärze nun einmal hält – über Gedeih und Verderb der einzelnen Bühnen entschieden; da hatte es (vor nunmehr wieder gut fünfundzwanzig Jahren, nämlich 1908 im Cabaret Fledermaus) der grenzgeniale Bildungsbürger-Scherz „Goethe“, ein Gemeinschaftseinakter der beiden vielseitigen Geister Egon Friedell und Alfred Polgar, geschafft, Wirkung in schier Goetheschem Ausmaß – und fast schon auf die Nachwelt – auszuüben … Da stritt munter pseudo-revolutionäres Denken gleich begabter wie frustrierter Bürgersöhne mit dem bourgeoisen Biedersinn ihrer Väter, die, in cognito selbstverständlich, ebenfalls animierte Gäste der nicht selten als anrüchig beworbenen Aufführungen waren …
Felix Mandelbaum konnte in den 1920er und frühen 1930 Jahren in Wien wählen, wo er seine Theatererfahrungen sammeln wollte: In der ehemaligen Hofoper, im Burgtheater, in der Volksoper oder im Deutschen Volkstheater, in Theater in der Josephstadt; im viel-besuchten, äußerst beliebten Simpl, in der Fledermaus oder in den diversen Kellertheatern, Varietés und Operettenhäusern. Die Auswahl war groß; fast wie das Angebot an entsprechender Literatur. Denn die hatte, so schien es nun zumindest, sogar die originären Stätten ihrer früheren Erfindung, die Literatur-Cafés, weitgehend überlebt. Das Griensteidl oder das Central waren bald nur noch bloße Legenden. Und doch: Wie schon um die Jahrhundertwende und knapp davor, im viel-beschworenen Fin de Siècle mit seiner bizarren Mischung aus Dekadenz und Originalität, die Namen der Dichter, Poeten und Autoren waren trotz aller mitunter aufblitzenden Exklusivität erstaunlicherweise auch in populären Bezirken Legion.
Zugegeben, manche Koryphäen von früher wirkten nur noch leicht verschwommen und ohne nennenswerte Konturen nach; es waren Notate auf inzwischen zumindest halb vergilbten Erinnerungsblättern (eben wie beispielsweise Peter Altenberg), auf andere traf man noch und immer wieder, wie etwa auf das schon erwähnte Zweigestirn Egon Friedell und Alfred Polgar, auf Anton Kuh und Felix Salten; manche waren längst arriviert oder hatten sogar Patina angesetzt, wie Hermann Bahr oder Arthur Schnitzler; und wieder andere waren schon tot oder kurz davor, den Abgang zu wagen, wie etwa Hugo von Hofmannsthal. (Bezeichnenderweise war die Poeten-Intelligenz übrigens eine weitgehend jüdische [gewesen].)
Des Theater- (und frühen Film-)Zauberers Max Reinhardts Ideen flirrten in der durchaus von Kunst erfüllten Luft; doch da wirbelten auch schon kaum mehr maskierte Vorboten kommenden Unheils wie bunte Blätter im Herbststurm über die Bühnenlandschaft. Austrofaschismus und nicht selten zur Bigotterie gesteigerter Katholizismus, antidemokratische Tendenzen (ob post-monarchistisch oder sonst wie), die bevorstehende Ausschaltung des Parlaments und die unsägliche Einführung des Ständestaats, das Verbot der sozialdemokratischen Partei, dafür eine offensichtlich geduldete (wenn nicht gar insgeheim gewünschte), penetrante Infiltration durch die weitgehend Kultur-fernen deutschen Nationalsozialisten. Bunte Blätter? Sie schienen sich rascher, als man zu schauen vermochte, eindeutig braun zu färben. Wie ihre journalistischen Entsprechungen, die Zeitungsblätter … (Summa summarum erfüllten sich [und unerhört schnell] die bösesten Befürchtungen des diesbezüglich weitsichtigen Karl Kraus!)
Aber: Sollte Wien mit Ende des Weltkriegs tatsächlich in die Nacht gefallen sein (aus der anschließend eine veritable Agonie geworden war), so dräute jetzt ein mehr als zwielichtiger Morgen. Einer, der quasi schon zum Frühstück eine fürchterlich schale Stimmung offerierte; neben dem Geschmack nach schlechtem Kaffee, nach ranziger Butter, nach hartem Brot und nach saurer Milch … Und der das, zu allem Überfluss, auch noch frech als Aufbruch zu verkaufen versuchte. Leider nicht ohne umwerfenden Erfolg, wie sich bald zeigen würde.
Felix Mandelbaum erlebte alles das als aufmerksamer Zeuge mit. Und vermochte gleichzeitig und aus verständlichem Grund vieles nicht in seiner ganzen Tragweite richtig einzuschätzen.
Und doch schien dem jungen Dr. Felix Mandelbaum (zunächst zumindest) das Glück hold zu sein. Der alte Alexander Wowerka, den man gerne den Baron nannte, der leider arg verschuldete Chef des beliebten Wiener Operettentheaters, stand vor dem Konkurs. Und da tat sich für Mandelbaum die Chance auf, mit dem Geld einiger Freunde (die lieber ungenannt bleiben wollten), einem entsprechenden Darlehen des Herrn Papa sowie mit einem eigenen kleinen Bankkredit die gewünschte Summe zusammenzubekommen, um dem glücklosen (und zu allem Überfluss vom Glücksspiel besessenen) Wowerka sein Unternehmen abzukaufen.
Es bedurfte dazu freilich unerhört viel Unternehmensgeists, und man musste in der Tat unbändige Lust am Theater haben – und am Risiko in gleicher Weise. Alles das war indes bei Felix vorhanden. Und während sich durch sein schwarzes Haar die ersten weißen Fäden zu ziehen begannen (was ihn angeblich noch interessanter machte!), formte er sein Haus energiegeladen und stetig zu einem interessanten Etablissement mittlerer Größe in Wien.
Bald schon war das Operettentheater unter Mandelbaums Intendanz nicht bloß ein Geheimtipp. Da stimmte das Interieur, da stimmte (sehr wichtig!) auch das Orchester, da stimmten die Sängerinnen, Sänger, die Choristen und das Ballett, da stimmte das technische Personal und das ganze Drumherum. Ja, da stimmte alles!
Naturgemäß gab es Rückschläge. Schlechte Abendeinnahmen, die mitunter miesen Rezensionen noch mieserer Rezensenten, der eine oder andere Fehlgriff in Disposition, Ausstattung oder Inszenierung. Doch grundsätzlich passte alles, stimmte alles.
Und: Felix Mandelbaum neigte zum Optimismus.
Außerdem rettete er sich, wenn es wirklich eng zu werden drohte, zunächst noch in die Scheinwelt der Kulissen und der Scheinwerfer, der Partituren, der Notenpulte und der anmutig-verheißungsvollen superb kurzen Röckchen der Ballett-Tänzerinnen. Ach ja: Ein charmanter Kerl war er obendrein, der Felix; egal, ob vor seiner Verehelichung oder danach.
Und davon konnten sich binnen kurzer Zeit die jungen Damen in Wien überzeugen.
Nur Irène Grelot, alias Irene Plotz-Dinckelthal, früher allgemein Pippa genannt, war in gewisser Weise eine Ausnahme. Ja, die angehende Soubrette aus dem Ensemble des Wiener Operettentheaters war zwar schwerst verliebt in ihren Chef, doch: Da stand ein Signal auf Rot, und der Liebes-Express wollte einfach nicht in Fahrt kommen.
Ja, Irene war noch romantisch genug, an die eine, an die große Liebe zu glauben!(Da wirkte noch etwas nach von der Illusion des siebten Himmels …!) An die Liebe, die danach verlangte, den einen, den auserwählten Partner gleichsam inwendig zu lernen; nicht bloß auswendig, wie eine Rolle in einem Theaterstück, wie einen Part in einer Operette oder in einem Singspiel. Mochten diese Dinge noch so wichtig und schön sein. (Solches hielte sie doch besser, glaubte Irene, und verglichen mit dem notwendigen Verinnerlichen einer Rolle, bloß für ein Veräußerlichen …! Und das wiederum erinnerte zu sehr an das – Veräußern, somit an das Verkaufen: Man gab sich dem Publikum nur oberflächlich preis; man bot sich gewissermaßen feil. Doch man verschenkte sich nicht, wie es ihrer Meinung nach, in der Liebe unumgänglich und notwendig sei, ja, gang und gäbe …!)
Dabei hatte Irene, als sie Felix Mandelbaum kennen lernte (und in der Folge an sein Wiener Operettentheater engagiert wurde), immerhin und trotz ihrer Jugend schon ein paar sexuelle Erfahrungen gesammelt oder besser: machen müssen. Das erste Mal war es mit ihrem Cousin (oder waren sie noch weitschichtiger verwandt?), jedenfalls mit Maximilian Pribil, dem Enkel (oder war das schon ein Urenkel?) der im Familienverband als lustig apostrophierten doppelten Zuckerbäckersfrau Elvira, gewesen. Nicht besonders romantisch oder gar liebevoll ging dieser ziemlich mechanisch ablaufende Fick vor sich; immerhin – in einem plüschenen Salon und auf dem Rücken eines dunkelbraunen Ittypfel-Flügels; genauer: auf einem, vor Jahrzehnten schon und in sorgfältiger Handarbeit umhäkelten, mit teurer Spitze versehenen Deckchen, das auf dem schönen Musikmöbel lag. Kurz gesagt: Max Pribils wenig animierendes Sexualexperiment war weitestgehend des Vergessens wert.
Doch auch der letztlich erfolgende Akt mit Dagobert Rinnsteiner, dem seltsam kuhäugigen Sohn eines mit den Eltern befreundeten Advokaten, der da als nächster Aspirant aufgekreuzt war, verlief metaphorisch im Sand; mehr schlecht als recht trug der Jungjurist sein Scherflein bei zum Erfahrungsschatz Irenes … Nun, ja.
Aber – die wahre Liebe? Von der musste die junge Sängerin wohl weiterhin träumen. Wie auch vom siebten Himmel …
Gewiss, auch Felix Mandelbaum mochte die blutjunge hübsche Frau mit der überaus aparten Stimme. Und er hätte gerne auch mit ihr ein mehr oder weniger flüchtiges Verhältnis angefangen, wie es mit so mancher ihrer Kolleginnen geschehen war und weiterhin geschah, ohne Frage. Denn Felix war nun einmal kein Kostverächter. Nein, wirklich nicht.
Doch seine Geliebte zu werden, so locker und flockig wie viele andere aus dem Ensemble und aus der ganzen Szene, dagegen weigerte sich Irene entschieden. Sie schmachtete ihn zwar weiterhin an und wäre für ihn, den großartigen Dr. Mandelbaum, ihren geliebten Herrn Intendanten, ihren Felix, fraglos durch die Hölle gegangen, hätte er dies von ihr verlangt. Aber mit ihm – ins Bett? Das ließ irgendetwas in der jungen Künstlerin einfach nicht zu. (Zudem mochten ihr fürs Erste sowohl der ungestüme Max Pribil als auch der kuriose Dagobert Rinnsteiner mit den Kuhaugen genügt haben? Wer weiß das schon so genau …)
Und Pippa trotzte der Versuchung.
Vermutlich damals schon begann sie, sich in ihrem Inneren, obwohl sie dem äußeren Schein nach immer noch glanzvoll, lebendig, jung, hübsch und voller Schwung war, zur traurigen Soubrette zu wandeln. Sie entsprach in gewissem Sinn einem wandelnden Widerspruch – zwischen gleichsam geäußertem Leben und einer Traurigkeit, die sich wie ein grau-verwaschener, schier undurchdringlicher Schleier um ihre ziemlich wunde Seele legte.
War es das schlesische Erbteil, das da nachwirkte? Eine gewisse Breslauer Schwermut? Pippas – Gerhart-Haupmannsches – Unmunteres des genetisch in Resten vorhandenen Protestantismus vielleicht? Zumindest im Kontrast zu Mandelbaums in Relikten nachwirkendem, recht lebensfrohem Judentum; wenngleich er ohnedies assimiliert und sogar getaufter Katholik war? Wirkte bei ihr eine Art gebremster Munterkeit? Möglich, wie sich zeigte, sogar bei einer ansonsten vor Unternehmungslust nur so glitzernden und gleißenden Jung-Soubrette?!
Als die Grelot, wie sie manche wohl schon nannten (insgeheim wohl hoffend auf ein Mehr an Strahlkraft und Wirkung, das noch kommen würde bei der jungen Sängerin, mit der Zeit), als Irène Grelot sang sie dafür weiterhin bezaubernd. Schön, glockenhell und brav. Sie sprang ein, anfangs sogar häufig. Und sie konnte das auch, denn sie war immer präpariert. Immer zur Stelle. Ja, sie hätte a tempo alle weiblichen Rollen der betreffenden Operette, des Singspiels, um das es ging, oder der musikalischen Komödie, die man gerade gab, übernehmen können. Alle. (Nun ja, zur Diva fühlte sie sich vielleicht doch noch nicht berufen …, aber sonst …)
Und sie sang das Soubretten-Repertoire rauf und runter. So gut wie alles, was da gut und teuer, flott und wohl auch sogar ein bisschen lasziv (zumindest: amourös angehaucht, leicht erotisch-flirrend) war in den diesbezüglichen Werken von Carl Michael Ziehrer, Edmund Eysler und Jacques Offenbach, in denen auch von Carl Millöcker und Johann Strauß (dem Sohn, natürlich), in Stücken und Stückchen von Leo Fall, Emmerich Kálmán, bald auch von Paul Lincke, von Franz von Suppé, Oscar Straus und von Carl Zeller, noch später auch von Nico Dostal, Paul Abraham und Fred Raymond, von Eduard Künneke, Ralph Benatzky, Robert Stolz und natürlich, nicht zu vergessen, von Franz Lehár …
Irène Grelot überzeugte stimmlich wie darstellerisch, Abend für Abend.
Egal, was sie gerade verkörperte, sie machte es weitgehend perfekt.
Sie war als Helena (noch dazu eingesprungener Weise) in Jacques Offenbachs Operette über die ungetreue griechische Königsgattin nicht nur schön, sondern schlichtweg: hinreißend! Sie überzeugte als Juliska in Fred Raymonds „Maske in Blau“, noch im Jahr der Uraufführung in Berlin, 1937, da Dr. Mandelbaum sich die Rechte für die Österreichische Erstaufführung gesichert hatte. Sie verkörperte eine quirlige und sangesfrohe Adele in der Meisteroperette „Die Fledermaus“ von Johann Strauß (worin sie ohne weiters bald auch schon die Rosalinde hätte verkörpern können …). Und sie präsentierte sich als hinreißend süße Mi in Franz Lehárs „Das Land des Lächelns“. Ja, Irene war nun einmal eine Soubrette der Sonderklasse.
Und sie himmelte weiterhin von fern her ihren Chef an, den für sie als Freund (oder gar als Lebenspartner) unerreichbaren Herrn Intendanten Dr. Felix Mandelbaum. Auch wenn der durchaus beliebte Komiker Leo Grinthammer seit einiger Zeit schon – zumindest halboffiziell – als ihr Gefährte galt. (Sie stand mit dem Kollegen, in dessen Repertoire sich vom typischen Dritten-Akt-Humoristen bis zum leichten Buffo so ziemlich alles fand, immerhin fast jeden Abend gemeinsam auf der Bühne. Und so hatte es sich halt ergeben … Doch zeigte sich Grinthammer als Geliebter und Bettgenosse weit weniger lustig als in seinen komischen Rollen; wie ja die Darsteller der oft belachten und viel beklatschten, der pointierten Bühnenparts also, im wirklichen Leben nicht selten für eher uninspiriert und langweilig gelten, wenn sie, wie übrigens auch viele Zirkus-Clowns, nicht ohnedies unter Depressionen leiden …)
Fazit: Irène Grelot litt Dr. Mandelbaums wegen ein bisschen. Doch sie sang, was sie sang, nichts desto weniger stets überzeugend. Sie stellte, was sie darstellte, glaubhaft und mit Hingabe dar. Sie war sogar sehr gut, wenn sie zwischendurch einsprang (oder bald schon [freilich immer noch: ausnahmsweise] von Haus aus in der Rolle der Diva besetzt war). Sie gefiel – ohne freilich allzu sehr aufzufallen. Da gab es immer wieder Namen, die noch besser klangen, und weibliche Erscheinungen, die noch mehr zu blenden verstanden …
Es wäre nun völlig falsch, dass man sich den Namen Irène Grelot nicht gemerkt hätte; nein. Aber es war nun einmal nicht ihre Art (auch wenn sie damit eindeutig aus der Reihe tanzte und, sozusagen, das gängige Berufsbild außer Kraft setzte, das Soubretten-Klischee nicht erfüllte), sich in den Vordergrund zu spielen. Sie wollte zudem keine Kollegin übertrumpfen oder gar ausstechen. Sie wollte nicht als mehr wirken und empfunden werden, als sie war …
Auch wenn das dem ausdrücklichen Ratschlag ihrer alten Lehrerin, der ansonsten so braven und geduldigen Schnapsdrossel Mizzi Langenohr, widersprach: „Kinderl, Du musst immer wieder einmal über deinen Schatten hopsen, dein Herz auf der Zunge tragen und zwischendurch den Leuten deinen schönen Busen und deinen süßen Popo offerieren!“
Daran hätte man vielleicht noch arbeiten müssen. Ja, ganz sicher sogar.
Das sagte auch der Herr Intendant. Da wäre noch mehr drinnen, Mädchen. Und: Das solle man doch nicht brach liegen lassen …
Und der hatte auch von Anfang ihres Engagements an immer schon eigene Ideen zur Praxis im Hinterkopf. Doch waren die, so vermutete sogar die immer noch recht naive ehemalige Pippa, allesamt mit dem Bett als dem gemeinsamen Trainingslager verbunden.
Das jedoch widerstrebte ihr. Ja, wie gesagt –
FORTSETZUNG:
Es wird gefährlich!
„Es gibt Wahrheiten, die so sehr auf der Straße liegen, dass sie gerade deshalb von der gewöhnlichen Welt nicht gesehen oder wenigstens nicht erkannt werden“, führt Adolf Hitler im Kapitel Volk und Rasse in „Mein Kampf“ gleich weitschweifig wie engstirnig aus. Und, so versteigt er sich gar ins obskur-schaurig Metaphorische: „Es liegen die Eier des Kolumbus zu Hunderttausenden herum, die Kolumbusse sind eben selten zu treffen.“
Dafür freilich die Juden, um deren Vernichtung es ihm, dem über-deutschen, heil-germanischen Führer, geht. Ihnen sagt er früh schon den Kampf an. Das schreibt er sogar ganz offen in seinem Schundbuch. Und er wird auch weitestgehend Wort halten.
Gegen Ende seiner inferioren Kampfschrift, die übrigens auch die ohne jede Scheu die Erzfeindschaft zu Frankreich und, ebenso offen, die Ambitionen der Landnahme in Russland thematisiert, droht Hitler (man merkt förmlich den Schaum vorm Maul): „Ein Staat, der im Zeitalter der Rassenvergiftung sich der Pflege seiner besten rassischen Elemente widmet, muss eines Tages zum Herrn der Erde werden.“
Wien war – Gott sei Dank! – nicht Berlin oder München. Doch als jüdischem Künstler (und ein Intendant ist ohne Frage auch ein Künstler!) von einiger Sensibilität konnte einem das Pflaster in Wien zur Mitte der 1930er Jahre schön langsam auch schon heiß unter den Füßen werden. Die Auseinandersetzungen zwischen den Austrofaschisten und den Sozialdemokraten mochten Felix Mandelbaum vielleicht nur indirekt betreffen – immerhin hatte er christlich-sozial orientierte wie sozialistische Mitglieder in seinem Ensemble und verstand es, stets zwischen den politischen Fronten zu vermitteln -, doch je stärker die innerstaatliche Situation zu eskalieren drohte und je mehr es förmlich nach Bürgerkrieg zu riechen begann, umso mehr sah sich der Intendant für seine Leute (egal aus welchem der beiden Lager) verantwortlich.
Er persönlich fühlte sich zwar noch nicht bedroht, spürte jedoch, mit der feinen Sensorik seiner Rasse ausgestattet, einiges Missbehagen, ging es um Ensemblemitglieder, die offen oder verdeckt mit den aufkommenden, wenn auch noch illegalen Nazi-Elementen zu liebäugeln begannen; wenn sie nicht selbst schon infiltriert oder besser: infiziert waren.
Doch auch seine alten Eltern spürten den Wind der bevorstehenden Veränderung und waren beunruhigt. Irgendwie ähnelte die Stimmung der in Czernowitz, knapp bevor sie nach Wien geflüchtet waren; denn als Flucht sahen sie es, wenn sie ehrlich waren, im Nachhinein. Doch jetzt, wo die Nazis immer frecher wurden, der Ständestaat sich immer restriktiver gebärdete und die wirtschaftliche Lage immer prekärer erschien, jetzt war ihre Angst nicht mehr so nebulös wie damals in Czernowitz: sie war zur handfesten Furcht angewachsen! Ja es herrschte – besonders was die Nationalsozialisten betraf – blanker Horror!
Vater Fritz Mandelbaum hatte sich zudem erst vor einiger Zeit zur Ruhe gesetzt und seine florierende Buchhandlung an einen langjährigen Mitarbeiter, einen gewissen Franz Sedlacek, verpachtet. Mutter Esther war seit ein paar Jahren zudem chronisch krank und daher hauptsächlich mit sich selbst beschäftigt.
Nur Schwester Judith schien die Politik (einschließlich der miesen wirtschaftlichen Lage in Österreich) nicht zu tangieren; ob einander nun die inzwischen verbotenen Sozialdemokraten und die christlich-sozialen Austrofaschisten die Schädel gegenseitig einschlugen oder das gleich von den illegalen Nazis machen ließen, diese (zudem rein theoretische) Entscheidung bereitete ihr kein sonderliches Kopfzerbrechen. Sie war allerdings schon seit 1932 mit dem Schweizer Bankier Urs Huegli aus Basel verheiratet, den sie anlässlich eines kurzen Winterurlaubs in Tirol kennen (und lieben) gelernt hatte, und somit ohnedies weit vom Schuss.
Auch Felix Mandelbaum hatte, wie kurz angedeutet, geheiratet, nämlich im Jahr 1928, und die Ehe mit Dorothea, der Tochter des Wiener Schusters und späteren Schuhhändlers Erwin Seifberger, ließ sich soweit vielversprechend an. Doch schien Dorli, ganz im Unterschied zu ihrem Gatten, die drohenden Gewitterwolken nicht zu erkennen. (Oder sie wollte sie nicht sehen.) Zumindest stimmte sie Felix kaum so recht zu, wenn er, was selten genug vorkam, mit ihr über das sprach, was sich gerade ereignete in der Welt. (Ihm wurde bald klar, dass Dorothea, solange es ihnen einigermaßen gut ging, von seinen diversen Sorgen besser nichts wissen wollte. Und es ging ihnen einigermaßen gut. Recht gut sogar. Noch.)
Dorothea war eine anmutige Erscheinung, einige Jahre jünger als Felix. Ihr dunkelbraunes Haar umspielte ein – vielleicht ein wenig gewöhnliches – Gesicht, das durchaus etwas Apartes an sich hatte; mit den großen rehbraunen Augen und dem durchaus sinnlichen Mund … Ja, da gab es weitaus weniger attraktive Frauen in Wien! (Freilich, auch um einiges schönere …)
Für Dorli zählten allein ihre Familie – und die Gesellschaft, in der sie sich bewegte. In der sie nach Möglichkeit auch entsprechend glänzen konnte. Als Mutter zweier kleiner Kinder, Sophie und Erwin (benannt nach den Eltern Seifberger, nicht etwa Friedrich und Esther, also nach den Mandelbaum-Schwiegereltern, bitte sehr!), als tatkräftige Organisatorin diverser Wohltätigkeitsveranstaltungen und Aktivistin in einigen sozialen Stiftungen und Vereinen hatte sie zudem genug um die hübschen Ohren, als dass sie sich auch noch groß um das Weltgeschehen hätte bekümmern können …
Außerdem hielt sich Dorothea Mandelbaum seit kurzem einen Geliebten, und auch dieser ominöse Gustav Brunnsteiner bedurfte verständlicherweise einer gewissen Zuwendung an Zeit und Interesse. Auch hätte man ihr gesagt, dass der bald schon ein hohes Tier bei der GESTAPO sein würde, hätte das die wenig ahnungsvolle junge Frau kaum überrascht; war sie doch von all diesen politischen Dingen weitestgehend unbeleckt. Selbst, was es mit dieser Organisation, dieser ominösen GESTAPO, auf sich habe, blieb ihr die längste Zeit, auch Wochen und Monate nach dem Anschluss noch, völlig unklar. (Doch im Geheimen der Geheimpolizei liegt ja angeblich auch ein Gutteil von deren Sinn verborgen …)
März 1938. Als ob sie es geahnt hätten, waren die Eltern des Intendanten Dr. Felix Mandelbaum von einem Besuch in der Schweiz bei Tochter Judith und deren Familie gar nicht mehr zurückgekehrt. Ein Brief, in dem Friedrich und Esther Mandelbaum ihren Sohn inständig baten, doch unbedingt mit seiner Frau und den Kindern ebenfalls nach Basel zu kommen, traf ihn nicht mehr an. Seltsam.
Kurz zuvor schon hatte Dorothea ihrem überraschten Gatten Felix, der freilich schon längere Zeit hindurch eine kaum mehr übersehbare Veränderung im Verhalten seiner Frau ihm gegenüber wahrgenommen hatte, eröffnet, dass sie sich, so rasch wie nur möglich, scheiden lassen wolle. Es sei im Übrigen ihrerseits auch bereits alles in die Wege geleitet. Gründe? Da mochte sie ihm lieber keine speziellen nennen; ach ja, sein Lebenswandel, seine vielen Liebschaften und die schlampigen Verhältnisse, überhaupt: das Theatervolk und so …
Und dann holten zwei GESTAPO-Leute eines frühen Morgens den eben nach Hause zurückgekehrten Intendanten aus dem Schlafzimmer, das er schon einige Zeit lang nur mehr solistisch benützt hatte. Sie zeigten sich wenig gesprächig und führten ihn ohne viel Federlesens ab. Das Automobil war dabei dunkel wie das Morgengrauen selbst. Und die Aussichten waren düster, das ahnte Mandelbaum.
Dr. Felix Mandelbaum wurde zunächst ins Konzentrationslager Dachau gebracht. Anschließend nach Buchenwald, wo er 1942 starb. (An Erschöpfungszuständen, wie es in einem amtlichen Schreiben lapidar hieß.)
Dorli? Frau Dorothea Brunnsteiner, geborene Seifberger (geschiedene Mandelbaum), lebte, ohne sich auch weiterhin besonders um Politik, Wirtschaft und Ähnliches zu kümmern, unaufgeregt an der Seite ihres durchaus karrieregeilen GESTAPO-Gustav.
Die Kinder Sophie und Erwin verschwanden übrigens rasch nach dem vollzogenen Anschluss Österreichs an das Großdeutsche Reich in einem Heim; immerhin waren sie doch halb-jüdisch … Auch dass man ihr also die Kinder wegnahm, ließ die junge Frau, die schier blind verliebt war in ihren flachhirnigen Brunnsteiner und ihm ergeben, erstaunlicherweise ohne nennenswertes Murren geschehen. Ja, Brunnsteiner schien tatsächlich von Dorothea Besitz ergriffen, ihr jeden eigenen Willen geraubt und sie solcherart zum Zombie gemacht zu haben …
Doch da waren, so seltsam das klingen mag, allem Anschein nach überhaupt rundherum keine großen Emotionen mehr möglich. Und jedenfalls gab es keinerlei Kritikfähigkeit mehr.
Allerdings war Dorothea von ihrem neuen Gefährten entsprechend vorbereitet (um nicht zu sagen: indoktriniert) worden – und sie erwartete von ihrem blonden Gustav auch schon Nachwuchs, der sich heftig und stramm in ihr bemerkbar machte und vorschriftsmäßig meldete.
Doch auch dieses fragwürdige Glück sollte nicht allzu lange währen.
1945 oder Der dritte Mann
Es ist in unzähligen Büchern versucht worden, wenigstens ansatzweise die Gräuel des Zweiten Weltkriegs auf- und nachzuzeichnen; und eine Menge mehr oder weniger gelungener Filme war ebenfalls bemüht, zumindest zum Teil das unsagbare Leid, die unvorstellbaren Schmerzen, Strapazen und Torturen der Soldaten aller daran beteiligten Nationen, aber auch der geschundenen, ausgelaugten und zuletzt bombardierten Zivilbevölkerung daheim zu würdigen. Ein eigenes Kapitel dieser Würdigung kam spät, viel zu spät dazu, als man endlich auch von den Millionen Juden offiziell zu sprechen begann, die in den unmenschlichen Konzentrationslagern der Nazis, gleich wirren wie inhumanen Rassengesetzen folgend, hingemordet worden waren. Der Holocaust galt mit einem Mal als besonders gemeine Schreckensfratze dieses zutiefst zerrütteten Jahrhunderts, das eben nicht arm war an Gewaltexzessen und politischer Willkür auf so vielen Seiten. Und auch der Roma und Sinti, der Homosexuellen und der politisch Andersdenkenden, die durch ihre Haltung quasi zu inneren Feinden des Dritten Reiches und deshalb in der Folge zu Inhaftierten und Getöteten geworden waren, ihnen allen wurde allmählich wenigstens ein Quantum an Aufmerksamkeit und Respekt zuteil.
Die nachweisliche Gräueltaten, die von der erbarmungslosen Stalin-Armee – auch später, im Zuge der Besatzung – vollzogen wurden, und die völlig inhumanen Atombombenabwürfe der USA konnten das Bild des bösen Deutschen kaum relativieren. Wohl zu recht. Denn was wäre der grenzenlosen Menschenverachtung, der engstirnigen (und zugleich kleinkarierten) Denkweise sowie der völlig entmenschten Grausamkeit dieses Regime auch schon gleichgekommen, das ein größenwahnsinniger Spießbürger namens Adolf Hitler da aufgezogen hatte? Gegen jede bessere Regung und nicht zuletzt, indem er sich die eminenten politischen und sozialen Fehler derer zunutze machte, die er auf seinem Weg zur Schreckensherrschaft überholt, beseitigt und niedergemacht hatte.
Kurz: Die Sieger, die Alliierten also, durften sich nach 1945 durchaus als solche aufführen. Ihre Feinde waren zunächst die Übriggebliebenen. Und dazu gehörte anfänglich wohl auch die Zivilbevölkerung. Erst das großangelegte Wohltätigkeitsprogramm des US-amerikanischen Marschall-Plans brachte hier, in ganz West-Europa und so auch in Österreich, eine fühlbare Besserung. Und Deutschland durfte, so schien es, überhaupt froh sein, dass nicht der ziemlich unrühmliche Morgenthau-Plan zum Einsatz gekommen war.
(George Catlett Marshall wirkte erst als Generalstabschef und General, dann als US-Außenminister. Er initiierte den nach ihm benannten Plan, das European Recovery Program (ERP) zum Wiederaufbau Europas, der Sachlieferungen, vor allem Geschenke von Lebensmitteln und Rohstoffen sowie Kredite vorsah. Der Marshall-Plan wirkte bis Ende 1951 und brachte Hilfe im Umfang von circa 13 Milliarden US-Dollar. – Ganz anderes der – zum Glück wieder verworfene – Vorschlag des langjährigen amerikanischen Finanzministers Henry Morgenthau jr., der vorsah, Deutschland in ein reines Agrarland zurückzuverwandeln und durch Entmilitarisierung, Demontage der Industrieanlagen und Internationalisierung einiger Gebiete auf Jahrzehnte hinaus jeglicher politischer Bedeutung zu berauben.)
Nun, Irene Plotz-Dinckelthal hatte nicht im Zweiten Weltkrieg gekämpft. Wie wohl auch?!
Doch gelitten. Gelitten hatte sie.
Gemeinsam mit den alten Eltern galt es für sie nämlich zunächst einmal, überhaupt irgendwie über die Runden zu kommen und schlicht und ergreifend – zu überleben. Vom millionenfachen Sterben auf den Schlachtfeldern Europas und der Welt erfuhr die Familie wie so viele andere nur aus den Medien. Gefärbt. Geschönt. Propagandistisch verzerrt. Per Zeitung, Volksempfänger oder aus der Wochenschau. Später dann über die von den Alliierten betriebenen und entsprechend zensurierten und indoktrinierten Rundfunkstationen und Tageszeitungen.
Auch von ehemaligen Kolleginnen und Kollegen bekam sie hin und wieder Kunde. Von Freunden, die – das Wiener Operettentheater war zunächst arisiert, dann in ein Nazi-Revuetheater umfunktioniert und schließlich, im Jahr 1944, überhaupt geschlossen worden – in die ganze Welt versprengt zu sein schienen. Diesen Eindruck vermittelten zumindest die Briefmarken und Poststempel der spärlichen Nachrichten.
Besonders froh nahmen sich die Inhalte allerdings auch nicht aus, selbst wenn die Poststücke von so prominenten Adressen abgesendet worden waren – New York, Los Angeles/Hollywood, Rio de Janeiro, auch London oder Zürich …
Vom Schicksal der jüdischen Mitbürger und anderer dem Nazi-Regime missliebiger Minderheiten, also der Roma und Sinti oder sonstiger Untermenschen oder der Schwulen, war in den NS-Medien natürlich schon gar nicht die Rede gewesen. Zwar wusste man (oder ahnte zumindest) einiges vom Schrecklichen, das hier tagtäglich, planmäßig und in größtem Maßstab passierte, und man bekam immer wieder etwas mit; doch wollten viele, was sie wussten (oder ahnten) lieber nicht wahrhaben; außerdem hatte man Angst, womöglich zu viel zu erfahren …
Vielleicht war die Zeit – trotz aller Gräuel und Schrecknis – für manch einen und manch eine einfach noch nicht reif, die Zeit der Erkenntnis nämlich?! Die Zeit der Einsicht?!
Hätten viele die (literarisch durchaus inferiore) Programmschrift „Mein Kampf“, die der spätere Führer, nach seinem gescheiterten Putschversuch anno 1923 in Landsberg inhaftiert, da hingeschludert hatte in verkrampftem Stil und in wüster pseudo-philosophischer wie auch verbohrter politisch-utopischer Verstiegenheit, hätten sie das Machwerk von 1925/27 auch tatsächlich gelesen gehabt, ihnen wäre früh schon manches klar geworden, was sich später dann, in den Jahren nach 1933 (für Österreich speziell: ab März 1938), abspielte und ereignete: Zu genau beinahe hatte Adolf Hitler, indem er vermeintlich seinen bisherigen Weg beschrieb hier schon seine nachfolgende Laufbahn skizziert.
Und da „Mein Kampf“ quasi ein Bestseller in Millionenauflage war (an dessen Tantiemen allein sein Autor durch die Jahre beachtliche Summen verdiente!), der zudem allen deutschen Brautleute pflichtig mitgegeben wurde beim deutschen Eintritt in den deutschen Bund der Ehe, hätte nachher der Stehsatz der Ausrede a priori eigentlich erst recht nicht gelten dürfen: Wir haben ja nichts davon gewusst! Irrtum: In „Mein Kampf“ steht so gut wie alles drinnen!
Ob es nun angebracht sei, vom wahnsinnigen Führer und „von Hitlers wirrem Gedankengebäude zu sprechen“ oder man ihn, was die „fatale Verbindung von Weltfremdheit und weltstürzendem Furor“ betrifft, „am Werke zu sehen“ habe: Nach Rüdiger Safranski („Romantik. Eine deutsche Affäre“) habe er sich nun einmal in die Tradition der Romantik, also derer eingereiht, „die ihre Welten geschaffen und der Wirklichkeit entgegengesetzt hatten“. „Tatsächlich“, so Safranski weiter, „aber sind seine Gedanken nicht wirr. Das Erschreckende daran ist vielmehr ihre unerbittliche Logik, mit der in ,Mein Kampf‘ aus einigen rassistischen und sozialdarwinistischen Prämissen mörderische Konzessionen gezogen werden.“
Der Propaganda-Apparat des Dritten Reichs funktionierte – wie die gesamte NS-Bürokratie und zum Exempel auch die penibel ausgetüftelte Logistik in der als Endlösung der Judenfrage bezeichneten Massenvernichtung – minutiös sowie höchst professionell. (Hätte jemand so viel Hirnschmalz für einen guten, vielleicht: für einen humanitären Zweck eingesetzt, wie es die entmenschten Nazi-Oberen für ihre Verbrechen taten, wer weiß, was als Ergebnis herausgeschaut hätte; in Medizin, Technik oder Forschung, auf dem Gebiet des Friedens …) Und als schließlich schon fast jede Familie an irgendeiner Front gefallene oder zumindest verwundete oder vermisste Angehörige zu beklagen hatte und sich allenthalben wohl auch erste Risse im ach so profunden Polit-Gebäude von Partei, Militär und Führung bemerkbar machten, gerade jetzt wäre fast jeder bereit gewesen, den Nachbarn auszuspionieren und zu denunzieren. Aus schier psychotischer Angst, selbst ausspioniert oder denunziert zu werden …
Doch da war es ja bald schon endgültig vorbei.
Sodass ganz Schlaue beinahe spontan gern das Wort vom braunen Spuk in den Mund nahmen; als wären Nazi-Gräuel und NS-Verbrechen bloß ein überlautes Fastnachts-Blendwerk, ein letztlich entgleisendes Karnevals-Intermezzo oder eine um einiges zu feuchtfröhliche Faschings-Einlage gewesen …
Doch: Endlich dann war der braune Spuk tatsächlich vorüber.
Und schon während die echten Übeltäter, die irgendwie hineingezogenen Mitläufer und die aus welchen Gründen tatsächlich mehr oder weniger Unbedarften und Ahnungslosen ihre Hitler-Bilder, Uniformen und sonstigen NS-Devotionalien verbrannten oder auf den Müll warfen und während in emsiger Kleinarbeit die Hakenkreuze von den Fahnenstoffen entfernt wurden – ganz rot schien jetzt vielerorts überhaupt opportun, besonders dort, wo die Sowjet-Truppen als Befreier zu erwarten waren – , während sich also die NS-Verbrecher ein möglichst biederes neues Image zuzulegen versuchten, darbte die Zivilbevölkerung weiter; nur jetzt eben nicht für Führer, Volk und Vaterland; nein, jetzt ging es ganz simpel um das eigene Überleben und das der engsten Verwandten …
Da nun einmal die Hitler-Bilder abmontiert und die schmucken Exemplare von Hitlers „Mein Kampf“ weggeworfen waren, wurden die christlichen Kreuze und andere Fetische von früher wieder schamhaft hervorgeholt. Und allenthalben bastelte man auch schon an einigermaßen plausiblen Ausreden für das so Furchtbare, das geschehen, und an der entsprechend geschickten Tarnung für das möglicherweise ebenfalls Furchtbare, das nun zu erwarten war.
Dann ging man daran, sich mit den neuen Machthabern zu arrangieren. Was insofern nicht ganz leicht fiel, da sich die Befreier vom Joch der Nazis auch nicht immer als so ganz salonfähig erwiesen. Kurz: Auch unter den US-Amerikanern, Franzosen und Engländern hatte man mitunter zu leiden; und manche der Sowjet-Soldaten verstanden es überhaupt, in nicht geringem Ausmaß in ihrer Einfluss-Sphäre Furcht und Schrecken zu verbreiten …
*
Doch wollen wir uns nunmehr lieber dem Kriegsende und dem zaghaft, jedoch hoffnungsfroh beginnenden Wiederaufbau zuwenden, an dem sich naturgemäß auch Irene so tatkräftig, wie sie es nur vermochte, beteiligte. Da müssen wir allerdings kurz den dritten Mann in ihrem Leben erwähnen. (Den spätpubertären Maximilian Pribil und den kuhäugigen Dagobert Rinnsteiner wollen wir als Partner hier besser nicht zählen und eher außer Acht lassen [weil sie – – -, ach was, egal!].) Doch bevor wir zum tatsächlich dritten Mann der Irene Plotz-Dinckelthal alias Irène Grelot kommen, soll kurz des zweiten Erwähnung getan werden. Der war zwar nur eine Episode, aber um einerseits ihren Geliebten, den in unserer Zählung ersten Mann, den Komiker und Kollegen vom Operettentheater, Leo Grinthammer, als auch ihren angebeteten Chef, den Intendanten Dr. Felix Mandelbaum, der aus verständlichen Gründen hier gar nicht gezählt wird, vor KZ und Tod durch die braunen Schergen zu erretten, hatte sie sich vom schmierigen Wiener SS-Mann Hugo Brandinger bezirzen lassen, der ihr bald nach dem Anschluss die Schonung ihrer beiden jüdischen Freunde, Leo und Felix, in Aussicht stellte, wenn sich Irene nur auch ihm gegenüber entsprechend entgegenkommend zeigen wollte …
Sie zeigte sich.
Obschon ihr allein schon die SS, das ganze Nazitum, der Nationalsozialismus und überhaupt Brandingers menschliche Einstellung auf das Äußerste missfielen. Immerhin freilich erhoffte sie sich tatsächlich Hilfe für Mandelbaum und Grinthammer. Also arrangierte sie sich – widerstrebend; aber sie glaubte, es tun zu müssen …
Und Leo Grinthammer kam durch ein bürokratisches Versehen frei.
Und Felix Mandelbaum kam um.
Die Zeit mit Brandinger war unerquicklich. Nicht nur, weil dieser grobe Mensch kein bisschen musisches Interesse oder Gespür für die Kunst hatte; nein, weil ihr der weitgehend dumme Hugo im Grund genommen – bei all seiner Beschränktheit, die er allerdings durch Angepasstsein und Schlauheit zu kompensieren verstand – unheimlich blieb. Die ganze Zeit.
Doch auch Brandinger war eines Tages spurlos verschwunden.
Wie Irene viel später, schon in den mittleren 1950er Jahren, erfuhr, hatte ihr furchtbarer Hugo Brandinger unter dem als besonders rigoros bekannten Gauleiter und (seit 1940) Reichsstatthalter der Steiermark, dem rasch an eine Spitzenposition innerhalb der ostmärkischen Nazi-Hautevolee gelangten Siegfried Uiberreither, in der Untersteiermark unter der slowenischen Bevölkerung wie ein Berserker gewütet. Ja: Es war nach Kriegsende kaum zu eruieren, in welche und in wie viele schwere und schwerste Verbrechen der Überreither-Büttel, an sich ein schmächtige Durchschnittsmensch und Brillenträger, der zuletzt den Rang eines Sturmbannführers bekleidet hatte, überhaupt verwickelt gewesen war …
Gegen Kriegsende bescherten Hugo Brandinger allerdings die auch alles andere denn zimperlich agierenden Partisanen Titos ein wenig rühmliches Ende. (Immerhin, auch sein Leben war bis dahin wenig rühmlich verlaufen; doch die Umstände seiner Hinschlachtung sollen hier besser nicht abgehandelt werden. Und da es nun einmal keine Gerechtigkeit gibt, kann man wohl auch schlecht von einer ausgleichenden Gerechtigkeit reden …)
Jedenfalls war Irene nach kurzer sexueller Besitzergreifung durch den menschlich weitestgehend unerfreulichen Nazi-Knecht Hugo Brandinger also diesen Dreckskerl auch schon wieder los gewesen. Allerdings auch Leo Grinthammer, dessen Spur lange Zeit unbekannt bleiben sollte, und natürlich auch Felix Mandelbaum, von dessen Ermordung im Konzentrationslager Buchenwald sie seltsamerweise recht bald über Bekannte von Bekannten erfuhr, waren weg.
Doch jetzt schrieb man Mitte 1945. Der Krieg war vorbei. Und auch der braune Spuk hatte ein Ende. Die Österreicher waren keine Ostmärker mehr, sondern – richtig, sie waren wieder zu Österreichern mutiert. (Wir wollen hier das Bild vom antiken Phönix, der aus der Asche steigt und sich in die Lüfte erhebt, besser erst gar nicht bemühen.) Viele, auch schwerst als Nazi belastete unter ihnen, taten ohnedies so, als wären sie nie etwas anderes gewesen als hundertprozentige Österreicher; manche glaubten das selbst vielleicht sogar. Zumindest die, denen sie es erzählten, versuchten, es meist zu akzeptieren; weil sie sich nicht selten ohnehin in einer ähnlicher Situation befanden. Allgemeine Verblendung verband zudem erneut …
Jedenfalls nahm auch die Zahl der sogenannten Widerstandskämpfer gegen Hitlers Verbrecher-Regime auf durchaus wunderliche Weise jetzt, wo alles vorbei war, ziemlich rasch numerisch noch zu … (Und nicht selten hatten die tatsächlichen Gegner der braunen Gewalt- und Unrechtsherrschaft sogar beim Erringen beruflicher Positionen erneut das Nachsehen.)
Doch jetzt sollte angeblich ein neues Zeitalter anbrechen! (Wieder einmal …)
Davon redete auch der kommunistische Funktionär Karl Prinz. Sachlich. Überzeugend. Fundiert. Freilich auch ein bisschen großspurig. Und vor allem: Moskau- wie Stalin-treu. Dabei hatte er, wie es schien, zwischendurch auch seine warmherzigen, ein bisschen sentimentalen Anwandlungen. (Na, gibt es das?! Es gibt das!)
„Nie mehr Faschismus!“, sagte Irenes dritter Mann. (Und darin konnte ihm Irene durchaus folgen. Ja, da war sie total bei ihm.)
„Sich stets besinnen auf die Kraft, die im Volk liegt!“ (Da wurde sie schon ein wenig unsicher.)
„Und tun, was Moskau sagt!“ (Da zweifelte sie ganz beträchtlich.)
Aber – irgendwie anders musste es doch werden, oder?!
Also wurden Irene und der – zugegeben: überzeugungs- wie lendenstarke Karl schließlich ein Paar. (Auch wenn man den Staat – und selbstverständlich die Kirche – wohl wissend außen vor ließ bei dieser Partnerwerdung.)
Dass ihr Zusammenleben ein Ablaufdatum haben würde, schien weitestgehend klar, und auch Irene machte sich da keine übertriebenen Hoffnungen. (Hoffnungen? Worauf denn, bitte? Vielleicht darauf, für alle Zukunft das zu tun, was Moskau sagte?! Nein,danke!)
Zudem behagten ihr Karl – und besonders seine eigenartigen Kumpane, die ihn stets wie eine Meute von jungen Jagdhunden umwuselten – nach kurzer Zeit nicht mehr so recht. Nein.
Zwar mochte der stramme Kommunist Prinz ja ein versierter Marx-Kenner sowie ein tauglicher Diskutant sein, rhetorisch einiges drauf haben und sogar als ein einigermaßen geschulter Dialektiker durchgehen; doch im Grund war Karl auch wieder nur ein Mitläufer! Nur halt (mehr oder minder zufällig) in die andere Richtung, als es sein Vorgänger Hugo Brandinger gewesen war. (Übrigens: Prinz hatte „Mein Kampf“ tatsächlich früh schon gelesen; nicht nur Marx.) Und von Mitläufern hatte Irene Plotz-Dickelthal, alias Irène Grelot und gewesene Pippa, längst die Nase voll. Und auch von halbverlorenen Typen wie Leo Grinthammer …
Nur: Ihren Felix? Den, der nun in der Tat kein Mitläufer gewesen war? Ihn, ja, ihn hatte sie eben verpasst.
Schade, schade.
Mit Karl Prinz ging es naturgemäß also auch nicht lange gut.
Zwar waren die Kommunisten zunächst eine durchaus respektable Kraft im jungen Staat Österreich, dieser zweiten Republik; eine Kraft, mit der man – zumal in Wien, der vierfach besetzten Stadt – immerhin zu rechnen hatte. Doch einerseits bereitete Irene die vollkommen kompromisslose Moskau-Hörigkeit ihres Partners einiges Unbehagen; denn was sollte es, bitte, auf Dauer schon bringen, dass er irgendwelchen unwichtigen Wiener KPÖ-Zellen vorstand? Kleinere Streiks organisieren half? Große Reden schwang?
Und wäre das ihre eigentliche Erfüllung gewesen, bis zu ihrem Lebensende (wenn es überhaupt so weiter gehen konnte) irgendwelchen mehr oder minder begabten Genossen-Kindern auf dem Klavier das Intonieren der Internationale beizubringen?!
Außerdem versoff sich Karl Prinz sukzessive ständig mehr und mehr. So hätte er vermutlich, parallel zum Bedeutungsverlust seiner Partei hierorts, seinen eigenen gesundheitlichen Untergang zelebriert – wäre da nicht Anfang der 1950er Jahre ein Ruf aus der jungen, erst 1949 gegründeten Deutschen Demokratischen Republik an ihn erschallt. Und so setzte sich Prinz (und erstaunlicherweise sogar wieder erneut um Nüchternheit bemüht) nach Berlin-Ost ab. Wie die meisten Halbblinden erhoffte er sich neue Perspektiven … Egal, wo.
Er kräuselte also rechtzeitig, so hätte es vermutlich ein alter Breslauer Großonkel namens Roland, der angeblich einige Zeit zur See gefahren war, bezeichnet, so kräuselte er also rechtzeitig den Arsch nach dem Wind.
Prinzens Abgang in die Arme der DDR und der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED), die seit 1946 schon im deutschen Osten das Sagen hatte – mit Wilhelm Pieck, Otto Grotewohl, später mit Walter Ulbricht, Erich Honegger und, zuletzt, zur Auflösung des Kommunismus hin, mit Egon Krenz und Gregor Gysi -, wurde von Irene, die sich schon seit einiger Zeit mit Klavier- und Gesangsstunden einigermaßen über Wasser hielt und im ziemlich ramponierten Wien der bürokratisch eigenwilligen vier Siegermächte einigermaßen zu überleben gelernt hatte, keinesfalls allzu stark beweint. Sie hatte andere Sorgen, und da sie als private Musiklehrerin (soweit man solchen Luxus damals überhaupt in Anspruch nahm) beliebt war und von den knapp nach Kriegsende ziemlich gleichzeitig verstorben Eltern, Georg Martin und Aglaia Plotz-Dinckelthal, ein Weniges geerbt hatte, war für ihr Auskommen gesorgt. Es ging ihr eigentlich gar nicht schlecht, dachte sie mitunter, wenn sie anderen Leuten zusah bei ihrem Bemühen, irgendwas aus dem Dreck zu buddeln; auch wenn der Dreck später dann, nach und nach vielleicht sogar zu einer Art Wohlstandsmüll werden sollte …
Im Gegenteil: Sie hatte nun Zeit und Muße, ganz der Kunst zu leben. Ihrer Kunst. Und vor allem: Sie vermochte das, was in so reichem Maße in ihr schlummerte, an junge Talente weiterzugeben. Wie es ihrem Naturell entsprach: freigebig und rückhaltlos, mit lockerer Hand, offen und ohne Eitelkeit. Großzügig eben.
Und ihre Schützlinge dankten es ihr – nicht zuletzt dadurch, dass einige namhafte Sängerinnen und Sänger (und zwei später anerkannte Konzertpianisten) aus ihrer Tätigkeit als Lehrerin hervorgingen. Und sich später noch gern ihrer erinnerten.
So wie sich ja auch Irene Plotz-Dinckelthal ihrerseits der alten, ein wenig versoffenen Soubrette Mizzi Langenohr immer noch und immer wieder in größter Dankbarkeit entsann. Jener Gesangslehrerin, damals, noch vor Beginn von Irenes eigener (kleiner) Karriere an Dr. Mandelbaums Wiener Operettentheater, die in ihr die Flamme der Kunst, der Musik, speziell der fälschlich sogenannten leichten Muse, auf so geschickte und auch pädagogisch fundierte Art und Weise entzündet hatte. O ja, oft musste sie in Rührung an Mizzi Langenohr denken.
Wir sehen: Die gewesene Irène Grelot, das Glöckchen, schwang immer noch voller Menschlichkeit, Kunstsinn und musikalischer Freude!
FORTSETZUNG:
1960: Die Stiftung
Die Welt freilich drehte sich weiter. Österreich hatte im Jahr 1955 doch noch seinen Staatsvertrag bekommen. Und seine immerwährende Neutralität. Dazu eine konstant schwarz-rote Regierung, die sich – nach unleugbaren Erfolgen im Wiederaufbau – langsam aber sicher im Proporz einzementierte; dazu eine sukzessive wiedererstarkende, angeblich freiheitliche, in Wahrheit in ihren Ansichten völlig rückwärtsgewandte dritte Kraft, die FPÖ; und einen immer noch schier unbesiegbaren Fortschrittsglauben, der sich, wie auch anders, an der Bundesrepublik Deutschland orientierte.
Und die BRD selbst? Nun, die badete gerade im Wirtschaftswunder, das ihr der Indianer-gesichtige und vielfältige Konrad Adenauer sowie der ständig eine dicke Zigarre paffende Ludwig Erhard im erstaunlichen Schulterschluss mit dem sogenannten Westen beschert hatten. Gegen den sogenannten Osten.
Kaum zu glauben, aber wahr: Plötzlich zeigte sich Dorothea, gewesene Mandelbaum und geborene Seifberger, wieder auf der Bildfläche. Seit Jahren firmierte die immer noch ein bisschen grelle Dame zudem als geschiedene Brunnsteiner: Der GESTAPO-Mann Gustav hatte sie anno 1942 gegen eine Jüngere ausgetauscht und sich damals in Jahresfrist scheiden lassen. Dann war er mit seiner neuen Partnerin, einer gewissen Käthe, nach Berlin abgerauscht, wo er 1945, knapp vor dem allgemeinen Inferno, schließlich von einer US-amerikanischen Bombe getroffen wurde und im Schutt eines Miethauses nahe dem Führer-Hauptquartier, gemeinsam mit vielen anderen, eingebuddelt lag; tot, von Beton und Ziegeln beschwert und vor seinem unrühmlichen Hingang noch anständig ausgeräuchert. Die flotte Käthe hielt sich, sehr zu ihrem Vorteil, just am anderen Ende der bald zu großen Teilen in Trümmer gelegten Stadt auf. (Übrigens, auch ein paar Verwandte von Irene Plotz-Dinckelthal, die sich Jahrzehnte zuvor schon von Breslau aus in die Spree-Metropole begeben hatten, kamen in den Kriegswirren um; von Bomben erschlagen, sonst irgendwie getötet, durch die Verkettungen von üblen Umständen et cetera. Oder sie starben, von Krankheiten geschwächt oder altersbedingt …)
Jetzt also tauchte Dorothea wieder auf. In Wien. Und sie wandte sich an die in Stille und Beschaulichkeit als Klavier- und Gesangslehrerin hier (nicht ganz ohne Renommee) wirkende Irene Plotz-Dinckelthal.
Wie? Was? Dorli? – Ja. Frechheit siegt!
Die Restitutionen ehemals jüdischen Vermögens waren nun sogar in Österreich – wenn auch oft beschämend langsam – etwas in Fahrt gekommen. Sehr zum Vorteil unter anderem just der Frau, Dorotheas also, die ihren Ehemann dereinst so schnöd verlassen hatte … Wie sie es auch immer geschafft hatte, die findige Dorli galt offiziell nunmehr als Witwe des ehemaligen Theaterintendanten Dr. Felix Mandelbaum. Und machte mit einiger Aussicht auf Erfolg ihre Ansprüche zumindest an Teilen des ehemaligen – nicht unerheblichen – Mandelbaum-Vermögens geltend.
Ihre zwei Kinder, Erwin und Sophie, hatten zudem NS-Zeit, Internierungslager, Krieg und Hunger einigermaßen unbeschadet überstanden. Dass sie jetzt, als Erwachsene, von ihrer Mutter nichts wissen wollten, durfte weiter nicht überraschen. Und auch Dorlis Sohn Horst – aus der Ehe mit Gustav Brunnsteiner – war längst kein Kind mehr, sodass der Student der Germanistik und Geschichte (bei Verwandten der Familie Brunnsteiner in Salzburg logierend, wo er auch studierte) der mütterlichen Obsorge nicht mehr unbedingt bedurfte.
Jetzt, in den auch hierorts wirtschaftlich doch schon wieder tüchtig aufkeimenden späten 1950ern, war die unternehmungslustige, immer schon von diversen sozialen Gefühlen und zumal von (auch hochfliegenden) Charity-Gedanken beseelte Dorothea Mandelbaum drauf und dran, eine Stiftung für finanziell minderbemittelte, für sogenannte Unterschicht-Kinder ins Leben zu rufen. Unter Zuhilfenahme des Mandelbaum-Vermögens, versteht sich. Und wenig später schon waren die ersten Schritte getan, die ersten wichtigen Verbindungen hergestellt und somit die ersten Maschen für das spätere Netzwerk sukzessive geknüpft … Ja, und da hatte sie sich (angeblich) an Irène Grelot erinnert, die so verlässliche Sängerin und vielseitige einsetzbare Bühnenkraft noch unter der so erfolgreichen Intendanz ihres verstorbenen Gatten, Dr. Felix Mandelbaum, also … Ja, …, damals am namhaften Wiener Operettentheater … Und wenn Irene wolle … Außerdem, wir Frauen müssen doch … und gemeinsam sind wir …
Nun, Pippa, wie man Irène oder Irene bekanntlich als Kind gern genannt hatte, als ihre glockenhelle Stimme noch zu den höchsten Erwartungen und den schönsten Hoffnungen Anlass gegeben hatte, kurz: Frau Plotz-Dinckelthal konnte (außer es drehte sich um schnelle Bettgeschichten) nun einmal nicht nein sagen. Also ließ sie sich breit schlagen und schloss sich tatsächlich mit Dorothea Mandelbaum zusammen. Wenn zunächst auch, was Dorlis Charakter betraf, eher widerwillig; was die Sache anging, freilich von Anfang an höchst motiviert!
Noch mehr: Irene erklärte sich bereit, ihr fachliches Können, ihr musikalisches Vermögen und ihre pädagogischen Fähigkeiten ganz in den Dienst der guten Sache zu stellen. Denn auch sie war felsenfest davon überzeugt, man müsse gerade benachteiligten Kindern, solchen also aus sozial schwächerem Umfeld und aus den ärmeren Familien, künstlerisch und musisch eine Chance bieten. Bereichere doch gerade das Künstlerische, das Musische, das Kreative (und hier ganz besonders: die Musik!) das Leben so ungemein!
Immerhin war für Pippa die Kunst stets außerhalb jeden Streits gestanden. Sie war sakrosankt gewesen, unantastbar, ein Tabu gleichsam. Tabu Kunst.
Das hatte weniger mit den Intentionen ihrer drei gehabten Lebensgefährten zu tun, die hierin stets eher flexibel gewesenen waren – vom (zugegeben: recht tauglichen) Komiker Leo Grinthammer über Hugo Brandinger bis Karl Prinz -, als vielmehr mit den eigenen Ein- und Ansichten. Der letztgenannte ihrer Männer, Prinz, war zudem und wie oben kurz angedeutet, Anfang der 1950er Jahre in die damalige Deutsche Demokratische Republik gezogen, wo er künftig unter der neuen SED-Führung zu wirken aufgefordert worden war. Eine Folge davon war, dass man hinfort nichts mehr von ihm zu hören bekam. (Doch war Irenes Interesse an diesem Paradekommunisten auch längst schon und tatsächlich erloschen.)
Übrigens: Welch ein Zufall, an Helene Weigels Berliner Ensemble begann etwa zur selben Zeit, da Prinz dem Ruf aus der DDR gefolgt war, der – woher auch immer – plötzlich wieder aufgetauchte Leo Grinthammer zu arbeiten. Zwar waren die Intendantin – die Weigel führte schon ab 1949 das Haus mit straff gespanntem Zügel – und ihr berühmter Mann, Bertolt Brecht, beide Pass-Österreicher; doch mit dem schon ein wenig abgewrackt und angestaubt wirkenden Buffo Leo Grinthammer, der da mit Vorliebe bier- und schnapsselig von lang vergangenen goldenen Zeiten an den Theatern Wiens schwadronierte, konnten sie dann doch nicht allzu viel anfangen. Kommunismus hin oder her. Und Leo kam folglich über Mini-Rollen oder gar bloß Röllchen an der Spree kaum mehr hinaus und vermerkte es schon als Glücksfall, hie und da eine Kleinigkeit beim Film machen zu können oder vielleicht, einige Zeit später, schon etwas im brandneuen Medium zu ergattern: im Fernsehen.
Nach wenig erquicklichen Jahren allgemeiner (persönlicher wie beruflicher) Stagnation starb Leo Grinthammer ziemlich frustriert in den späten 1960er Jahren nach einer langen, Behandlungs-intensiven Krebskrankheit und außerdem zuletzt in arger Alkoholabhängigkeit. (Pippa war er freilich schon früher abhanden gekommen, was indes für sie in der Zwischenzeit keinen allzu großen, keinen gravierender Verlust mehr darstellte. Nein, wirklich nicht.)
Einen müssen wir hier noch erwähnen, um so geschickt wieder zur Stiftung Dr. Mandelbaum (wie die äußerst anpassungsfähige Dorli ihr Unternehmen nun auch offiziell nannte) zurückzufinden. Nämlich den stark hinkenden Stiftungssekretär Guido Rodenstock, einen etwas fahrigen, doch ausgesprochen höflichen Randintellektuellen von etwa fünfundfünfzig Jahren. Mit seiner hohen, meist ausgiebig gerunzelten Stirn, die in eine fast gänzlich haarlose (ebenfalls gerunzelte) Platte auslief, und dem leichten Basedow-Blick aus wässrigen hellblauen Augen war Rodenstock wie geschaffen dazu, quasi auch vom Aussehen her der organisatorische Fels in der Brandung des Geschehens rund um die nun bald florierende Mandelbaum-Verehrung zu sein; der Fels im Gewässer freilich auch rund um Gesangsförderung und Wohlfahrt, die zu gleichen Teilen gepflegt wurden, und das ganze Drumherum eben. Dass er politisch unbedenklich war, prädestinierte ihn zudem nachgerade für seinen Posten.
Randintellektuell? Nun, Rodenstock, dessen Wurzeln zwar in die Sozialdemokratie wiesen, hatte als junger Mensch recht geschickt laviert und war solcherart von den Nazis weitgehend in Ruhe gelassen worden. Außerdem gab es da eine gravierende Beinverletzung aus der Kindheit, die Guido Rodenstock nunmehr vor dem Kriegseinsatz schützte. Und nachher? Da hatte er sich, geschickt wie er war, wiederum mit den Besatzern durchaus zu arrangieren gewusst. Aber: warum randintellektuell? Nun, Rodenstock verwies (nicht ohne Stolz) selbst gleich häufig wie beiläufig einerseits auf seine fundierte Bildung, stellte sie jedoch gleichzeitig fast energisch in Frage; indem er zugab, selbst Zweifel etwa an seinem musikalischen Geschmack, seinem Organisationsgeschick und überhaupt: an sich, an Rodenstock, zu hegen.
Einerseits. Zum anderen freilich wusste er sehr wohl, stets all die kleinen Vorteile, die ihm gleichsam als Bonus für seine Treue, seine Pflichterfüllung und seine Loyalität rasch schon erwuchsen, zu betonen; wenngleich er sie in einem Atemzug auch wieder als Mini-Privilegien abzutun bemüht war. Nennen wir ihn getrost einen Randintellektuellen. Denn irgendwo, an irgendeinem Rand, klaffte immer eine Lücke. Und der Wind pfiff durch unter der Plane, unter diesem ohnedies leicht brüchig scheinenden Überzug, diesem dünnen Segeltuch, als welches sich seine Bildung letztlich darstellte. Eigentlich war Rodenstock quasi eindimensional.
Denn profund war an diesem runzeligen Kerl so gut wie nichts.
Im Hin und Her zwischen Eigenlob und In-Frage-Stellung war der kuriose Bursche dergestalt ein Zerrissener. Oder eher, schlicht und ergreifend, ein Dummkopf? Wer weiß. Geschickt, immerhin, geschickt, das war Guido Rodenstock mit der Runzelglatze allemal.
Wie es seine Frau – dass es eine solche gab, war definitiv erwiesen! – mit ihm aushielt, erschien allgemein als schleierhaft. Indes: Sowohl zur Geldgeberin, finanziell Bevollmächtigten und überhaupt zur Chefin der Stiftung, zu Dorothea, der Witwe nach Dr. Felix Mandelbaum und gewesenen Frau des GESTAPO-Mannes Gustav Brunnsteiner, als auch zur künstlerisch Verantwortlichen, zur ehemaligen Soubrette Irene Plotz-Dinckelthal, der früheren Partnerin von Leo Grinthammer, Hugo Brandinger sowie Karl Prinz und ewig in ihren Intendanten Mandelbaum Verliebten, verstand es Guido Rodenstock, ein optimales Verhältnis zu halten, das von Distanziertheit und Respekt bestimmt war. Ein Verhältnis, in dem jedoch auch ein bisschen Ironie mitschwang: So ernst nahm der gelernte Buchhalter und recht gewiefte Menschenkenner nämlich seine beiden Stiftungs-Weiber auch wieder nicht … (Ernst musste er – schon wegen des Windes, der dauernd durch das Segeltuch seiner Bildung pfiff – immerhin sich selbst nehmen. Leider. Das ging nicht anders … Und hier mochten schon hin und wieder Zweifel aufkommen.) Ja, doch! In erster Linie war der Stiftungssekretär randintellektuell.
Rodenstock. Verglichen mit anderen Charakteren, die hier rund um Irene Plotz-Dinckelthal oder Irène Grelot, kurz: Pippa, und um Dr. Felix Mandelbaum, den Wiener Intendanten des Operettentheaters mit Czernowitzer Wurzeln, das spätere Nazi-Opfer, verglichen mit anderen käme ihm, dem tüchtigen Organsiator und klammheimlich gebildeten (oder auch wieder bloß massenbildungstauglichen?) Rodenstock durchaus Bedeutung zu – allerdings bloß für die Phase, in der etwas errichtet, eingerichtet und arrangiert wird; freilich nicht was den wirklich intellektuellen Unterbau (in der Basis und deren Beschaffenheit) betrifft. Da funkte stets Rodenstocks Randintellektualität dazwischen.
Gut, etwa Gustav Brunnsteiner, der inferiore Nazi-Ex des Stiftungs-Flaggschiffs Dorothea, oder Irenes gewesene Männer, Grinthammer, Brandinger und Prinz, waren, was ihren Intellekt und ihre Bildung betraf, mit Sicherheit um einiges noch unter dem Rodenstock-Level. Brave Parteisoldaten, hie wie dort, verlässliche Befehlsempfänger, Befehlsweitergeber und Befehlsvollstrecker. Im Nachhinein, weil es da leichter fällt, so zu urteilen, wohl auch Verbrecher oder zumindest Schwächlinge. Doch ziemlich hohlhirnige Gesellen, genaugenommen.
Denn die Menschensorte Rodenstock, die war da einerseits geistig längst weiter (ohne es selbst indes so ganz zu begreifen … Und weiter auch nicht in Richtung irgendeines Übermenschentums – womöglich noch im [zugegeben ohnehin eher ein wenig spielerischen] Sinn Friedrich Nietzsches.) Doch die eigene Erdenschwere hemmte anderseits Typen wie Guido Rodenstock dann erst wieder an der Entfaltung ihrer geistigen (und möglicherweise auch künstlerischen, sagen wir: kreativen) Begabungen. Fazit: Zum – zumindest ein bisschen – Genialischen fehlte es ihnen.
Ja, Rodenstock war in Wahrheit, egal, wie sehr er sich in die Stiftungssache auch hinein-knien mochte, eben nicht wirklich Kunst-, nicht tatsächlich Musik-affin.
Da machten sich wiederum nämlich zu sehr die Selbstzweifel breit, die er allerdings durch Arroganz zu verbergen trachtete. (Was im grosso modo auch vorzüglich gelang.)
Er war nun einmal – randintellektuell.
Nicht desto trotz: Die Stiftung florierte. Und Dorothea Mandelbaum schwelgte. Sie schwelgte in wahren Wolken von Charity! Dazu liebte sie das Bad in der Menge und lebte zudem (beinahe ausschließlich) nur dem Andenken ihres Felix! Es hatte schon etwas Seltsames und ein wenig Befremdendes an sich, wie da, unter allgemeinem Beifall, jemand ständig, das Sektglas erhoben, an das Leben und Streben eines längst toten Intendanten der Zwischenkriegszeit erinnerte. Und aus dieser, so intensiv gepflegten Reminiszenz (die zudem, besonders was die Nazi-Zeit betraf, ohnedies recht dezent das meiste Unangenehme [also: sehr viel!] ausklammerte), gepaart mit den zweifelsfrei tatsächlich vorhandenen sozialen Intentionen, nämlich: künstlerisch begabte Kinder aus ärmeren und bildungsfernen Schichten nach Kräften zu fördern und zu unterstützen, ließ sich tatsächlich Kapital schlagen! Ideel wie auch finanziell.
Nun hatte es Dorli gar nicht nötig, sich selbst zu bereichern. Sie ließ sich – zugegeben: großzügig – ihre Auslagen und Spesen rückerstatten, bezahlte indes ihrerseits auch durchaus ordentlich die künstlerische Leiterin, also Irene Plotz-Dinckelthal, und die rechte Hand der Stiftung, Guido Rodenstock, sowie die übrigen Angestellten, Mitarbeiter et cetera.
Somit florierte ein – zugegeben: etwa seltsames – Konstrukt.
Doch sind es nicht ohnedies oft genug just die ein wenig seltsamen, die bizarren Unternehmen (und Unternehmungen), die am meisten florieren? Oder in Flor stehen, wie sich, wenn wir uns nicht täuschen, bei Thomas Mann gern nachlesen lässt.
Für Dorothea Mandelbaum (geborene Seifberger, geschiedene Brunnsteiner, kurz: die fröhliche Witwe) ergaben sich immer wieder kleinere und größere Foren, auf denen sie brillieren konnte und weiter basteln am imposanten und üppigen Andenkenschrein des Intendanten Dr. Felix Mandelbaum. Besonders mit Aufkommen der Fernseh-Seitenblicke des Produzenten Otto Prammer fand sich für die agile ältere Dame ab 1985 ein überaus ergiebiges Feld der Selbstvermarktung; und die Damen und Herren Catherina Braunsteiner, Robert Reumann und Cie. wussten, auf die schmucke 70erin, auf Dorli mit den bläulich-weißen Haaren und den gelifteten, gerougten Wänglein, auf sie war Verlass. Immer. So verfügte sie – neben anderen Dauergästen, wie später dann Richard Lugner (mit der jeweils aktuellen, mindestens um dreißig Jahre jüngeren Gespielin [oder Gattin]) und Alfons Haider, Jeannine Schiller und Birgit Sarata bis Marika Lichter und Gerhard Ernst – stets über ihren wohlverdienten Promi-Platz inmitten der TV-Bussi-Bussi-Gesellschaft. Immerhin, auch wenn das Getue Irene Plotz-Dinckelthal ein wenig amüsierte, kam auch dabei immer wieder etwas für den guten Zweck herein. Und so sollte es noch eine Weile bleiben.
Bis zum Tod der rührigen Mandelbaum-Witwe zumindest. Und bis zum Abgang des randintellektuellen Guido Rodenstock in die wohlverdiente Pension. Und bis zur Entführung der Irène Grelot … (Nein, entführt, so richtig entführt, wurde Irene, die man in der ganzen weitverzweigten, aus Breslau stammenden Familie in ihrer Kindheit Pippa genannt hatte, ja doch nicht. Freilich, weitgehend märchenhaft war das dann schon … irgendwie …)
Der Eiserne Vorhang ist gefallen
Den Österreichern wird immer wieder vorgeworfen, im Nachhinein aus allem das Beste zu machen und ihre Rolle in der Geschichte mit einiger Wendigkeit stets schön zu färben. Auf Teufel komm ‚raus. Nun, da ist ohne Zweifel was dran … Nicht dass der Herr und die Frau Österreicher um so viel wetterwendischer wären als die Vertreter anderer Nationen und Staaten, die sich sicherlich auch gern die eigne Historie (und vor allem die Rolle, die man selbst darin verkörpern durfte) besser und größer, bedeutungsvoller also, redeten, als sie war; nein, aber die spezielle Begabung des Austriaken, hinterher alles zumindest um etliche Farbtöne günstiger darzustellen, was er zuvor ziemlich eindeutig verbockt hatte, ist schon beachtlich!
Vielleicht machte die Österreicher just der Umstand, so viele Fehlentscheidungen miterlebt und zum Teil sogar mitverantwortet zu haben, so geschickt im späteren Zurechtbiegen einer ganz eigenen historischen Wahrheit. Diese Wahrheit hatte zwar mit Authentizität nicht viel zu tun, doch rann sie in aller Regel wesentlich angenehmer durch die Gurgel und belebte Herz, Hirn und Sinn der Bewohner dieses bizarren Landes, das sich da vom Boden- bis zum Neusiedler-See erstreckt. Sie wurde so im Wortsinn – trinkbar. Genießbar.
So verstanden es etwa auch die kurz vorher noch bis in die Knochen monarchistischen Österreicher (sieht man von den eingefleischten Sozialdemokraten einmal ab), sich bald schon und mit fliegenden Fahnen auf die Seite der christlich-sozialen Austrofaschisten zu schlagen; dabei half nur all zu gern die stramm-konservative katholische Kirche, die, wenn es sein musste, sogar einen Priester für das Amt des Bundeskanzlers (Ignaz Seipel) zur Verfügung stellte. Kein Wunder, dass es in Österreich ziemlich streng nach Weihrauch roch …
Nichts desto trotz lief ein Großteil des Volkes wenige Jahrzehnte später, mit der freudig erhobener Rechten und verzückte Heil!-Schreie ausstoßend, zu Adolf Hitlers dumpfen braunen Schergen über. Wieder nicht allzu lang danach war man – wie schon früher dargetan – selbstredend immer echt österreichisch gewesen, meiner Seel‘! Ja: In Wahrheit gar das erste Opfer von Hitlers unmenschlichem, größenwahnsinnigem Weltmachtstreben! Und in gewisser Weise war sogar daran etwas Wahres, denn das war eben nun einmal österreichisch. (Da mochten noch so viele Ostmärker stramme Nazis – auch in Führungspositionen – gewesen sein …)
Man konnte nach 1945 mit den Amerikanern, die das darnieder liegende Österreich immerhin mittels ihres großzügigen Marshall-Plans in beispielhafter Weise humanitär aufpäppelten; aber auch mit den Franzosen und mit den Briten ging es sehr gut. Und man fand sogar einen Draht zu den nicht von ungefähr als schwierig verschrieenen Sowjets.
Als im Jahr 1955 (aus wohlüberlegten diplomatischen Erwägungen insbesondere der SowjetFührung) gerade Österreich mit dem Staatsvertrag beschenkt wurde, nahm man dies natürlich mit herzlichem Dank an, auch wenn die auf ewig zu erfüllende Neutralität zunächst zumindest jegliche politische Verbindung mit anderen Europäischen Staaten ausschloss. Es fanden sich in der Folge Mittel und Wege, auch dieses Hindernis geschickt zu umgehen. (Just im Umgehen und Hakenschlagen war man in Wiens Regierungskreisen immer schon geübt …) Und aus erst wirtschaftlichen Vereinbarungen und Zusagen enger bis engster Zusammenarbeit sollte schließlich doch noch die Mitgliedschaft in der Europäischen Union werden …
Doch selbst die UdSSR erlebte kontinuierliche Veränderungen. Etwas, das gerade in Moskau höchst erstaunlich gefunden wurde, weil es eigentlich absolut nicht vorgesehen gewesen war. Mit einem Mal galten die versteinerten Gestalten im Kreml nicht mehr quasi als sakrosankt. Und die neuen, die jetzt auftraten, trugen plötzlich ein bisschen mehr Farbe. Ob es überhaupt bloß Camouflage war, was sich da abspielte, oder nicht, sei dahin gestellt. Es tat sich jedenfalls etwas. Tatsächlich. Und es hatte nicht ursächlich mit Kommunismus zu tun.
Nicht dass sich ihre Ideologie a priori so besonders stark verändert hätte, doch sogar am Selbstverständnis der Russen und ihrer Satelliten-Völker, die sich im Warschauer Pakt um Moskau geschart hatten, nagte also der Zahn der Zeit. Merkbar.
Glasnost („Öffentlichkeit“) und Perestrojka („Umbau“) schließlich lauteten die Zauberworte, mit denen Michail Gorbatschow als letzter Parteihäuptling und Sowjet-Premier sein Riesenreich in eine neue Ära zu führen versprach. In eine Ära der internationalen Koexistenz nämlich. Die Zeiten des Kalten Krieges sollten solcherart beendet sein.
Und das – möglichst für immer.
Nun. Ja. Immerhin – im Jahr 1989 fiel er also tatsächlich, der Eiserne Vorhang.
Klar, dass man sich an Donau, Mur und Salzach, unterm Goldenen Dachl und rund um den Lindwurm darüber freute. So wie man mit den großteils kommunistischen Nachbarn auch vorher schon gut Freund war, so viel besser Freund würde man mit den nun offiziell nicht mehr kommunistischen Nachbarn sein können! Also änderte sich ja kaum etwas. Und Freundschaft war nun mal was Schönes; nicht nur unter Sozialisten, die den Begriff damals sogar noch freudig und der Erinnerungen voll als Grußwort im Mund führten.
Man befand sich also unter Freunden. Nur dass sich nunmehr völlig neue, bisher nie geahnte Chancen etwa für die österreichischen Banken auftaten; ging es doch darum, den neuen alten Freunden merkantilistisch entsprechend unter die Arme zu greifen. (Denn dabei konnte man ja auch am leichtesten das eine oder andere mitgehen lassen …)
Dass die österreichische Wirtschaft sowie besonders der hiesige Bankensektor bis heute noch immer zum Beispiel an den damals so freihändig (und wohl auch bedenkenlos bis hin zur völligen Hirnfreiheit) vergebenen – oftmals faulen, ja: überfaulen – Krediten in Milliardenhöhe laboriert, tut kaum etwas zur Sache; denn das zahlen ohnedies die Steuerpflichtigen.
Immerhin: Der Eiserne Vorhang fiel. Und neue Möglichkeiten schienen sich zu eröffnen.
Und wieder waren es die Österreicher, die der neuen Macht-Situation (aus ihrer geopolitischen Lage heraus durchaus verständlich) einiges Positives abzugewinnen vermochten. Immerhin hatte man längst intime Erfahrung im Umgang mit anderen Ideologien gesammelt; handelte man doch durchaus florierend mit dem weiterhin kommunistischen China, stand die Wirtschaft mit verschiedenen Diktatoren und Schreckensherrschern auf der ganzen Welt im Flor (richtig: wieder die Thomas-Mann-Reminiszenz!); kurz und gut: Wie rasch oder weniger schnell sich der Kommunismus in der Ex-Sowjetunion auch immer verflüchtigen würde, es wäre auf alle Fälle ratsam, die um West-Hilfe bettelnden, hoffnungsvoll entgegen-gestreckten Hände zu ergreifen, zu drücken und am besten nicht mehr loszulassen!
Zudem ergaben sich nunmehr viele zusätzliche Gelegenheiten, das Sprichwort zur Maxime zu machen: Manus manum lavat. (Wie schon Seneca so richtig festgestellt hatte.)
Der Österreicher ist eben ein gemütvoller, aber auch ein gemütlicher Mensch. Und vor allem: einer, der mit allen in Frieden leben möchte. Ein gutes Essen, ein fesches Glaserl Wein … A bisserl a Musi (am besten vom Strauß-Schani oder den Schrammel-Brüdern) … Und schon sind alle Missverständnisse beseitigt und alle Missdeutungen ausgeräumt.
Alle Menschen werden Brüder (und Schwestern, selbstverständlich)!
So war es, so ist es, so wird’s immer sein!
Ja, aber – in Russland? In der ehemaligen Sowjetunion? Was ist da?!
Als der 1891 in Kiew geborene Michail Afanassjewitsch Bulgakow 1940 in Moskau starb, war schon zehn Jahre nichts mehr von im in der Sowjetunion selbst veröffentlicht worden. Unter Stalin und seinen Nachfolgern hatten bekanntlich weder die Intellektuellen noch die Künstler aller Sparten viel zu lachen. Nicht so sehr, weil sich Kunst und Wissenschaft etwa nicht auf der Agenda der Mächtigen gefunden hätten, nein!, sondern, weil die eben eine andere Kunst und Wissenschaft bevorzugten (und somit überhaupt zuließen), als eine solche, die einigermaßen liberalen Köpfen und in Freiheit brennenden Herzen entspringen mochte.
Der Sozialistische Realismus gilt immer noch als trauriger Beweis staatlich gelenkter Kunst. Die Parallele zur verbotenen beziehungsweise zur erlaubten und forcierten Kunst in Hitler-Deutschland ist unübersehbar. (Die Musik und die Literatur unterlagen ebenfalls penibler Kontrolle von staatlicher Seite, was ihre Qualität nicht unbedingt stärkte …)
Nun ist zum Exempel Bulgalows Roman „Meister und Margarita“ ohne jede Frage nicht systemkonform. Doch hätte ein in sich gesicherter Staat das mitunter freche Wort eines Dichters von Rang – bei aller durchaus treffenden Ironie – eigentlich nicht zu fürchten brauchen.
Und doch fürchtete er. Und seine Furcht ließ er den Schriftsteller spüren.
Wie gut also, dass fünf Jahrzehnte nach Bulgakows Tod ein Umschwung stattfand! Oder?!
Mit dem Umschwung kam – freilich längst nicht für alle Bürgerinnen und Bürger, doch immerhin für einige wenige – auch in der ehemaligen Sowjet-Union der Aufschwung. Einer, der ihn zu nützen wusste (und hier verlassen wir den genialen Michail Bulgakow auch schon wieder), war Dmitri Alexseij Solochow. Der ehemalige KGB-Mann, Jahrgang 1940 (sic!), war eine Zeit lang ein direkter Vorgesetzte des damals blutjungen Wladimir Wladimirowitsch Putin gewesen. Putin, Jahrgang 1952, wie der ältere Kollege in Leningrad, das später bald wieder werbewirksamer in St. Petersburg zurück-benannt werden sollte, geboren, stammte aus einfachsten sozialen Verhältnissen. Vater Wladimir Spiridonowitsch war im Kampf gegen die Nazis lebensgefährlich verletzt worden und invalide; die Mutter Maria Iwanowa, eine gläubige orthodoxe Christin, hatte zwei ihrer drei Kinder verloren und ließ den kleinen Wladimir taufen. Man wohnte in einer sogenannten Kommunalka, einer Gemeinschaftswohnung, und musste sich Küche und Bad mit anderen Mietern teilen.
Dennoch stand Putin am Beginn einer später in der Tat berauschenden Karriere; und Solochow senior erlebte das hautnah mit: in der gemeinsamen Zeit beim Geheimdienst, in den der strebsame Musterschüler Putin anno 1975 aufgenommen worden war. (Auch wenn er sich später ganz gern seiner wilden Jugendzeit als gefürchteter Schläger entsinnen würde.)
Immerhin, im Dezember 1989 in Dresden, ohne Befehl von Moskau (und von der nahegelegenen russischen Armee-Garnison im Stich gelassen) und auf sich selbst gestellt, zieht Putin als kommandierender KGB-Offizier angesichts der heranrückenden, DDR-müden Demonstranten die Dienstwaffe; so kann er die Feinde des Kommunismus einmal noch in die Flucht schlagen. Dann muss er sich – zumindest offiziell – selbst von ihm lossagen …
In den späten 1990er Jahren erinnerte Solochow den Untergebenen von früher, sozusagen von St. Petersburger zu St. Petersburger und von Geheimdienstmann zu Geheimdienstmann, dann an die gemeinsamen KGB-Zeiten. Mit spürbarem Erfolg; wollte der überaus vorsichtige Putin doch unbedingt seine verhältnismäßig junge Hausmacht stärken. Da konnten verlässliche Typen aus der Geheimdienst-Seilschaft nur von Vorteil sein. (Hier sollte der Vorteil übrigens in der Folge auf beiden Seiten liegen …)
Das war in der Zeit, als sich Wladimir Putin, noch im zittrigen Schatten des alkoholkranken und international kaum besonders grandios wahrgenommenen Boris Jelzin, kontinuierlich der Macht im neuen Staat, dieser durchaus UdSSR-konform ein- und ausgerichteten Russischen Föderation, zu nähern begann. Mit Zähigkeit, Ausdauer, Ambition und Härte. Und immer darauf aus, möglichst bald schon an die Spitze der Riesennation zu gelangen. Vielleicht sogar mit einigem Sendungsbewusstsein und so sogar etwas wie mit der Überzeugung, auserwählt zu sein? Jedenfalls wohl nicht wesentlich anders als die selbstherrlichen Herrscher und sakrosankten Feudalherren, verblendeten Diktatoren und allenthalben angebeteten Gottkönige seit Anbeginn der Zeiten. (Alles wiederholt sich …)
Anno 1996, frustriert von den chaotischen Zuständen der parlamenarischen Demokratie auf Stadtebene, verließ Putin St. Petersburg in Richtung Moskau und Kreml-Administration, wobei ihm der spätere Todfeind, der Oligarch Boris Beresowsky, geholfen haben dürfte. Im Mai1998 wurde er Vize-Stabschef des Präsidenten, im Juli Chef der GKB-Nachfolgeorganisation FSB und im August schließlich (für ein halbes Jahr) Premierminister. Schon der Jahreswechsel 1999/2000 brachte die Ernennung zum Präsidenten der Republik Russland. Etappen auf dem – wie es schien – unaufhaltsamen Weg zur Omnipotenz.
Putin, der skrupellose Machtpolitiker; Putin, der stock-konservative Nationalist; Putin, der mittels antidemokratischer Repression und Macho-Gehabe stur seinen Weg beschritt.
Klar, dass er sich noch lebhaft des langjährigen Weggefährten Dmitri Alexseji Solochow erinnerte. Und aus Erinnerung ward alsbald angewandte Hilfe – für Solochow junior.
Taufe und Salbung und Vorhersehung. Ja. Einst (und sogar weit ins 20. Jahrhundert hinein) von einem fernen Gott vorherbestimmt, von einem folglich gesalbten und apostolischen Herrscher, dessen Position man sich als eine erheblich näher am himmlischen Machtzentrum gelegene zu denken hatte, als es die normal-sterblichen Tröpfe – der Pöbel und das blöde Volk, ja, sogar der Adel und der Klerus – je zu sein schaffen würden; in diversen eher weltlich (atheistisch vielleicht sogar) orientierten Systemen dann durch die Partei, diese alles regelnde Übermutter, fugenlos ersetzt. Hauptsache, man konnte sich einen edelmetallenen Gral zusammendrehen, auch wenn sein Bauplan ausgebrütet war noch von Genossen à la Karl Marx, Friedrich Engels, Mao Tsedong oder von einem anderen Geistesgnom mit riesigem Schattenwurf, ausgebrütet im Fall Russland allemal indes aus einem übergroßen Fabergé-Ei …
Kurz: im Graubereich zwischen Realpolitik und Größenwahn pendelnd, zog der neue starke Mann Russlands bald schon routiniert an den Fäden der Macht; wie spielerisch (freilich voller Spannkraft und Energie, wie sie zu dem drahtigen Sportsmann passten) seine Umgebung zu einem Arsenal von Marionetten degradierend. Zu willenlosen, wenn auch nach dem Bonus der Herrschernähe gierenden Bluthunden, zu durchtriebenen Speichelleckern und dennoch devot des Moments ihrer nächsten Karrieresprünge harrenden Opportunisten …
Und je mehr Ärger Putin der EU und den USA machte, je weniger er sich um Menschenrechte im Inneren und um Völkerrechte im Äußeren (wie bei der Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim im Frühjahr 2014 ) scherte, umso stärker schien die Verehrung zu sein, die er vom russischen Volk her genießen durfte. Es zeigte sich einmal mehr (sogar Niccolò Machiavelli hätte seine Freude daran gehabt!), wie nützlich für einen diktatorisch ausgerichteten Herrscher ein Volk ist, das als mehrheitlich kaum politisch gebildet und daher weitgehend unkritisch bezeichnet werden muss … Zudem ständig unterdrückt und in Zaum gehalten …
Überaus bezeichnend dafür, wie Wladimir Putin tickt, scheint dabei seine gern zitierte Äußerung zu sein, der Zerfall der Sowjetunion stelle für ihn „die größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts dar“.
Auch wenn es das alles schon ähnlich gegeben hatte – unter Peter dem Großen oder Ivan dem Schrecklichen oder unter der großen Katharina -, dieser Wladimir Putin schien auch in der Wahl seiner engsten Vertrauten von untrüglichem Geruchssinn geleitet zu sein. Ob ihm seine Vasallen nun aus ehrlicher Zuneigung oder aus Furcht, aus Karrieregeilheit oder purer Berechnung folgten, egal – sie standen auf der einzigen Seite, wo zu stehen es sich in Russland fortan lohnte: auf der seinen.
Doch hing seine Karriere zweifelsohne auch mit dem gebremsten Charme des hochgebildeten, international denkenden Machtmenschen zusammen, der sich ohne weiters und ohne zu schwächeln – geschweige denn: zu straucheln – a priori sogar auf dem globalen Parkett der Hochdiplomatie weitestgehend pannenfrei zu bewegen wusste. Egal, ob die Gegenspieler NATO, EU oder USA, ob sie Angela Merkel oder Barack Obama hießen.
Wenn einer, dann hatte am ehesten noch Michael Gorbatschow international so zu glänzen vermocht. Die anderen aus der Reihe der mächtigen Männer der Partei und des Zentralkomitees, einschließlich des immerhin recht quirligen Nikita Sergejewitsch Chruschtschow oder des reichlich sklerotisch wirkenden Leonid Iljitsch Breschnew, verblassten da im Gedächtnis zu letztlich altbackenen Nebelfiguren … Und Putin war geschickt, wie es auch der durchaus geniale Coup deutlich machte, mal als Vorsitzender der Regierung (1999), mal als Staatspräsident (ab 2000), mal als Premierminister (von 2008 bis 2012), dann wieder als gewählter Präsident aufzutreten, jedoch stets die erste politische Geige in Russland zu spielen. Und dabei auch noch weitgehend gesetzeskonform zu agieren …
Daneben begann er, ohne jede Rücksicht auf etwaige Völkerrechtsverletzungen, den Aufstand der Tschetschenen blutig niederzuringen und befleißigte sich in dieser Mission einer geschickten, einer schier rosstäuscherischen Vorgangsweise, auf die er später dann, nämlich im Jahr 2014, bei der Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim, erneut zurückgreifen würde – und die schließlich in die Destabilisierung der ganzen Ukraine mündete: Sich durchaus seiner Erfahrungen aus Geheimdienstzeiten bedienend, setzte er geschickt auf die guten alten Methoden wie Spitzelwesen, paramilitärische Techniken und Terroraktionen, deren Drahtzieher sich dadurch auszeichnen, stets schwer bis gar nicht auszumachen zu sein.
Besonders die Ukraine mit ihrer – leider ebenfalls eher fragwürdigen – Annäherungspolitik an die Europäische Union unter der glücklosen Ex-Ministerpräsidentin Julija Timoschenko und dem wenig ersprießlichen Zickzackkurs ihres Nachfolgers als Staatspräsident, des an sich Russland-treuen, in erster Linie jedoch korrupten Wiktor Janukowytsch, bot ihm eine optimale Angriffsfläche. Das Land lag ökonomisch auf dem Boden, Korruption und Misswirtschaft florierten; und als Ort der Gas- und Treibstoffweiterleitung war die Ukraine von Russland voll abhängig. Außerdem bot sich der relativ hohe russischsprachige Anteil in der Bevölkerung im Süd- und Ostteil des Landes gleichsam als Faustpfand an. (Noch dazu verhielten sich die Herren in Kiew der Bevölkerung in den betreffenden Provinzen gegenüber wenig freundlich; wie es bei den Janukowytsch-kritischen Kräften in Kiew, auch nachdem sie den verhassten Putin-Getreuen in die Wüste geschickte hatten, immer noch an Fingerspitzengefühl Minderheiten gegenüber durchwegs mangelte …)
Außerdem: Was konnte denn, bitte sehr, Wladimir Putin auch schon groß dafür, dass damals, anno 1954, Nikita Chruschtschow, der gleich unberechenbare wie fintenreiche Kremlchef, die Krim den Russen weggenommen und an das kommunistische Brudervolk der Ukrainer quasi verschenkt hatte?! Aber, nochmals: bitte sehr, solche historische Irrtümer ließen sich schließlich mit ein bisschen Gespür (und entsprechender, nämlich militärischer Drohgebärde) beinahe spielend korrigieren …
Dass in Kiew nach der Absetzung Janukowytschs zudem eine recht ratlos wirkende Truppe von Polit-Amateuren rund um den ehemaligen Banker Arsenij Jazenjuk am Ruder war, deren Verve sich in der Entmachtung des schwachen Vorgängers auch schon wieder erschöpft hatte, spielte dem gewieften Strategen Putin überdies in die Hände. Denn der Schokoladen- und Zuckerlmilliardär Petro Poroschenko als (immerhin gewählter) Präsident würde wohl in der Tat auch kein allzu gewichtiger Gegner sein.
Nein, Kompetenz blieb in der Ukraine (weiterhin) ein Fremdwort.
Ja, dieser Putin verfügte von Beginn seiner Kreml-Karriere an über enormes politisches Talent, über die nötige Schlauheit und ein entsprechendes Maß an praktischer Vernunft – aber auch über die brutale Härte des konsequenten Drüberfahrens. Und gesteigerte Intellektualität war damals international ohnedies hüben wie drüben wenig bis gar nicht gefragt; zumindest stellte sie kein Kern-Kriterium dar. (Man musste in puncto Intelligenz ja nicht gleich so grenzwertig sein, wie es etwa der frühere US-Präsident George W. Bush, der glücklose Vorgänger vom auch nicht viel glücklicher agierenden Barack Obama, demonstriert hatte.)
Übrigens: Putin degradierte nebenher gekonnt seinen braven, ihm treu ergebenen Kopiloten Dmitri Medwedew als Premier und den Langzeit-Außenminister Sergei Lawrow zu – immerhin einigermaßen fein herausgeputzen – Edelkomparsen …
O ja, Wladimir Wladimorowitsch Putin war, wenn schon nicht mit allen Salben geölt, so immerhin mit allen Wassern gewaschen. Die wenig glorreichen Vereinigten Staaten von Amerika unter einem (auch in seiner zweiten Amtszeit ziemlich) lendenlahmen Präsidenten Barack Obama und die weitestgehend uneinigen und vorwiegend richtungslosen Staaten der Europäischen Union vermochten ihm längst schon nicht mehr, auch nur ansatzweise Paroli zu bieten.
Zudem vermittelte die EU wieder einmal glaubhaft, in einem Dauerrichtungsstreit gefangen zu sein. Und in einem Riesen-Dilemma war sie zudem: Sollte sich die nach wie vor allzu fragile Gemeinschaft tatsächlich immer stärker kuschend (zumindest beinahe widerspruchslos) unter das gestrenge Zepter einer deutschen Kanzlerin Angela Merkel, dieser in DDR-Zeiten zur Physikerin ausgebildeten und nach der Wende vom sogenannten Wiedervereinigungskanzler Helmut Kohl zur logischen Nachfolgerin aufgebauten Macht-Ikone, begeben oder doch besser nicht?! Manche Politiker aus Großbritannien, diesem a priori Europa-skeptischen Mitglied der Union, und aus Frankreich, das sich durch Jahrhunderte überhaupt in der Rolle des Erzfeindes Deutschlands zu sehen gewohnt war, mochte bei der Beurteilung von Merkels Dominanz womöglich auch einiges irritieren: etwa die recht knappe Frist, die kurze Zeit nämlich, seit Adolf Hitlers Aufstieg zur Macht; der Verbrecherstaat Deutschland (mit Judenverfolgung und -vernichtung in bisher ungeahntem Stil und anderen fürchterlichen Unmenschlichkeiten); der Verlauf des Zweiten Weltkriegs; die mühsame Neuordnung nach 1945 …
Als hilfreich für Hardliner Putin und seine engsten Berater erwies sich allemal die – wie schon kurz erwähnt – ziemlich konturlose, merkbar unsichere und anscheinend weitgehend inkompetente neue Führung in Kiew, die (rechtlich zudem auch nicht einwandfrei) den Moskau-treuen Staatspräsidenten Wiktor Janukowytsch, einen Vasallen Putins schlechthin, ausgeschaltet, abgesetzt und quasi in die Flucht getrieben hatte.
Und als hilfreich zeigte sich freilich für den Machtmenschen Putin besonders die zaudernde, uneindeutige Haltung des Westens. Die EU-Staaten nämlich erwiesen sich als bis zur totalen Fesselung verheddert in den Netzen diverser Wirtschaftsübereinkünfte mit Russland. Ihr Vorgehen (oder besser: Nicht-Vorgehen) wurde folgerichtig weitestgehend dominiert von Finanz-Interessen. Speziell schienen sie geknebelt durch Abhängigkeiten auf dem Sektor des russischen Erdgases. Die Folge war ein Sanktionen-Eiertanz der Sonderklasse.
Solcherart bot die EU in den ersten Jahrzehnten dieses an sich schon recht ominösen 21. Jahrhunderts ein schier jämmerliches Bild der Schwäche. Sie wurde zudem ständig vorgeführt vom Kreml und seinem glitzernden Zirkusdirektor – wie ein dummer August in der Manege!
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Die Zeit des jungen Solochow war freilich schon gekommen, als Putin, damals fast auf dem Zenit der Macht angelangt (freilich parallel dazu in kaum verhohlener, paranoider Furcht vor diffusen oppositionellen Kräften), mit harter Hand die Medien gleichzuschalten begann und ohne jegliche Hemmungen Hatz auf nicht genehme Politiker sowie auf aufmüpfige Journalistinnen und andere Medienmenschen, auf widerborstige Künstler, kontroverse Wissenschaftler und Philosophen machte. Mit dem untrüglichen Gespür des Ex-KGB-Mannes für den (Angst-)Schweiß der Abweichler und Individualisten …
Später würde der Staatschef dann unter anderem sogar mit aller Härte gegen die rebellische Damen-Pop-Band Pussy Riots vorgehen und den durchaus abwegigen (weil sinnlosen) Kampf gegen Homosexuelle und Lesben aufnehmen. Ach ja, und in der mehr oder weniger aus Schlamm und Ödnis heraus-gebudelten Provinzstadt Sotschi am Schwarzen Meer sollte dem Oberrussen die Sportwelt bei ins Gigantomanische hochgefahrenen Olympischen Spielen nach allen Regeln der Kunst huldigen – was dann, anno 2014, auch, nicht zuletzt ermöglicht durch die Rückgratlosigkeit der meisten westlichen Politiker und die formvollendete Arschkriecherei diverser West-Konzerne aus wirtschaftlichen Gründen, weitestgehend und durchwegs optimal funktionierte!
Kurz: Solochow senior musste den ehemaligen Untergebenen längst nicht mehr an die glorreichen gemeinsamen KGB-Zeiten erinnern, ging es um das Fortkommen des strebsamen Sergei (wie damals, als er Ende der 1990er Jahre dem Freund seinen kleinen Sohn vorgestellt hatte). Nein, was der 1978 geborene Jungspund da schon so alles gemacht hatte, gefiel dem neuen Zarenverschnitt inzwischen schon und auch weiterhin sehr.
Außerdem verfügten Putin und seine – damalige – Frau Ljudmila ja auch über zwei Töchter, nämlich über Marija und Jekaterina. Also war großes Verständnis vorhanden, galt es, den Jungen eine Chance zu geben. Und der Sohn des verdienten alten Freundes hatte sich zudem und seiner Jugend zum Trotz schon als verlässliche Stütze des Managements in der Wirtschaft (die stets ein sensibles Gebiet war …) und ganz im Sinn der russischen Regierung erwiesen.
Putins Auge ruhte denn auch mit Wohlgefallen auf dem jungen smarten Mann.
Sergei Solochows rascher Aufstieg zum Oligarchen war also nicht ungeplant – und wohl auch alles andere als ein Wunder. An Wunder glaubte man im Haus Solochow ohnehin seit Generationen nicht mehr, und ungeplant galt ebenfalls gleichsam als Fremdwort.
Immerhin hatte es Vater Dmitris Onkel Wenedikt A. Solochow zur Position eines der engsten Mitarbeiter des genialen Michail Timofejewitsch Kalaschnikow (1919 – 2013) bei der Entwicklung der weltweit vermutlich populärsten Feuerwaffe (seit Karl Mays literarischen drei Spezial-Schießeisen: Silberbüchse, Bärentöter und Henry-Stutzen) gebracht. Von diesem famosen automatischen Gewehr mit den Nummer AK-47 soll es weltweit über 100 Millionen Exemplare gegeben haben beziehungsweise noch geben … Und schon Onkel Wenedikt Solochow hatte sich beim Vermarkten seiner als Ko-Erfinder erworbenen Fähigkeiten wesentlich besser angestellt als der ein wenig weltfremde, technisch nichts desto weniger enorm innovative Namensgeber des in aller Regel so funktionstüchtigen und todbringenden Kult-Geräts. Kalaschnikow stieg nämlich finanziell vergleichsweise dürr aus bei der Verteilung des gigantischen Patent-Kuchens. Freilich – die Ehre, der Todesbringerin seinen Namen gegeben zu haben, konnte (und wollte) man dem Waffenkonstrukteur und Generalleutnant nicht nehmen.
Doch schon zuvor hatte ein Solochow mitgemischt – wenn auch nicht gerade auf besonders rühmliche Weise, nein, ganz im Gegenteil – und solcherart geschickt abgehoben im Kartenspiel der Geschichte: Dmitri Alekseij Solochows Urgroßonkel, einer der Bolschewiki der ersten Stunde, gehörte dem unmenschlichen Kommando an, das in der Nacht vom 16. auf den 17. Juli 1918 den letzten Romanow-Zaren und seine Familie liquidierte. Eine schaurige Tat war es ohne Zweifel, dort bei den vier hohen Bäumen von Koptiaki, wo die wilde, blutrünstige Soldateska die Wehrlosen niedermetzelte: den Zaren Nikolaus, seine Frau Aleksandra Fjodorowna – zuvor als Alice Viktoria hessische Prinzessin und Enkelin der englischen Langzeit-Königin Victoria – sowie ihre gemeinsamen Kinder Olga, Tatjana, Maria, Anastasia und den an der Bluterkrankheit leidenden Zarewitsch Alekseij.
Ja, wo die vier hohen Brüder stehn, / musste sie Sippe zugrunde gehen …, wie es in einer Art Moritat aus der Zeit des unrühmlichen, blutigen Geschehens heißt, die sich mit dem meuchelmörderischen Ende der Dynastie der Romanows beschäftigt, die immerhin von 1613 bis 1917 mal ganz brutal, mal gemäßigt das Reich aller Russen beherrschte und zumeist ohne viel Federlesens, mindestens jedoch mit eiserner Hand regierte.
Das Putin-Liebkind Sergei Solochow sonnte sich denn also in der ungebrochenen Zuneigung des ansonsten eher unberechenbaren Machtmenschen, studierte weiter brav die Betriebswirtschaftslehre und erlernte immer neue Tricks des gehobenen globalen Managements. Schließlich (und mit des Oberrussen huldvoller Unterstützung), immer noch in sehr jungen Jahren, schon im durchaus lohnenden Erdgasgeschäft an ziemlich hoher Stelle tätig, begann auch der aufstrebende Oligarch Sergei D. Solochow alsbald und ausgestattet mit dem Gespür des windigen Geschäftemachers und des Tatmenschen par excellence, der, wenn es drauf ankam, schon mal über Leichen ging, weiter über den engen russischen Tellerrand hinauszublicken. Rasch fand er heraus, wo es lohnend schien, sich etwas zu krallen; und er kam außerdem schnell drauf, wie man sich Freunde in den hohen, höheren und allerhöchsten Kreisen machte.
Zudem agierte der junge Sergei überaus vorsichtig. Zwar soff auch er brav, doch überlegte er sich zuvor: mit wem. Zwar langte er wie alle die anderen Söhne aus rasch reich gewordenem Haus in die sich nunmehr überall bietenden vollen Schüsseln, doch gab er dabei immer wieder etwas an andere ab, die ihm vielleicht in Zukunft einmal nützlich sein könnten.
Ja, doch: Sergei wusste über das Wechselvolle im menschlichen Leben von seinem Vater, dessen Onkel und auch von den Großeltern von beiden Seiten her bestens Bescheid. Auch darüber, dass man zwar die Gunst der Stunde nützen sollte, dabei jedoch immer daran zu denken habe, dass nichts ewig währte und es in diesem Leben für nichts eine Garantie gäbe.
Seine Ahnen hatten noch an den ewigen lieben Gott und den jeweiligen Zaren geglaubt. In der Folge dann bedeuteten der Familie Solochow und auch ihren Verwandten außerhalb von St. Petersburg, das zwischendurch in Leningrad umbenannt worden war und nach dem Ende der UdSSR wieder St. Petersburg hieß, naturgemäß die Herren Lenin und Trotzki, die Bolschewiki und der Kommunismus, später Stalin, dann Chruschtschow und Breschnew viel bis alles. Sogar mit Gorbatschow wusste man sich zu arrangieren, wenn sich auch – zumal Vater Dimitri, als alter Haudegen des KGB und darin ähnlich seinem ehemaligen Kollegen, dem späteren großen Präsidenten Wladimir Putin – nicht so leicht damit tat.
Nein, auf Glasnost und Perestroika reagierte der alte Solochow zunächst wie der sagenhafte Teufel aufs Weihwasser … Und auch auf Wladimir Wladimirowitsch Putin hatte, wir erwähnten das schon, das Ende der Sowjetunion ja wie ein Trauma gewirkt. Geschichtsbilder schienen da im jungen Karrieristen einzustürzen, wahre historische Panoramen! Doch was ein gestandener Volkstribun ist, ausgestattet mit dem Erfahrungsschatz des gewieften Geheimdienstoffiziers und angereichert schon mit dem Cäsarenwahn eines späteren vorgeblichen Weltenlenkers, sollte es dieser Phönix mit Verve – quasi: aus der Asche der kommunistischen Götterdämmerung – sukzessive an die Spitze der Russischen Föderation schaffen.
In Sergeis Karriere kam diesen Vorbehalten zwar kaum mehr größere Bedeutung zu; zudem verhalf ihm das in Massen erworbene Geld alsbald zu einem weitaus freieren Blick in politisch-wirtschaftlicher Hinsicht. Er merkte außerdem, dass – ganz anders, als es zuvor in der Vita seines Vaters Dimitri der Fall gewesen war – nunmehr weniger die Politik die Wirtschaft, als vielmehr die Wirtschaft die Politik vor sich hertrieb; bis die beiden Machtfaktoren, und das ging in Russland schnell, ohnedies schier identisch zu sein schienen …
Mit seiner pompösen Eheschließung – Sergei verband sich, nicht zuletzt, weil es ihm opportun vorkam, mit Olga, der jüngeren Schwester des befreundeten Oligarchen Aleksander Iljitsch Plestinow – gelang ihm ein weiterer Schritt nach vorne und nach oben; und sogar mit der Scheidung, nachdem sich Olgas Vater, der alte Plestinow also, als Putin-Konkurrent eindeutig verspekuliert hatte, bewies der junge Solochow einiges politisches Gespür. So vermochte er, sich die Gunst des eitlen postkommunistischen Zaren und stringenten Ex-KGB-Mannes an der ersten Stelle im Staat auch weiterhin zu bewahren. (Auch wenn der brüske Schritt seiner Ex gar nicht einleuchten mochte. Doch, im Umgang mit den neuen Eliten erfahren, konnte Olga Sergeis Vorgangsweise bald schon sogar irgendwie nachvollziehen.)
Wladimir Putin gab für den jungen Solochow in der Tat mehr als bloß ein passables Vorbild ab: Er war die Identifikationsfigur schlechthin, die idealste Folie, die man sich nur hätte wünschen können! Verstand es der zielstrebige KGB-Offizier (der, wie schon kurz angesprochen, unter anderem zwischen 1985 und 1990 in der damaligen Deutschen Demokratischen Republik, genauer: in Dresden, gewirkt hatte), doch, a priori geschickt vorzugehen; indem er erst in der Administration von St. Petersburg, dann rasch und dank der Protektion durch seine Förderer: erst durch St. Petersburgs ersten freigewählten Bürgermeister Anatoly Sobchak, dessen Assistent Putin wird, dann sogar durch Boris Jelzin, der selbst inzwischen zum veritablen Alleinherrscher des Kreml aufgestiegen war, weiterhin zielstrebig vorwärts zu streben.
Welch Anreiz für den ebenso schnell und mit Schwung, wenn auch ein paar Stufen weiter unten, die Karriereleiter erklimmenden Sergei! Auch wenn ihm – wer weiß, ob es so nicht ohnedies besser war? – keineswegs der Sinn nach der Politik und einem dortigen Mitmischen seinerseits stand. Das kam ihm, und sein Instinkt täuschte ihn dabei nicht, denn doch als ein zu unsicheres Terrain vor … Was sollte man sich auch womöglich noch für das schmutzige Gesindel einsetzen, das nun einmal unweigerlich zum Geschäft dazugehörte, ging es um angeblich so wichtige Partei- und (noch verworrener:) Gesinnungsfragen, und sich mit irgendwelchen Konkurrenten herumschlagen? Für oder gegen Krethi und Plethi sein, für oder gegen Dummköpfe und Verlierertypen, die nichts hatten, aber vieles wollten; vor allem, die der herrschenden und besitzenden Schicht in Permanenz gefährlich werden konnten, weil sie insgeheim wünschten, so zu werden, wie man selbst schon war? Und überhaupt: Was gingen ihn die Probleme der dreckigen Plebs an? Nichts! Er gehörte zur Elite. (Und in dieser Position musste er erst gar nicht darüber spekulieren, wie mies die in Wahrheit war …)
Sergei war ein gelehriger Schüler gewesen. Rasch hatte er überrissen, dass es nicht nur wichtig sei, sich Freunde zu machen, sondern dass man im Vorwärtsstreben auch ausgesuchte Feinde brauchte. Ja, doch: Feinde waren einfach notwendig; und wenn schon für sonst nichts, dann dafür, sich mit anderen gegen sie zu verbünden. Egal, ob aus rassischen – oder rassistischen – Gründen, aus religiösen Vorwänden heraus (in Wahrheit schiss sich der strebsame Oligarch diesbezüglich freilich nichts, und die kuriose orthodoxe Priesterschar war ihm höchst suspekt in ihrem konservativen, ja weitgehend rückwärts-gerichteten Ikonen-Traditionalismus) oder, weil es eben opportun und sexy schien, man brauchte nun einmal Prügelknaben und Feindbilder. Und der Fundus war – übrigens: weltweit – überbordend voll davon; da wimmelte es von Juden, Negern und Zigeunern, Homosexuellen, Lesben und Künstlern, Querdenkern und Vegetariern, dass es eine Freude war.
Übrigens taten sich diesbezüglich und angesichts des reichhaltigen Reservoirs auch die westlichen Kollegen leicht, egal ob bloß die Superreichen oder die Politiker.
Gingen einem erst einmal die Feinde aus, dann würde es freilich eng werden! Doch glücklicherweise wuchsen auch sie quasi nach … So hatte etwa der dümmliche US-Präsident George W. Bush zur rechten Zeit seinen Osama bin Laden zur Hand, und für Italiens halbseidenen Regierungschef Silvio Berlusconi gab die weitestgehend schwache Justiz die längste Zeit hindurch ein äußerst passables Feindbild ab, ging es um seine verschleierten Steuer-Skandale oder um seine weniger verschleierten Affären mit minderjährigen Huren.
Die USA setzten sich zwar gegenüber ihren angeblichen Verbündeten, den europäischen Partnerstaaten also, mit den im Jahr 2013 vom Wistleblower Edward Snowden ausgeplauderten und schier grenzenlosen Bespitzelungsschweinereien ihrer National Security Agency gehörig in die Nesseln; ihre (in der Regel nicht weniger menschenverachtende) Taktik, angewandt etwa im Fall Syriens mit dem dortigen sogenannten Staatspräsidenten, nämlich dem Tyrannen Barschar al-Asad, oder Jahre zuvor schon in Afghanistan oder – besonders skurril – im Irak des nicht minder vertrottelten Saddam Hussein, diese Taktik machte sie, wiederum und erneut halbwegs reingewaschen, zum wenn auch ramponierten, so doch immerhin respektierten großen Bruder Angela Merkels, Francois Hollandes, David Cameron und der übrigen, euphemistisch Köpfe genannten Anführer der brustschwachen Europäischen Union. In der Tat – alles Anführer, die ihre Völker die meiste Zeit an der Nase herum führten …
Ach ja: Feinde haben zudem was Belebendes an sich. Besonders, wenn man sie final liquidieren kann.
Auch wenn Putin später immer wieder international um Anerkennung buhlte, scherte es ihn in der Tat letzten Endes wenig, sollte die ihm dann doch verwehrt bleiben. Lieber gefürchtet, aber stark, als beliebt, aber schwach, so schien das unausgesprochene Motto des gleich wendigen wie egozentrischen Machtmenschen aus St. Petersburg zu lauten. Und wie das Vorbild, von selbstherrlicher Großmannssucht geleitet, würde auch Sergei bald schon bereit sein, über jegliche Schranken des Rechts hinwegzusehen – und über potenzielle Feinde hinwegzugehen. (Wenn es sein musste freilich auch über Freunde …)
Nur die Bilanzen hatten zuletzt zu stimmen, die Konten sollten vor Nullen hinterm Komma nur so glitzern, die Milliarden mussten jederzeit parat stehen, wenn man sie brauchte. (Und sei es, um möglichst weit außer Landes gelangen und untertauchen zu können …)
Ja, Sergei, der gelehrige Sprössling des früheren Putin-Vorgesetzten Dimitri Alekseij Solochow, der schlaue, alerte und smarte Sergei, der sich da innerhalb kürzester Zeit in der Nähe des Kreml-Beherrschers und Weltpolitikers so behaglich und angenehm zu etablieren gewusst hatte, verstand es in der Folge auch als angepasster Vasall sowie als erfolgreicher, international tätiger Manager und begabter Global Player auf geradezu optimale Weise, sein höchsteigenes Finanz-Süppchen zu kochen. Nicht zuletzt, indem er anderen das ihre versalzte. Und der Rubel wie auch der Dollar und der Euro rollten.
Ja, Sergei war geschickt. Dazu meist eher unsentimental. Aalglatt, wenn es sein musste. Und weitestgehend auf seinen Vorteil und – überaus wichtig! – auf die eigene Sicherheit aus.
Doch da warf ihn ein Ereignis von gleich lapidarer wie überraschender Wucht aus der so ganz kapitalistischen, auf Finanz-Glanz fokussierten und bloß jeglichen Geldwert anbetenden Lebensspur: Knapp hintereinander starben ihm seine beiden wirklich heiß geliebten Großmütter weg. Sowohl die Mutter seiner Mutter, die liebenswerte alte Jekaterina, als auch die des Vaters, die nicht minder alte, anbetungswürdige Anna, wurden dem anhänglichen Enkel innerhalb nur eines Monats genommen. Und der damals gerade mal 30jährige war sozusagen auf den Tod unglücklich über diese zwei Schicksalsschläge, hatte er doch nun keine Babuschka mehr! O ja, sein Gemüt wurde düster. Es verfinsterte sich geradezu. Und das – weit über das Maß hinaus, das (laut gängigem Klischee) bei einem gestandenen Russen ohnedies als anlagebedingt zu akzeptieren ist …
In dieser dunklen Phase vernahm (auf welchen verschlungenen Wegen und auf welche kuriose Weise auch immer) Sergei, der – wie wir anmerken zu sollen glauben – über ein im Grunde gutes Herz und ein warm fühlendes Gemüt verfügte, vom segensreichen Wirken der ihm freilich bis dato völlig unbekannten Mandelbaum-Stiftung im fernen Wien; und in diesem Zusammenhang sogleich auch von der jahrelangen, maßgeblichen Tätigkeit einer gewissen Irene Plotz-Dinckelthal, ehemaliger Soubrette sowie Klavier- und Gesangslehrerin, im Rahmen der Förderung musischer Talente aus wenig bis gar nicht bemittelten Kreisen.
Nun wusste Solochow zwar kaum etwas mit musischen Talenten anzufangen; und auch die wenig bemittelten Kreise waren ihm aus verständlichen Gründen eher fremd. Doch begann er sich für die wohltätige Institution mit kultureller Ausrichtung an der Donau zu interessieren, und auch über deren wackere greise Trägerin (oder wie die Funktion Irenes auch immer lauten sollte) ließ er, dabei ganz der Sohn eines alten Geheimdienstmannes, der er war, genaueste Informationen einholen. Ja, Sergei ließ penibel recherchieren.
Und was er da so hörte, gefiel dem jungen reichen Russen ausgesprochen gut.
Ja, doch! Ja! Diese alte Frau Irene Plotz-Dinckelthal, dort in Wien, die könnte – nein: musste! – seine neue Babuschka werden! Unbedingt und koste es, was es wolle!
Das stand fest.
FORTSETZUNG:
Ab in die Toskana!
Gut, ganz allgemein und quasi naturgemäß stellt man sich unter einer Entführung etwas anderes vor. Entführung – da schwingt Romantik mit. Nächtlicher Hausfriedensbruch …, Fackelschein, Nebelschwaden, gedämpfte Stimmen …, leise schnaubende Pferde …, ein heiserer Kauzruf; dann: vermummte Liebende … und eine wolkenverhangene, magere (beinahe schon schwindsüchtige) Mondsichel, oben …, am nächtlichen Firmament …
Freilich, ganz anders verhielt sich das alles im Fall der alten Soubrette und Musikpädagogin Irene Plotz-Dinckelthal und des jungen russischen Oligarchen Sergei Solochow.
Und doch hatte die Reise von Wien in die Toskana ein wenig von einer Entführung an sich. Und wenn Irene auch die Wahl-Babuschka des jungen Milliardärs war und (Gott behüte!) nicht seine Geliebte – es wehte zumindest ein wenig Operettenhaftes durch die ganze Geschichte. Ja, obwohl Sergei mitnichten um die Wunsch-Oma zu buhlen gehabt hatte, lag über der wohl-vorbereiteten Aktion zumindest ein Hauch von Talmi-Abenteuer …!
Kein Wunder, dass die Wangen der greisen Sängerin sogar noch im Nachhinein erglühten, wann immer später sie der so wunderlichen Umstände dieser weittragenden und durchaus folgenreichen Übersiedlung gedachte. O Gott! Welche Umstellung, welche Freude! Immerhin: Irene musste ihr beschauliches Dasein als angesehene Pensionistin und allseits verehrte Wohltäterin i. R. an der Donau aufgeben, in das sie sich durch die letzten Jahre schon bestens eingelebt hatte. Denn für die künstlerisch immer noch interessierte alte Dame – sie gab sogar hin und wieder Klavier- und Gesangsstunden für kommende Virtuosen, sozusagen auf Freundschaftsbasis – gab es ohnedies immer wieder, genug zu erledigen.
Und außerdem liebte Irene Plotz-Dinckelthal, die vor Zeiten gefeierte Irène Grelot und vor einer noch längeren Spanne gewesene entzückende Pippa, es durchaus, in der Vergangenheit zu kramen, die darob immer schöner zu werden versprach, rosafarben und putzig. Das Angenehme aus dem reichen Fundus der Familienerinnerungen und Kindheits- wie Jugend-Reminiszenzen galt es für Irene, in ihrem Inneren zu hegen und zu pflegen: zum Beispiel die Anerkennung durch den alten Breslauer Uronkel (oder so) Anastasius Taubengrau und dessen Lob, gipfelnd im längst familienintern tradierten Wort, das Kind quieke ganz vorzüglich. Freilich auch und gerade die Jahre in der Nähe ihres Lebensmenschen Dr. Felix Mandelbaum, des Intendanten und Charmeurs … Aber auch ihre so merkwürdigen Männer-Geschichten …
Dort, auf dem im Auftrag Sergei Solochows aufwändig renovierten alten Gut, gelegen im Dreieck zwischen Florenz, Siena und Arezzo, sollte ihr ganz spezieller neuer (und endgültiger) Lebensraum sein. Eine alte Fattoria. Ein Landgut. Ein Refugium im Wortsinn. Freilich auch: ein Zufluchtsort der Zuversicht. Ein Alterssitz, der bei aller Ruhe und Beschaulichkeit das Eingebunden-Sein ins Heute – so weit sie das wollte – keineswegs verhinderte.
Es mag erstaunen, zu wie viel Rücksichtnahme – und vor allem: zu wie starker Einfühlung – der ansonsten doch so ausgesprochene Tat-, Macht- und Geldmensch Sergei Solochow imstande war, ging es darum, seiner Wahl-Oma das Leben so angenehm wie nur möglich zu gestalten! O ja, er war ein Schatz! Zuvorkommend, respektvoll und spendabel.
Freilich: Ein greiser Mensch mit so vielen Interessen, wie es Irene nun einmal war, sollte tatsächlich nicht plötzlich das Gefühl haben, abgeschottet zu sein und völlig isoliert von allem und jedem; außerhalb zu stehen und abseits von Leben, Handel und Wandel. Zumindest ein wenig Trubel und Hektik mussten da wohl auch sein. (War sie doch, bitte schön, eine Bühnenkünstlerin gewesen!) Doch wurden die Dinge in ihrer Umgebung mit Sorgfalt derart gefiltert, gefährliche Kanten sozusagen abgerundet, dass keine seelische Verletzungsgefahr drohte.
Die alte Dame konnte sich außerdem machen, was sie gerade interessierte. Und sie musste sich kein leeres Geschwätz und Gewäsch anhören oder sich nicht mit Inferioritäten abgeben. Denn mit solcher Umsicht ging der freigebige Neo-Enkel für seine geliebte Wahl-Babuschka zu Werke. Kurz: Alles war geregelt, wie sie es sich nur wünschen konte. Und die Praxis zeigte bald, dass Sergei durchaus professionell gearbeitet (beziehungsweise: delegiert) hatte.
Und auch Irene gefiel es so. Ja, sie fand alles das wunderbar!
Es war eine richtiggehende – wenn auch keineswegs ärmliche, doch erfreulich bescheidene und gar nicht, wie man es einem Mann vom Schlag Sergeis vielleicht zugetraut hätte: protzige – Residenz; gediegen und bequem ausgestattet, ergänzt durch eine sehenswerte alte Winzerei, einen Weinkeller von beachtlichen Ausmaßen, der außerdem wahre Schätze beherbergte. Früher eine stattliche Fattoria eben, atmete das Gut heute noch sozusagen: Geschichte …
Herrlich war die Umgebung: Die satten, oben auf den Hügeln mit Pinien bestandenen Weinberge, dazwischen Mohn und blaue Kornblumen. Dann die üppigen Wiesen, im Sommer voller Sonnenblumen, die in millionenfachem Wippen ihrer schweren Köpfe schon den Herbst zu grüßen schienen … Das alles war nunmehr Irenes Reich.
Schon Goethe schwärmte anno 1786 anlässlich seiner Italienischen Reise von der Toskana, unter anderem sogar von den geologischen Gegebenheiten, die ihm ein würdiger Grundstein für alles Kommende zu sein schienen. Wenngleich es ihn, innerlich Antiken-selig, auch schon gewaltig nach Rom drängte und er Florenz eher durchlief als durchstreifte – die Stadt war ihm dann doch zu katholisch eng und zu (kleinkariert) prächtig ausgestattet -, vermochte er sich dem toskanischen Flair keineswegs gänzlich zu entziehen.
So war es auch für den Deutschen, der die Antike (und den Süden) suchte mit Herz und Hirn, gut, hier zu sein; nicht zuletzt „weil es (das Land, Anm.) so viel tiefer lag“. Denn „so hat das alte Meer recht seine Schuldigkeit getan und tiefen Lehmboden angehäuft. Er ist hellgelb und leicht zu verarbeiten.“ Ihm fiel auch auf, dass etwa die „Ölbäume (…) wunderliche Pflanzen“ seien, weil sie wie Weiden wirkten, aber „ein festeres Ansehn“ hätten … „Um Florenz an den Bergen ist alles mit Ölbäumen und Weinstöcken bepflanzt“, notierte er, „dazwischen wird das Erdreich zu Körnern benutzt. Bei Arezzo und so weiter lässt man die Felder freier.“
Goethe erging sich also in agrikulturellen Betrachtungen. („Ich finde, dass man den Efeu nicht genug abwehrt, der den Ölbäumen und andern schädlich ist, da es ein leichtes wäre, ihn zu zerstören.“) Und er räsoniert übers Pflügen und Säen. Auch diskutierte er mit einem Hauptmann, seinem Quartiergeber, über Katholizismus und Protestantismus, über die Beichte und über den Inzest zwischen Geschwistern …
Nun, Sergei Solochow hatte nicht vor, die Äcker zu pflügen und Weizen oder was auch immer sonst auszusäen; auch die Winzerei würde er weiterhin denen überlassen, die davon etwas verstünden. Nein, er wollte bloß für seine geliebte Babuschka, für Irene also, ein möglichst schönes Fleckchen Erde und alle nur vorstellbaren Annehmlichkeiten darauf schaffen.
Deshalb das vergleichsweise unprätentiöse Gut, und keine protzige Absteige direkt in Florenz (vielleicht gar in einem der alten Palazzi?!), im mondänen Siena oder im verwinkelten Arezzo. Nein. Gewiss, Ferrara war nicht allzu weit, auch San Marino und Rimini nicht, nicht einmal Venedig; doch ihn interessierten Glanz, Glamour und Glitter nicht, wenn er – oft nur für kurze Zeit, ein Wochenende, ein paar Stunden – hier, hier bei Babuschka Irina, einen Zwischen-Stopp einlegte auf seinen enervierenden Business-Touren quer durch Europa.
Und für die alte Dame bewahrheitet sich nach einem langen, bewegten Leben endlich Goethes Motto zur „Italienischen Reise“: Auch ich in Arkadien; diese Transkription des seit der italienischen Renaissance geläufigen Wortes, entnommen dem Gemälde Nicolas Poussins im Pariser Louvre, Et in Arcadia ego.
Arkadien – das Land friedlichen Glücks. (Wo freilich auch der Tod wohnt.)
Im Jahr 2008, knapp nachdem Putin zum russischen Minister-Präsidenten gewählt worden war, verstarb die ehemals traurige Soubrette, die in ihrem Arkadien einmal noch aufgeblüht war in Freude und Zufriedenheit, umsorgt vom jungen Olegarchen Sergei Solochow, ihrem Enkel, und mit der Welt insgesamt in vollster Harmonie. Es hatten sich zuletzt verschiedene altersbedingte Erkrankungen eingestellt, und die Spanne zwischen diversen Blackouts, unter denen Irene in den finalen Monaten zu leiden hatte, wurde zudem immer kürzer; schließlich verschied sie, weitestgehend friedlich, in einer Nobel-Klinik bei Florenz. Ja, friedlich. Durchaus. Denn ihre letzten Jahre waren, dank der Hingabe und Zuwendung ihres russischen Wahl-Enkels Sergei, bequem – nach ihrem Defürhalten sogar fast ein wenig zu luxuriös -, dabei freilich immer aufs Neu interessant und sogar in Maßen noch künstlerisch erfüllend gewesen. Zudem voller kleiner und größerer Abenteuer für die innerlich schier ewig junge alte Dame.
Sergei Solochow würde übrigens im Jahr 2014 und just in Sotschi, wohin ihn knapp vor der Eröffnung der gleich opulenten wie korrupten Olympischen Winterspiele sein ehemaliger Mentor Wladimir Putin noch eingeladen hatte, bei einer Ski-Abfahrt tödlich verunglücken. Denn nicht einmal seiner zweiten Gattin Julija war es gelungen, ihn von dieser sportlichen Torheit abzuhalten. Seine Witwe würde später dann das zu diesem Zeitpunkt noch ungeborene Mädchen, das sie in ihrem Bauch trug, nach dem schriftlich dargelegten Letzten Willen Sergeis auf den Namen Irina taufen lassen.
Der Wahl-Babuschka zu Ehren.
Irene hatte ihre neue Heimat, die überwältigend schöne Toskana (vor allem, wenn man sich die Reize, die hier so reichlich angeboten, ja: geradezu feil geboten wurden, auch leisten konnte; und Sergei konnte sie sich leisten), Irene hatte die neue Heimat also vom ersten Augenblick an schier uneingeschränkt geliebt. Da waren zunächst die landschaftlichen Schönheiten, das Sanfte und doch Zwingende in diesem alles dominierenden weichen Grün der Hügel und Berge, die allesamt vom nicht selten unwirklichen Blau des so unendlich weit erscheinenden Himmels wie nirgendwo sonst umspannt schienen.
Dann die Städte in ihrer, zugegeben: hie und da durchaus an Filmkulissen erinnernden Architektur-Noblesse. Siena, Arezzo, natürlich Florenz, die so üppige, fast ein bisschen matronenhafte Kapitale am Arno mit ihrem beinahe schon grenzenlosen Angebot an Kunst (freilich, an First-Class-Kunst, wie Sergei zu sagen pflegte, pseudo-weltmännisch).
Und, für einen bereits sehr alten Menschen fast ein wenig seltsam: Sogar für die toskanische Küche konnte sich die gewesene Gesangskünstlerin, die zwischendurch so traurige Soubrette, das ehemalige blonde Kind mit der glockenhellen Stimme, Irène Grelot eben und Pippa zugleich, immer noch erwärmen; auch wenn sie verständlicherweise nur in Maßen zulangte und bloß ein wenig schnabulierte von dem, was sich da an herrlichen, doch meist so angenehm bodenständigen Gerichten offerierte. Von kuriosen Nudeln, delikaten Würsten, Fisch und Fleischspezialitäten (von denen die unverhofft zur Ehren-Babuschka Avancierte freilich meist nur, und darin irgendwie einem Vögelchen gleichend, ein wenig kostete) bis hin zu den vorzüglichen Süßspeisen, von ein paar Schlucken großartigen Weines – man war immerhin im Revier des Chianti Classico – bis zu Kaffee und Mandellikör …
Allerdings gab es da etwas, das alles andere, was ihr an der rundum herrlichen Toskana gefiel, gleichsam in den Schatten stellte: Die millionenfach leise im Wind wippenden sommerlichen Sonnenblumen mit ihren gelben, braunzentrierten Blüten, hatten sie vom ersten Anschauen an für sich eingenommen; ja, sie hatten sie förmlich in ihren Bann gezogen! Diese herrlichen, in ihrer Einfachheit so genial wirkenden Pflanzen, sie kamen ihr vor wie Hummeln auf Stielen. Wie dicke, brummelige Hummeln. Wohl mit Stachel bewehrt, doch weitestgehend harmlos. Irgendwie – unbeholfen sogar. Ihr Mitgefühl erregend. (In Wien hätte man diese kuriosen Blumen, so wie sie Irene vorkamen, vermutlich als patschert bezeichnet.) Und was andere irgendwann als fad empfanden und vielleicht sogar für enervierend halten mochten – Irene gefiel es. Just. Ja, sie erinnerten die hohen Stängel mit den schweren Köpfen, die sogar etwas Rad-Ähnliches auszeichnete, an junge Ballett-Tänzerinnen aus ihrer Anfangszeit am Wiener Operettentheater. Es war Irene mitunter, als würde ihr verehrter Intendant Dr. Felix Mandelbaum auch hier und jetzt, nämlich über das so jugendlich frische toskanische Chorps de balet der Sonnenblumen, regieren und bestimmen, das für sie, seine Irène Grelot, diese gigantische Ansammlung von strahlend gelben Sonnenblumen da mit den wuchtigen dunkelbraunen Innenrädern quasi in Wahrheit bildete.
In anderer Stimmung wiederum kamen ihr die hohen Stiele mit den goldgelben Strahlen rund um den schweren braunen, seinerseits in viele einzelne Kerne hinfruchtenden Mutterkern wie – zugegeben: schon leicht kitschige – Gebilde aus Murano-Glas vor. (Und dann verstand sie mit einem Mal, dass manchen Leuten diese millionenfach wippende florale Pracht bei Zeiten dann doch zu viel werden konnte. Zum Beispiel: Malern, die sich dieses bevorzugten Motivs annahmen (annehmen mussten), um nicht ständig irgendwelche halbverfallene Burgen, Reste von Fattorien und angeschlagene Bauernhöfe abzubilden oder irgendwelche Baumformationen auf anmutigen, leicht geschwungenen Hügeln, die sich ihrerseits wie junge Hunde schläfrig aneinander schmiegten …
Irene entwickelte mit zunehmendem Alter überhaupt noch viel Sinn für das Natürliche; so wie sie früher in erster Linie für das Künstliche eingenommen gewesen war; denn bekanntlich ist ja alles Künstlerische zugleich auch irgendwie künstlich … Sie hatte ihre Freude an der Landschaft, an Blumen und Bäumen, Büschen und Sträuchern. Sie liebte Tiere, wie schon immer, eigentlich. Sie hätte jemanden, der sich darin auskannte, vielleicht sogar ein wenig an die ganz alte Marie Ebner von Eschenbach erinnern können, die große Schriftstellerin; zumindest in ihrer Tierliebe (die – anders als bei Irene – erstaunlicherweise die Katzen ausnahm). Die ehemalige Soubrett hielt sich nun mehr, sehr zu ihrer Freude und zu ihrem Ergötzen, eine Handvoll Katzen und auch ein paar Hunde. Sogar drei Papageien, ein paar Wellensittiche und ein Aquarium besorgte der treusorgender Sergei seiner Oma. Sie nannte diese seltsame Ansammlung von Vierbeinern, Vögeln und Schuppenträgern ihren höchstpersönlichen Zoo, in dem sie selbst naturgemäß eine der altehrwürdigen Attraktionen sei. Wenn sie so sprach, musste ihr Wahlenkel Sergei Solochow immer besonders lachen über sein neuerworbenes Großmütterchen.
Dann lud er von überall Freunde ein und ließ sogar eine echte Zirkuskapelle einfliegen, die entsprechende Musik von Nino Rota intonierte! Diese Partys und der damit verbundene, nicht zu unterschätzende Aufwand wuchsen sich nicht selten zu beinahe schon touristischen Attraktionen aus. Oma Irene, als alter Theatergaul, störte das nicht; die Dienerschaft wurde entsprechend reichlich entlohnt; und auch Sergei hatte seine Freude daran – inklusive Publizität.
Ja, Irene war milder geworden als in den Jahren der Kämpfe, da sie erfolglos um Felix Mandelbaum gebuhlt und nach seinem traurigen Abgang diverse Tiefschläge mit ihren drei Männern, mit Leo, Hugo und Karl, zu erleben gehabt hatte.
Sie war milder geworden. Und das war schön so. Einerseits als Babuschka, von der man doch eher Milde denn Strenge erwarten durfte, zum anderen als Mensch, ganz allgemein.
Ja, es schien Pippa mitunter, mit dem Verlauf ihres Lebens nun durchaus ausgesöhnt sein zu dürfen. Und wenn sie sich an ihre – bei aller Not und allen Beschwernissen – doch durchaus glückliche Kinderzeit in Wien, aber auch an die verschiedenen Erzählungen der Eltern und der Verwandtschaft noch aus Breslau erinnerte; einschließlich der kuriosen Erläuterungen von Großonkel Anastasius Taubengrau (die angeblich nicht selten, gewaltig ausufernd, die diversen Familientreffen dominiert hatten), glitt oft und oft ein friedlicher Schauer über das Antlitz der geistig bis zuletzt – zumindest größtenteils – durchaus wachen Greisin.
Irene starb, so sagten wir, im Jahr 2008. Die Begehrlichkeiten, die ihres Enkels Sergei Mentor Putin so unverhohlen gegenüber der Ukraine (2014) zu erkennen gab, musste die alte Dame also nicht mehr erleben. Und inwieweit sich die – diplomatisch wie realpolitisch unleugbar schwächelnde – Europäische Union gerade bei den Vorfällen in der Ukraine (Annexion der Halbinsel Krim durch Russland, Destabilisierung der restlichen südöstlichen Gebiete mit hohem russischen Bevölkerungsanteil et cetera) Mit-Schuld an der ganzen angespannten Lage trug, musste sie folglich auch nicht mehr bewerten.
Es hätte sie das alles freilich bedrückt, wusste sie doch (aus den viele Jahrzehnte früher geführten Gesprächen mit ihrem Felix Mandelbaum) noch ziemlich genau um dieses Land Bescheid. Die Ukrainer wurden sogar gegen Ende des 19. Jahrhunderts und bis zum Ersten Weltkrieg, so erinnerte sie sich, von den Bewohnern des benachbarten Habsburger Kronlandes Bukowina mit der lebensfrohen Hauptstadt Czernowitz, aus der bekanntlich Mandelbaum gekommen war, als Ruthenen bezeichnet. Und mit eben ihnen, deren Territorium später – wie auch das der Bukowina (oder des Buchenlands) selbst – von den Rumänen und dann von den Sowjet-Russen eingenommen wurde, hatte man damals am Pruth in einem durchaus respektvollen Verhältnis gelebt. Gut nachbarschaftlich.
So hätte sich Irene des gequälten Menschenkonglomerats als eines der vielen dauernd und immer wieder von Neuem aufgeteilten, hin- und hergeschobenen Völker erbarmt. Glichen sie nicht irgendwie den anderen unschuldigen, ständig auf dem Schachbrett der Weltgeschichte hin- und her-verrückten Figuren? Den Polen oder den Elsässern? Den Sudanesen oder den Bewohnern Sri Lankas? Schließlich den Serben oder den Armeniern?
Felix Mandelbaum hatte überhaupt in der bei Umsiedlern und Zugewanderten – wie ja auch in ihrer Großfamilie, die sowohl (wie dargetan) die Plotz-Dinckelthal als auch die Taubengrau, Geercke, von Klohrmann, Oberstaudte und noch manche andere umfasste – üblichen Weise die alte Heimat mit einer Art von goldener Gloriole umhüllt (wie ein etwas zu üppig geratenes Osterei). Was für Plotz-Dinckelthal, Taubengrau oder Geercke schließlich Breslau und die schlesischen Gebiete geworden waren, nämlich zauberische Orte familiärer Kollektiverinnerung, waren für Mandelbaum Czernowitz und die Länder im Karpatenbogen.
Auch deren poetische Schilderer, die allesamt beredt Zeugnis ablegten von vergangenen und später mit Wehmut als verloren empfundenen Räumen eben dieser kollektiven Reminiszenz, konnten sich sehen lassen. War es im Fall Irenes in erster Linie der große Gerhart Hauptmann, dem sie zudem ihren ersten Kosenamen (noch vor dem von Dr. Mandelbaum ersonnenen Irène Grelot), nämlich Pippa, verdankte, so berief sich der schmucke Intendant des Wiener Operettentheaters, erfolgreiche Frauen-Schwarm und charmante Lebemann Felix etwa auf die Czernowitzer Literatur-Hautevolee, wie er sie – nicht zuletzt von seinem Vater her – noch lebhaft im Sinn hatte. Doch auch Gregor von Rezzori, der Berlin- wie Wien-affine gebürtige Buchenländer („Ein Hermelin in Tschernopol“, „Ödipus vor Stalingrad“), oder Stefan Zweig, der den Glanz der Donaumonarchie in seinem bedenkenswerten Essayband „Die Welt von Gestern“ kritisch hinterfragt, aber auch Joseph Roth („Radetzkymarsch“, „Die Kapuzinergruft“), Ludwig Winder („Der Thronfolger“) und der rätselhafte Franz Kafka aus Prag gehörten ohne Frage hier her; wie auch die Wiener Altösterreicher der legendären Literatur-Cafés, von denen weiter oben schon ausführlich die Rede war …
Dass sie, Irene (Pippa auch und Irène, die Glockenstimme!), und Felix, der Czernowitzer Danilo, beide nicht bloß am Rande sehr wohl mit Produkte der unglücklichen politisch-kriegerischen Entwicklungen seit der Mitte des 19. Jahrhunderts gewesen sein sollten, wäre ihnen vermutlich kaum in den Sinn gekommen.
Und doch: Letztlich hatten Königgrätz mit dem Sieg des preußische Generalfeldmarschalls Helmuth Graf von Moltke (eines Onkels des deutschen Generalstabschefs und Kompagnons Conrad von Hötzendorfs im Ersten Weltkrieg) über die österreichisch-sächsische Armee und die wenig aussichtsreiche spätere Bündnispolitik – insbesondere die zwischen den Habsburgern und Hohenzollern, also zwischen Franz Joseph und Wilhelm -, zudem die gesamte äußerst filigrane europäische Machtbalance, die diffizilen Verhältnisse zwischen Russland, Frankreich, Großbritannien, Italien sowie Wien und Berlin, elementar ins Leben auch der Beteiligten unserer vergleichsweise kleinen Erzählung hineingewirkt. Und auf die Kleinen wirkt sich bekanntlich das, was wir gewohnheitsmäßig große Geschichte nennen, zuletzt doch immer am schmerzhaftesten aus. Für sie ist das alles in der Tat – elementar.
Doch auch klingende Namen vergehen; und sogar glänzende Dynastien verschwinden (wobei, Ironie des Schicksals, just eben dann am ehesten und in erster Linie das menschlich Ruinöse in der Erinnerung bleibt).
Ja, doch: durchaus schicksalhaft ist das. (Wenn man an ein Schicksal glauben möchte.)
Ansonsten freilich konnte Irenchen bis zuletzt in Schwärmereien schwelgen, besonders dann, wenn das zumeist fidele alte Mädchen ihres Lebensmenschen Felix Mandelbaum gedachte. Nein, nicht wenn etwa Leo Grinthammer, Hugo Brandinger oder Karl Prinz ins Gesichtsfeld ihrer Erinnerung vorstießen (und diese Kerle taten das wirklich immer wieder und meist störend): Es musste ganz einfach Felix Mandelbaum sein! Ihr vielgeliebter Dr. Mandelbaum.
Ja, da wurde ihr warm ums Herz – trotz all der Bitterkeit, in die diese Beziehung von Beginn an getaucht war; ähnlich einem speziellen Weihnachtsgebäck, wie man es früher bei ihr daheim in Wien an den Christbaum zu hängen gepflegt hatte. Sie liebte als kleines Kind diese eigenartige, zum Teil in dunkle Schokolade getunkte Zuckermasse namens Fondant heiß. Übermäßig. Unmäßig. Fast bis zum Erbrechen sogar.
Dann hatte sie durch Jahrzehnte auch auf diese Süßigkeit vergessen. Aber sie hatte sie damals geliebt. Damals …
Und auch ihren Felix, der so ganz eigentlich nie ihr Felix gewesen war, hatte sie geliebt. Auch wenn es sich nicht gehörte, ihn sozusagen in ein- und derselben Reminiszenz mit dem so süßen Fondant ihrer Kindheit zu erinnern.
Und, was erstaunlich ist, sie hatte zuletzt sogar für dessen wetterwendische Ex-Frau und Witwe, für die wetterwendisch-opportunistische Dorothea, immerhin einiges an Wertschätzung aufgebracht. Es war freilich a priori klar gewesen, dass die beiden Frauen – nach all dem, was geschehen war – wohl kaum jemals mehr hätten Busenfreundinnen werden können!
Doch sie achteten einander; einerseits wohl, weil es in der Stiftung dank Irenes pädagogischer wie künstlerischer Pflichterfüllung, zum anderen wegen Dorlis karitativer Geschicklichkeit und ideell wie finanziell gewinnbringender Selbstdarstellung tatsächlich optimal funktioniert hatte. Ein Beweis mehr dafür, dass auch auf ihre Weise vielleicht angeschlagene Charaktere mitunter zu durchaus beachtlichen Unternehmungen fähig sind.
Jetzt kam es ihr wieder in den Sinn: Ja, doch! Auch Dorothea hatte irgendwie etwas Fondant-Artiges an sich gehabt. Oder?!
Bis zum Tod Dorlis im Jahr 1998. (Danach hatte sich Irene, unter Hinweis auf ihr Alter und Befinden, sukzessive zurückgezogen. Der geschickte Organisator Guido Rodenstock, der Selbstzweifler, der meist ziemlich arrogant wirkende Halb-Gebildete und Randintellektuelle, hatte seinen Platz – wie erwähnt – schon zuvor ohne zu murren der Jugend überlassen.)
Doch – Mandelbaum … Irene hatte diesen Dr. Mandelbaum, den feschen Intendanten und glühenden Theatermann, den innovativen Künstler, sogar den dauernd in irgendeine junge Kollegin verknallten, ja: von einer Blüte zur anderen tendelnden Lebemann, Charmeur und charmanten Tunichtgut, später dann den von den verbrecherischen Nazis geschundenen Juden, den entwürdigten und in den Tod getriebenen KZ-Häftling, das Opfer Mandelbaum also, an den wiederum viel später eine eigene Stiftung erinnern würde, an der sie mitarbeiten durfte nach bestem Wissen und Gewissen sowie mit allem Einsatz, dessen sie fähig war, oh, sie hatte diesen unglücklichen Felix geliebt!
Geliebt, ja!
Geliebt!
Trotz aller Wirrnisse, der Ungereimtheiten und des unsäglichen Schmerzes, der über ihrer so außergewöhnlichen Verbindung gelegen hatte, von Anfang an. Und obwohl das quasi verhinderte Liebespaar – grosso modo beide, insbesondere freilich Irene – stets Treu‘ und Redlichkeit geübt hatten, wie es das Volkslied auf den schönen Text von Ludwig Heinrich Christoph Höltys so dringend empfiehlt … (Eine Empfehlung übrigens, die sich erwiesenermaßen leichter an andere richten lässt, als dass man sie, als solcherart schlau Belehrender, auch selber anwenden würde! Aber so ist das nun einmal mit den guten Ratschlägen …)
Nun, Pippa: Es hatte nicht sollen sein.
Übrigens auch so ein Satz, wie ihn der alte Großonkel Anastasius Taubengrau mitunter von sich gegeben haben mochte. (Zuvor hatte er vermutlich wieder einmal diverse Erfahrungsschätze durchforstet, wie es sich für einen anständigen Antiquitätenhändler eben so gehörte.)
Nein. Es hatte nicht sollen sein.
E N D E
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