Désirée.

Ein Fragment

Kleines Rondo von

Bernd Schmidt

© by Bernd Schmidt, Graz 2013.

(ENDFASSUNG: 2016.)

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I

Er würde diese Geschichte nicht schreiben. Nein.

Oder – wenn, dann nur als Fragment. Ja.

Er, Werner, befürchtete nämlich, das hier habe etwas zu Nahes an sich, fast schon etwas Autobiographisches. Er hasste Autobiographien! Ja, das röche doch glatt nach Ich! Da hatte er direkt Horror davor. („Es gibt nichts Abstoßenderes, nichts Unappetitlicheres als das Ich“, pflegt er mitunter voller Abscheu zu sagen, sich mit einem inneren Naserümpfen abwendend.)

Sie sei sehr attraktiv, wirklich. Das müsste man einfach zugeben. Ob man wolle oder nicht. Anerkennen müsse man das, auf alle Fälle.

Er schätze sie auf Mitte, Ende der Dreißig. Die dezente Seidenbluse unter dem ebenfalls gedeckt-farbigen Kostüm. Ja. Banker (und erst recht Bankerinnen) trügen ein Kostüm. Klar doch. Jetzt, nach all den Unregelmäßigkeiten und Gaunereien sowie den daraus resultierenden Querelen und schieren Katastrophen auf diesem Gebiet. Jahre nach dem großen Crash sei ihr Image immer noch nicht das allerbeste. Nein, eher schon ziemlich unten … Und da betrachte man es nun mal als angezeigt, sich zu kostümieren. Ob die Wallstreet in New York oder das Bankenviertel in London, Tokio oder Frankfurt – oder hier, in der österreichischen Provinz -, überall sei Kostümieren groß geschrieben. (Obwohl sich doch alles wieder normalisiert habe. Und: Was solle sich, bitte schön, in dieser Hybrid-Gesellschaft überhaupt normalisieren?! Also, der Kostümzwang bleibe, vorsichtshalber.)

Also, sie sei attraktiv, wirklich. Übrigens: Auch die Beine, tadellos. Und blond sei sie. Dezent; doch, ja: von beinahe auffallender Dezenz. Und keine Vierzig. Wetten?! (Er wettet nie. Dafür schwelgt er zwischendurch nachgerade im Konjunktiv.)

II

Er habe etwas fast Rührendes an sich, findet sie. Wie er da vor ihr im ziemlich unbequemen Besuchersessel sitzt. Ja, fast rührend. Nur die Pistole unter seinem Jackett – das Metall hat kurz aufgeblitzt, ganz kurz, als ein Sonnenstrahl durch eines der hohen Fenster hinter ihr auf den Stahl getroffen ist … Also, die irritiert sie nun doch ein wenig, die Waffe. (Es ist übrigens ein Revolver, keine Pistole.)

Wie hat er das Zeug überhaupt durch die gefinkelten Sicherheitssysteme im Bankgebäude gebracht? Und würde er womöglich -?

Sie ist in der Tat irritiert. Ein wenig. (Außerdem passt das Tragen einer Waffe eigentlich nicht zu seiner sonstigen Erscheinung. Nein, dazu ist der nicht der Typ!)

Was will er bloß noch? Ach ja: einen Kleinkredit. – Einen Kleinkredit?! (In seinem Alter einen Kredit?, denkt sie, beinahe erheitert.) Was glaubt der da, wo er sich befinde? In einer Wärmestube?!

Kaffee?“, fragt sie ihn freundlich. Freundlich.

Werner nickt bejahend. „Bitte, gern …“

Sie geht in den kleinen, an ihr Büro anschließenden Nebenraum und überlegt dabei kurz, ob sie die Security verständigen solle, lässt es dann jedoch sein. Nein, der würde nicht schießen. Nicht einmal ziehen würde er seine Waffe, wetten?!

Sie stellt je eine Schale mit der dampfenden Brühe vor ihn und eine vor sich.

Zucker, Milch?“, fragt sie.

Danke, weder noch“, antwortet er.

Sie nimmt Zucker.

Einen Kleinkredit also …“, sie schaut auf die Daten, die – von ihm unlesbar – über den von ihm abgewandten Computer-Bildschirm laufen. Nicht von ihrem Schreibtisch aufblickend, wiederholt sie: „Einen Kleinkredit …“

Er nickt. „Ja, so zehn-, fünfzehn Tausend Euro … Immerhin bin ich seit Jahrzehnten schon Kunde in -“

Sie sieht wieder zu ihm hin. Verbindlich. Ohne sich etwas zu vergeben. (Ihr Blick entspricht gleichsam dem abgewandten Monitor.)

Sie registriert den dunkel gemusterten Anzug: feiner Stoff eigentlich, dann die Krawatte: dezent und (natürlich) aus Seide, passendes Stecktuch, passendes solides, einfarbiges Hemd. Das Haar: durchaus sorgfältig geschnittenes Grau, leicht ins Weiß wechselnd schon. Brillen: goldumrandet. Außerdem: Er als Ganzes – rasiert und unauffällig nach gutem Eau de Toilette riechend. Ach, ja: elegante schwarze Schuhe, schön geputzt (Schau immer auf die Schuhe Deines potenziellen Geschäftspartners, Gegners oder Klienten!) und mit – jetzt sieht sie das zwar nicht, nimmt es indes an – keineswegs abgetretenen Absätzen oder löchrigen Sohlen.

Was ist er schnell noch? – Genau: Schriftsteller. Ein paar Preise, viele Veröffentlichungen –

III

Vor zwei Tagen erhält Werner den Befund. Auch Dr. Nuhr sieht, während er ihm vorsichtig eröffnet, wie es nun um ihn stehe, nicht so aus, als ob ihm besonders lustig zu Mute sei.

Er, Werner? Er hat eigentlich nichts anderes erwartet.

Daher kann ihn die endgültige Gewissheit nicht mehr wirklich treffen. Zudem: Er ist Mitte der Sechzig. Hat er vielleicht tatsächlich vorgehabt, ewig zu leben?! Das spielen sie nicht. Klar?! Unsterblichkeit, die hätte er sich schon durch seine Schreiberei erwerben müssen. Und da stottert der Motor leider seit längerer Zeit immer wieder gewaltig. (Oder, anders ausgedrückt: Die Auftragslage stagniert zwischendurch …)

Er schaut im Internet nach und lässt außerdem einen Bekannten (ehemaligen Polizeibeamten) ein wenig nachforschen. Und der gibt telefonisch Auskunft: „Also, pass auf! Deine Désirée ist 38, geschieden, Alleinerzieherin. Ihre Tochter heißt Dénise und ist 16. – Nein, Deine Traumfrau hat keinen festen Freund, wie es aussieht. Erstaunlich eigentlich, bedenkt man, wie sie aussieht …“

IV

Werner trifft sich mit Désirée (manche Vornamen übersprängen oft zwei, drei Generationen; ja, eine Tante aus der französischen Linie … Hugenotten, glaube sie …) zum Essen.

Beiläufig und charmant nebenher fragt er sie ein wenig aus – über sich, ihr Umfeld und so … („Berufskrankheit“, entschuldigt er sich). Und er gibt im Gegenzug ein etwas mehr preis von sich und seinen Belangen, als was vermutlich ohnedies im Bank-Computer (mit den seltsamen Vermerken der unterschiedlich hohen Eingänge) steht; jaja, manchmal seien es ein paar höhere Einzahlungen auf sein Konto, dann tue sich wiederum längere Zeit gar nichts, keinerlei Kontobewegung. Aber immerhin, er sei leicht im Plus …(Er lächelt, irgendwie abwesend.)

Désirée hat natürlich zusätzlich im Internet recherchiert. Und auch ein paar Buchtitel gefunden, ein paar literarische Auszeichnungen und literarische Preise. Also, wenn er auch kein ganz Großer ist, ein Niemand wohl auch nicht …)

Dann: Er möchte sie auf seine große Reise mitnehmen. „Deine Tochter ist sechzehn, außerdem dauert es ja nicht ewig … Sie hat dich in drei Wochen wieder!“

Und wohin, wohin soll es gehen?“, fragt sie, die hübsche, beinahe noch glatte Stirn charmant runzelnd. (Es ist bisher schon alles ein bisschen schnell gegangen, beinahe zu schnell für ihren Geschmack. Nicht nur, dass er fast dreißig Jahre älter ist …)

Noch einmal New York und London, Paris, Berlin, Moskau, Helsinki und Rom …“, sprudelt er los, wobei seine Hand das Sektglas sogar für eine ganze Weile nicht berührt.

Donnerwetter! Und das in drei Wochen?!“, sagt sie ungläubig.

Gut, wir lassen Moskau und Helsinki aus …“, meint er entgegenkommend.

V

Jetzt, sein Blick spiegelt sich in der Scheibe des Fensters, sieht er sie tief unter sich, in der großen Halle des Flughafens. Fast verloren, irgendwie … Sie wirkt zwar nicht direkt nervös, glaubt er auf die Entfernung erkennen zu können, aber immerhin: Sie sieht schon das zweite Mal binnen kurzer Zeit auf die Uhr.

Die Reklame spielt ihre Codes herunter. Die Musik bietet das übliche zerfetzte und nichtssagende Klangbild. Dann wieder einige Durchsagen, Suchmeldungen und unverständliches Gestottere in mehreren Idiomen. Insgesamt Lärm, der genauso gut in den Lautsprechern hätte hängen bleiben können, ohne dass dies ein wesentlicher Verlust gewesen wäre.

Die riesigen Schautafeln, auf denen man Destinationen, Flugnummern, Gates et cetera anzeigt. Das seelenlose Rasseln, wenn alte Angaben verschwinden und neue kreiert werden oder die Ergänzung „Abgesagt“ auftaucht.

Flug nach – abgesagt.

Hoffnung – abgesagt.

Morgen – abgesagt.

Er – abgesagt.

Er hätte sich vielleicht doch nicht in diesem kleinen (ansonsten eigentlich verschlossenen) Raum des Flughafens erhängen müssen! Wenn sie ihn jetzt da so leise schwingen sehe (oder zuvor: zucken) …, und seine aufgesperrten toten Augen …

Und wozu dann vor zwei Wochen noch der Revolver (es ist ein Revolver gewesen, keine Pistole, ein Revolver)? Wozu etwas erwähnen, das dann doch nicht zum Einsatz käme?!

Désirée sieht traurig aus. Und doch auch irgendwie befreit.

Werner ist also nicht, wie ausgemacht, zum verabredeten Treffpunkt auf den Flughafen gekommen. Schade, irgendwie … Wo sich ihre Tochter Dénise doch schon auf die paar Wochen bei ihrer Schwester, bei der ein bisschen verrückten Tante Isabelle, gefreut hat!

Nun, ja …

Sie, Désirée, hat sich ja auch gefreut, eigentlich …

VI

*

Er hatte es von Anfang an gewusst: Er würde diese Geschichte nicht schreiben. Nein.

Oder – wenn, dann nur als Fragment. Ja.

E N D E

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